IM INTERVIEW: MARIJA KOLAK, BUNDESVERBAND DER DEUTSCHEN VOLKSBANKEN UND RAIFFEISENBANKEN

"Im digitalen Zeitalter Nähe anders definieren"

Die Präsidentin über die genossenschaftliche DNA in der Zukunft, die Vorteile der Basisdemokratie und die IT-Entscheidung der Sparda-Banken

"Im digitalen Zeitalter Nähe anders definieren"

– Frau Kolak, Banken stecken inmitten der Herausforderung, ihre Geschäftsmodelle dem digitalen Wandel anpassen zu müssen. Welches Zielbild haben dabei speziell die Genossenschaftsbanken vor Augen im Unterschied zu den Wettbewerbern?Das Zielbild der Genossenschaftsbanken setzt die Kunden und unsere Mitglieder an die erste Stelle. Alle Banken registrieren seit Jahren ein verändertes Kundenverhalten. Die fortschreitende Digitalisierung – getrieben durch Vorreiter wie Facebook, Amazon oder Google – gewöhnt die Kundinnen und Kunden immer stärker daran, dass sie auch digital quasi in Echtzeit Dinge erledigen können. Der Kunde möchte seinen bevorzugten Zugangskanal selbst wählen und auch nahtlos zwischen den Kanälen wechseln können. Wir wollen daher ein echtes Omnikanalangebot für den Privat- und den Firmenkunden entwickeln. Dafür ist eine Verzahnung aller Kontaktpunkte notwendig. Mit Blick auf den Kunden geht es also um den Ausbau des digitalen Bankings, verbunden mit einer persönlichen und hochwertigen Beratung. Aus Sicht der Bank geht es darum, die Kundenerwartungen zu erfüllen und sich im Wettbewerb zu behaupten, aber auch um Effizienz, Einsparpotenziale sowie das leichtere Erfüllen der regulatorischen Anforderungen mit Hilfe der Technik. Denn wir wollen auch noch im Jahr 2030 die ertragsstärkste Finanzgruppe in Deutschland sein.- Was sehen Sie als den stärksten Treiber des digitalen Wandels: den veränderten Kundenanspruch an die Banken, den Wunsch der Banken nach Effizienz oder die zunehmenden regulatorischen Pflichten für die Banken?An erster Stelle steht tatsächlich das veränderte Kundenverhalten. Die Gesellschaft, der Markt und der Wettbewerb verändern sich. Die Niedrigzinsphase beschleunigt diesen notwendigen Wandel. Jeden technologischen Trend aufzunehmen ist weder sinnvoll noch differenzierend oder nachhaltig. Entscheidend ist allein, was der Kunde macht und will. Daran muss sich unser Leistungsangebot ausrichten. Und übergeordnet wollen wir die Hausbank Nummer 1 für unsere Kunden bleiben, das heißt vertrauensvoller Begleiter über alle Lebensphasen des Privatkunden oder Zyklen eines Unternehmens hinweg. – Ihre bisherigen Antworten über Gründe und Ziele des digitalen Wandels sind deckungsgleich mit dem, was Sparkassen oder private Banken ebenfalls erzählen. Wo genau lässt sich denn überhaupt noch die genossenschaftliche DNA in dem von Ihnen skizzierten Zielbild des digitalen Wandels erkennen? Oder verschwimmen in der digitalen Zukunft die Unterschiede zwischen den verschiedenen Bankengruppen? Wir wollen natürlich keinen digitalen Einheitsbrei, sondern verfolgen unseren eigenen Weg. Wir werden uns auch künftig vom Wettbewerb unterscheiden, wir sind Genossenschaftsbanken und leben dies auch in der digitalen Welt. Neue digitale Möglichkeiten müssen zu unserem Geschäftsmodell passen. Natürlich bieten wir modernes und zeitgemäßes digitales Banking. Aber zugleich bleibt die Filiale ein wichtiger Anker unseres Geschäftsmodells. Hier geht es um die richtige Balance. Die Geschäftsstelle ist bedeutend für die Region: Es geht um die Förderung der Wirtschaft vor Ort, wie es in unseren Satzungen geschrieben steht und wie es von uns auch gelebt wird. Deswegen halten wir trotz Digitalisierung an der persönlichen Beratung und Präsenz vor Ort fest, sei es mit der Filiale oder dem Bankbus. Die Formate der Filiale mögen sich in Zukunft verändern, aber wir möchten weiterhin in der Region präsent sein. Wir leben Dezentralität. Unsere Banken agieren als eigenständige Unternehmen vor Ort. Sie kennen am besten ihren Markt und wissen, welche Formate vor Ort benötigt werden. Nicht zuletzt sind