Hongkong wird vom chinesischen Drachen geschluckt
Von Norbert Hellmann, Schanghai Eins steht schon einmal fest: Am Finanzplatz Hongkong wird es nie wieder so sein wie früher. Mit der Einführung des drakonischen Sicherheitsgesetzes hat China den über mehr als 20 Jahre so liebgewonnenen Autonomiestatus der Sonderverwaltungszone aus den Angeln gehoben. Eine Stadt, die ihre besondere Aura und auch Stärke in erster Linie aus den markanten Unterschieden zu den Metropolen des chinesischen Festlands bezogen hat, wird nun gnadenlos der Gleichmacherei anheimgestellt und dem Diktat der Kommunistischen Partei unterzogen. Das kann und wird nicht ohne Folgen für den Finanzplatz als Aushängeschild der Sonderverwaltungszone bleiben.In westlichen Ländern wird gehöriger Pessimismus über die Zukunftschancen eines bislang für seine Globalität gerühmten Finanzplatzes verbreitet. In Hongkong selber schüren die verantwortlichen Politiker und Wirtschaftskapitäne trotzig Optimismus. Sie verweisen darauf, dass die Geschäfte am Finanzplatz keineswegs ins Stottern gekommen sind. Dies, obwohl die Gesamtwirtschaft der Sonderverwaltungszone im Zuge der gewaltigen politischen Unruhen und der Folgen der Corona-Pandemie regelrecht gelähmt wirkt.Tut sich hier ein Widerspruch auf? Nicht unbedingt, schließlich bietet sich jenseits des Pazifiks ein ähnliches Bild. Während die US-Konjunktur am Boden liegt, lässt man an der Wall Street dank immer neuer Börsenrekorde die Korken knallen. Optimisten erhoffen sich schon allein deshalb eine Belebung des Finanzplatzes, weil das Sicherheitsgesetz die im vergangenen Jahr immer wieder aufwallenden politischen Proteste mit einem Schlag ausgeschaltet hat. Erstickte FreiheitenPolitische Stabilität ist zweifelsohne eine wichtige Voraussetzung für die Entfaltung der Finanzplatzkultur. Die Frage ist nur, ob mit politischer Stabilität nach Pekinger Ausprägung nicht auch entscheidende Faktoren für Vitalität, Globalität und die besondere Hongkonger Atmosphäre, als Amalgam von asiatischen Tugenden und westlichen Freizügigkeiten, kompromittiert werden. Schließlich erstickt das Sicherheitsgesetz nicht nur die Meinungs- und Pressefreiheit in der Sonderverwaltungszone, sondern eben auch die berühmte Unabhängigkeit der Hongkonger Jurisprudenz.Einen neuen Unsicherheitsfaktor wiederum bringt das Sanktionsgerangel zwischen China und den USA in die Hongkonger Bankenszene. Im Abgleich mit ihren chinesischen wie auch amerikanischen Geschäftsinteressen stehen global aufgestellte und in Hongkong tonangebende britische Banken HSBC und Standard Chartered vor einer Zerreißprobe. Von China werden sie aufgefordert, sich voll und ganz zum Sicherheitsgesetz zu bekennen und ihren Kundenkreis um Demokratiebefürworter zu säubern, die nun als latente Straftäter gelten. Seitens der USA wiederum sind Sanktionen gegen chinesische und Hongkonger Politiker erlassen worden, die für Hongkonger Banken mit US-Berührung bindend sind und auch chinesischen Instituten Kopfzerbrechen bereiten.Zudem hängen mögliche weitergehende US-Sanktionen wie ein Damoklesschwert über der Finanzkapitale. Würde die extreme Drohung wahr gemacht, Hongkong vom Dollar-Kreislauf abzuschneiden, könnte der Finanzplatz die Kontrolle über den eng an die US-Währung gekoppelten Hongkong-Dollar verlieren. Derlei Ängste und Imponderabilien schwächen Hongkongs Anziehungskraft auf internationale Branchentalente. Die Aura des Finanzplatzes als beliebtester Arbeitsort im asiatischen Finanzplatzrund ist ohne Zweifel in Gefahr.Bei allen Herausforderungen gilt es zunächst einmal, die Feste zu feiern, wie sie fallen. Und tatsächlich steht Hongkong eine Riesenparty ins Haus: der nun auch förmlich angemeldete Börsengang des weltgrößten Fintech-Unternehmens und Zahlungssystembetreibers Ant Financial. Das Unterfangen ist vielen Beweis genug, dass Hongkong im Geschäft mit Börsengängen (Initial Public Offerings/IPOs) auch weiterhin Glanzzeiten entgegensehen wird.Mit ihrem auf Hongkong und Schanghai verteilten Börsengang könnte Ant Financial nach Einschätzung von Marktteilnehmern auf eine Kapitalaufnahme jenseits von 30 Mrd. Dollar kommen. Das entspräche dem weltgrößte IPO – noch vor dem des Ölgiganten Saudi Aramco und Alibaba, der in New York notierten Schwestergesellschaft von Ant Financial.Ein Blick auf das Ranking der führenden IPO-Plätze in diesem Jahr (siehe Grafik) zeigt, dass Ant Financial für sich genommen schon so viel an Kapitalaufnahme auf die Waage bringt wie alle bisherigen Hongkonger Börsengänge in diesem Jahr. Der Börsenbetreiber Hong Kong Exchanges, der in den vergangenen zehn Jahren sieben Mal vor den New Yorker Börsen den Spitzenplatz für sich beanspruchen konnte, dürfte also wohl auch in diesem Jahr wieder die Nasdaq abhängen. Kopf an Kopf mit SchanghaiOb das allerdings für den Spitzenplatz reicht, steht auf einem anderen Blatt. Auch in Schanghai streben massenhaft Tech-Unternehmen auf die IPO-Bühne mit dem Namen Star Market, die chinesischen Tech-Startups neue Finanzierungsalternativen verschafft. In diesem Jahr wird es also auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Schanghai und Hongkong hinauslaufen. Für Chinas Finanzmarktplaner ist das sicherlich eine besondere Genugtuung. Denn ein Szenario, in dem sich die Finanzplätze des Festlandes stärker profilieren, ohne gleichzeitig Hongkong ganz das Wasser abzugraben, ist genau das, was man in Peking unter Finanzplatzharmonie unter dem großen Parteidach versteht. Zuletzt erschienen: City geht flexibler in Post-Covid-Ära (25. August) Banker in der Krise (22. August)