LEITARTIKEL

Im Auge des Orkans

Erleben Deutschlands Banken derzeit die Ruhe vor dem Sturm? Oder blüht ihnen die Erkenntnis, dass sie sich längst im nahezu windstillen Zentrum eines Orkans befinden? 2020 könnte als Jahr in die Annalen eingehen, in dem der Branche klar wurde, dass...

Im Auge des Orkans

Erleben Deutschlands Banken derzeit die Ruhe vor dem Sturm? Oder blüht ihnen die Erkenntnis, dass sie sich längst im nahezu windstillen Zentrum eines Orkans befinden? 2020 könnte als Jahr in die Annalen eingehen, in dem der Branche klar wurde, dass es so nicht weitergehen kann.Seit sechs Jahren nun steht die Welt schon kopf – Kreditinstitute müssen der Europäischen Zentralbank (EZB) Geld geben, um dort Liquidität zu parken. Zwar haben etwa Deutschlands Sparkassen und Genossenschaftsbanken auch in dieser Zeit ihre Reserven gestärkt. Die werden sie aber auch brauchen, denn ein Ende des Zinstiefs ist nicht in Sicht. Unterdessen erodiert der Zinsüberschuss, während die Provisionseinnahmen ungeachtet aller Bemühungen nicht zulegen und die Aufwandsquote branchenweit auf kaum konkurrenzfähige 73 % geklettert ist.Wie viel Druck im Kessel herrscht, verdeutlichen beinahe täglich Meldungen von Instituten, die Entgeltsätze hochdrehen, Negativzinsen einführen, Prämiensparverträge kündigen, sich mit Blick auf Depositen in regionale Abwehrkämpfe stürzen oder, entgegen ihrem oft öffentlichen Auftrag, Filialen dichtmachen. Hinsichtlich ihrer Reputation ergibt dies eine ungute Mischung, die den Instituten schon bald unversehens um die Ohren fliegen könnte. In der Politik, deren Vertreter in dieser Frage oft über einen guten Instinkt verfügen, sind schon die ersten Distanzierungen zu registrieren, wenn etwa die Bundeskanzlerin die Sparkassen vor einem Rückzug aus der Fläche warnt oder der Bundesfinanzminister ein gesetzliches Verbot negativer Zinsen prüfen lässt.Globale Großbanken können Einlagen, mit denen Investoren sie hierzulande zuschmeißen, kurzerhand in andere Währungsräume umleiten. Sparkassen und Genossenschaftsbanken ist dies verwehrt, ebenso den kleinen Privatbanken, die überdies keinen Verbund im Rücken haben, um sich Kosten etwa der Regulierung zu teilen. Die großen Privatbanken liegen ohnehin danieder: Die Deutsche Bank hat den fünften Jahresverlust in Folge zu verarbeiten, die Commerzbank wiederum hat, weil im Zinstief ihr gesamtes Geschäftsmodell hakt, ihren Anspruch konsequent reduziert, wie sich an der nur mehr angepeilten Eigenkapitalrendite von 4 % ablesen lässt.Die Bankenaufsicht erhöht derweil den Druck. Der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) dient als Stellschraube dabei die Eigenmittelzielkennziffer für die Masse der kleinen und mittelgroßen Institute. 30 Häuser verfehlen derzeit die Vorgabe, welche die BaFin zuletzt im Mittel um einen Prozentpunkt erhöht hat. Zusammenschlüsse innerhalb der beiden Finanzverbünde, zu dieser Prognose gehört nicht viel, wird es auch 2020 geben.Einher geht dies mit einer verschärften Rhetorik: Im September attestierte BaFin-Präsident Felix Hufeld der Branche eine “Opfermentalität”; “Man muss an Strukturen ran”, erklärte er dann zum Jahreswechsel und dachte laut über das Ausscheiden von Banken aus dem Markt nach. Der Aufsicht fällt es leichter, Banken vorsorglich zum Umbau zu drängen, als hinterher in Schieflage geratene Häuser zu verarzten.Einzelne Institute, allesamt aus dem öffentlich-rechtlichen Lager, haben sich bereits in die Erkenntnis gefügt, dass Banken sich ihrem Umfeld anpassen müssen, wenn sich dieses nicht nach ihrem Geschäftsmodell richten mag: Die Helaba halbiert die Zahl ihrer Bereiche und die deren Leiter, die BayernLB legt das Kapitalmarkt- und das Firmenkundengeschäft zusammen, zugleich prüfen DekaBank und Helaba eine “vertiefte Zusammenarbeit” beziehungsweise Fusion. Andere Häuser müssen sich zu solchen Schritten noch durchringen. Die Commerzbank hat zwar den Verkauf ihrer Tochter MBank und die Integration der Comdirect beschlossen, nach wie vor aber leistet sie sich eine Vielfalt an Produkten, die so groß ist, dass sie deren Zahl auf Anfrage nicht beziffert.Auf europäischer Ebene barmt die Bankenaufsicht zwar schon seit langem Fusionen herbei. Jedoch: Die Häuser, die wie UBS dem Sektor am lautesten Konsolidierungsbedarf bescheinigen, sind zugleich jene, die Zusammenschlüsse für sich ausschließen. Tatsächlich schleppen gerade Deutschlands Großbanken noch immer Altlasten mit sich herum. Erst wenn sie diese weggeräumt haben, könnte jenseits der Grenzen der Appetit auf Übernahmen einsetzen, sofern der Sturm manches Haus bis dahin nicht fortgeweht hat.——Von Bernd Neubacher2020 könnte als Jahr in die Annalen eingehen, in dem die deutschen Banken anfingen, ihre Geschäftsmodelle umzustellen. ——