und bleiben wir Genossenschaftsbanken, die auf die Förderung ihrer Mitglieder setzen und die den Mittelstand vor Ort mit Krediten versorgen und so die Region unterstützen. – Filiale und Digitalangebote sollen bei den Genossenschaftsbanken enger verknüpft werden. Wieso reicht das bestehende Angebot mit den schon jetzt parallel vorhandenen Zugangswegen nicht aus in der Zukunft?Wir wollen mit Blick auf die wichtigen Entscheidungen im Leben früher beim Kunden eingebunden sein. Damit wollen wir ihm mehr Informationen oder Dienstleistungen als bislang anbieten. Nehmen wir zum Beispiel eine Baufinanzierung: Bislang kommt der Kunde mit einem konkreten Objekt zu seinem Berater und spricht über die Finanzierung. Er hat aber schon viel früher über seine Wohnsituation nachgedacht. Wir wissen, wie lange es gerade in der jetzigen Phase des Immobilienmarktes braucht, bis man eine geeignete Immobilie findet. Schon wenn unser Kunde nach Objekten sucht, wollen wir ihn unterstützen. Und zur jeweiligen Immobilie mit ein paar Mausklicks die passenden Finanzierungsangebote mitliefern. Das hilft ihm bei der Planung. Die frühere und individuellere Kundenansprache und Bedarfsanalyse wird auch durch die Digitalisierung unterstützt. Gelebte Kundenexzellenz ist es beispielsweise, wenn der Kunde bei seinem Berater nicht alles von vorn erzählen muss, wenn er die Modellrechnungen gemacht hat und Detailfragen zur Baufinanzierung hat und wenn er einen echten Mehrwert durch die persönliche Beratung erlebt. Kunden erwarten, dass der Datenfluss über die Kanäle hinweg funktioniert. In solche Themen müssen wir investieren.- Warum schließen die Genossenschaftsbanken eigentlich so kategorisch eine eigene gemeinsame Direktbank aus? Die genossenschaftliche Idee fußt auf Eigenverantwortung, Selbständigkeit, Subsidiarität und Solidarität. Das sind die Grundlagen unseres Erfolgs. Die dezentrale Aufstellung unserer Banken in den Regionen ermöglicht die unterschiedliche Abbildung der einzelnen Märkte, ob in Husum oder Freiburg. Das macht uns erfolgreich. Wenn wir darüber eine Einheitsschablone legen würden, würde es genau dies zunichtemachen. Es hat auch noch keiner den Beweis erbracht, dass Konzernstrukturen im Bankgeschäft nachhaltig erfolgreicher sind. – Das zwar nicht. Wenn man sich aber die Internetauftritte der einzelnen Volksbanken anschaut, lassen sich nur wenige Unterschiede ausmachen, das ist eher ein Einheitsbrei. Zudem ist der Kunde von heute sehr affin gegenüber Direktbanken, selbst wenn er Volksbankkunde ist. Und er macht doch auch Direktbankgeschäft, wenn er online seine Geschäfte bei der Volksbank abwickelt.Die beiden deutschen Finanzverbünde von Genossenschaftsbanken und Sparkassen kommen seit Jahren bei Spareinlagen konstant auf einen Marktanteil von 80 %. Der Anteil der Regionalbanken und sonstigen Kreditbanken, in der viele Direktbanken zu finden sind, hält sich stabil über die Jahre bei 10 %. Das heißt, die Mehrheit möchte keine reine Direktbank, sondern einen persönlichen Berater. – Aber auch in Ihrer Institutsgruppe gilt doch, dass die Kunden nur noch höchst selten in eine Filiale gehen.Das ist so. Die Frequenz in den Filialen sinkt, die unserer Kunden im Online-Bereich steigt. Wir alle sind sozialisiert über eine Geschäftsstelle. Im digitalen Zeitalter müssen wir aber Nähe anders definieren als früher. Immer mehr Menschen haben ihre Bank in der Tasche – also stets sehr nah bei sich und jederzeit anklickbar. Je nach Region wird es künftig also verschiedene Ausprägungen unseres Angebots geben. Je nach Bedarf werden dann zum Beispiel ältere Menschen eher Zugänge über das Telefon nutzen. Es wird aber auch weiter größere Beratungszentren geben.- Wird die genossenschaftliche Finanzgruppe durch den praktizierten basisdemokratischen Prozess, der mühselig alle Ortsbanken für Zukunftsentscheidungen mit ins Boot holt, beim digitalen Wandel im Vergleich zu einem Bankkonzern nicht unnötig ausgebremst?Nein. Basisdemokratie ist unsere Stärke. Entscheidungsfindungen in einer dezentralen Organisation sind zwar zeitaufwendig, aber damit auch nachhaltiger. Unser Meinungsbildungsprozess ist arbeitsintensiv, aber bereichernd. In einen intensiven Dialog mit unseren Bankvorständen einzutreten war für uns immer nachhaltig erfolgreich. Dadurch gibt es jede Menge wertvolle Anregungen. Gerade für den digitalen Wandel braucht es Agilität, Beteiligung und Vernetzung – und keinen Top-down-Ansatz. Wir vom BVR moderieren auch in unserer Rolle als Strategieführer die basisdemokratischen Entscheidungsprozesse. – Was ist denn der Stand der Diskussionen, die Sie mit den Bankvorständen zum Thema Digitalisierungsoffensive führen, auch in Vorbereitung Ihrer Bankwirtschaftlichen Tagung und Mitgliederversammlung vom 20. Juni bis 22. Juni 2018 in Berlin?Ich bin durch die Regionen gereist, und wir haben diskutiert, uns ausgetauscht und intensiv beraten. Da wir noch keinen Beschluss gefasst haben, bitte ich um Verständnis, dass ich Ihnen nicht mehr darüber erzählen kann. Grundlage ist unser Projekt Kundenfokus 2020 – neben IT, Prozessen, Steuerung et cetera haben auch Personal- und Qualifizierungsthemen eine hohe Relevanz für die Weiterentwicklung unseres Geschäftsmodells. – Welche Rolle werden denn säulenübergreifende Projekte zwischen den Bankengruppen spielen, wie Kwitt oder Paydirekt? Wird es weitere Zusammenarbeit geben?Das wird die Zeit zeigen. Wir lernen gemeinsam aus solchen Projekten. Gerade das Thema Peer-to-Peer-Überweisung, die wir unter dem Namen Kwitt mit den Sparkassen auf den Weg gebracht haben, zeigt, wie innovationsfreudig die Banken sind. Und wir sehen, dass Kwitt von den Kunden hervorragend angenommen wird. In Zukunft wird es etwa um die künstliche Intelligenz gehen: Was kommt da auf uns zu? Welche Angebote werden die großen Internetanbieter wie Google oder Alibaba mit Blickrichtung auf das Bankgeschäft entwickeln? Das werden wir natürlich auch in der Deutschen Kreditwirtschaft gemeinsam diskutieren, immer mit dem Ziel, den Finanzplatz Deutschland zu stärken. Daraus werden sich womöglich weitere gemeinsame Projekte ergeben.- Die IT rückt im Digitalisierungsprozess immer weiter nach vorn in der Bedeutung für das Bankgeschäft. Ist die Fiducia & GAD IT für diesen neuen Anspruch richtig aufgestellt und auch finanziell gerüstet?Mit der Fusion der zwei IT-Dienstleister zur Fiducia & GAD IT haben wir eine wichtige strategische Weichenstellung vorgenommen. Dies entsprach dem Wunsch unserer Mitglieder nach einem einheitlichen Bankverfahren durch bundesweit nur noch einen Dienstleister für Informationstechnologie. Bis 2020 dauert die Migration noch – ein erheblicher Aufwand. Unser IT-Dienstleister befindet sich im Wandel, um bereits jetzt effizienter und schneller auf die Marktanforderungen sowie die Bedürfnisse unserer Banken reagieren zu können. – Statt der versprochenen Einspareffekte und damit einer geringeren Kostenbelastung der Genossenschaftsbanken durch die Fusion in der IT wird es bald eine Sonderumlage für die Fiducia & GAD IT geben.Das betrifft die erwähnten geplanten und notwendigen IT-Zukunftsinvestitionen. Diese Umlage ist eine temporäre Preiserhöhung. Darüber hinaus ist die Fiducia & GAD IT AG dabei, die versprochenen Synergien von jährlich 125 Mill. Euro ab 2020 zu heben, was eine Entlastung bei den Kosten mit sich bringen wird. – Was ist die Kernaufgabe der Fiducia & GAD IT beim digitalen Wandel?Wir alle – Banken, Verbundunternehmen oder Verbände – müssen uns dem Wandel stellen. Das bedeutet für die Fiducia & GAD, neben der Mammutaufgabe Fusion und Migration auch noch Zukunftsprojekte zu stemmen. Hierfür braucht es bestimmte Voraussetzungen. Agile Projektorganisation zum Beispiel und intensive Vernetzung. Das haben wir bereits neu aufgegleist. Derzeit wird die Mannschaft für unser Zukunftsprojekt rekrutiert. – Ein künftig einheitliches IT-System durch den fusionierten IT-Dienstleister steht vielleicht ein wenig im Widerspruch zu der genossenschaftlichen Eigenständigkeit bei den Angeboten der einzelnen Banken vor Ort. Wie viel Individualität ist noch möglich in einem einheitlichen System?Im Kundenkontakt sind Prozesse, Leistungsversprechen und verlässliche Kundenorientierung von Relevanz. Es geht um die Beziehung zum Kunden. Genau diese entscheidet den Wettbewerb. Die Technik dahinter muss funktionieren wie Strom aus der Steckdose, sie schafft damit die Grundlagen. Wir aber wollen uns über den Faktor Mensch im Wettbewerb differenzieren, also durch unsere Bankmitarbeiter. Und diese unterscheiden sich von denjenigen anderer Anbieter. Sie identifizieren sich stark mit ihrer Region. Aber auch unsere Bankvorstände sind nicht auf dem Sprung zur nächsten Karrierestation, sie haben vor Ort ihren Lebensmittelpunkt und kennen ihr Marktgebiet. Die IT unterstützt uns durch standardisierte Prozesse zum Beispiel im Service, im Meldewesen und so weiter. Im Kundengeschäft geht es aber um individuelle Prozesse und auf den Kunden zugeschnittene Lösungen und Angebote.- Und inwieweit lässt ein einheitliches System den Ortsbanken den Spielraum, vor dem Hintergrund der Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 über Schnittstellen mit diversen Drittanbietern aus dem Fintech-Universum oder anderen Anbietern individuell vor Ort zusammenzuarbeiten?Auch über das Zukunftsthema PSD2 und damit Themen wie die Ausweitung der Wertschöpfungskette, die Identifizierung von Drittdienstleistern und die Authentifikation von Transaktionen machen wir uns im Rahmen unseres digitalen Zukunftsprojekts Gedanken. Hierfür erarbeiten wir Lösungen. Gerade darüber können wir das Thema Regionalität wunderbar spielen. Es lassen sich eigene Ökosysteme und Plattformen entwickeln, die wir ohnehin heute schon in den Banken vor Ort haben, denn das ist unser regionaler genossenschaftlicher Ansatz. Die Banken haben Anbindungen zu den regionalen Händlern und zu ihren Firmenkunden. Diese würden gerne den anderen Mitgliedern der Bank ihre Leistungen und Produkte anbieten. Hierbei hilft PSD2 enorm.- Die Gruppe der Sparda-Banken stemmt sich gegen die genossenschaftliche IT-Einheit und versucht, technisch weiter eigene Wege zu gehen. Zwar wechseln drei von ihnen zur Fiducia & GAD IT. Aber die anderen wollen beim eigenen Dienstleister Sparda-Datenverarbeitung bleiben, der nun womöglich einen IT-Dienstleister von außerhalb der Finanzgruppe an die Seite gestellt bekommt, statt dass auch die Sparda-Banken zu Fiducia & GAD wechseln. Haben Sie dafür Verständnis? Die übrigen Sparda-Banken, die nicht schon ihren Wechsel zu Fiducia & GAD IT bekundet haben, befinden sich in einem intensiven Auswahlprozess. Natürlich bleibt unsere Stoßrichtung weiterhin, unseren IT-Dienstleister schlagkräftig weiterzuentwickeln. Es würde uns freuen, wenn alle Banken in diese Richtung gehen. Die Entscheidung der Sparda-Gruppe ist noch völlig offen. Die Kollegen werden ihre Antwort darauf finden, was für ihre digitale Zukunft richtig ist. – Sollten sich die übrigen Sparda-Banken aber für einen IT-Dienstleister von außerhalb der genossenschaftlichen Gruppe entscheiden, driftet doch die Spezialgruppe der Sparda-Banken auseinander. Macht Ihnen das keine Sorgen?Nein. Bei einem Auswahlprozess ist es zwangsläufig so, dass man sich verschiedene Anbieter anschaut. Maßgeblich ist immer, was die Mitglieder entscheiden. Der Sparda-Verband ist ein spezialisierter Prüfungsverband, für den sich die Mitglieder entschieden haben. Sie sind rechtlich und wirtschaftlich eigenständig. Wir sind zuversichtlich, dass sie im Rahmen ihrer genossenschaftlichen Orientierung für die Zukunft die richtige Entscheidung treffen. Die Sparda-Gruppe umfasst 4,2 Millionen Kunden und 71 Mrd. Euro kumulierte Bilanzsumme. Ihre Eigenständigkeit ist ihre Entscheidung. Wir haben ein gut funktionierendes Miteinander. Den Sparda-Verband gibt es immerhin schon seit 1906.—-Das Interview führten Silke Stoltenberg und Bernd Wittkowski.