Im Wahlkampfmodus bei Wirecard
Von Stefan Paravicini, Berlin
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum milliardenschweren Bilanzbetrug beim insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard hat spätestens mit der Vernehmung des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz in den Wahlkampfmodus umgeschaltet. Während die Vertreter der Union im Ausschuss gestern also scharfe Attacken gegen den Finanzminister fuhren und dabei so weit gingen, manche Aussage des Ministers als „nicht glaubhaft“ zurückzuweisen, nutzten die Vertreter der SPD ihre Redezeit vor allem dazu, die Kollegen von CDU/CSU zurechtzuweisen und Scholz aufreizend lockere Frage-Bälle zuzuwerfen, die der nach Möglichkeit im Tor von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) unterbringen sollte.
Je näher die Bundestagswahl rückt, desto häufiger spricht die SPD im Zusammenhang mit Wirecard von einem Wirtschaftsprüferskandal, der in den Einflussbereich des Wirtschaftsministeriums fiele, während die Union hinter dem Betrug vor allem einen Aufsichtsskandal in der Verantwortung des Finanzministeriums vermutet. Der Wirtschaftsminister hatte die Einschätzung der SPD bereits bei seiner Befragung am Montag zurückgewiesen. Gestern war es an Scholz, die Lesart der Union zu entkräften.
Befragung steht auf der Kippe
Dass Scholz dabei durchaus erfolgreich war, lässt sich schon daran ablesen, dass drei unspektakuläre E-Mails von privaten Accounts des Ministers für die größte Aufregung während der Befragung sorgten. Nachdem Matthias Hauer (CDU), der Obmann der Union im Ausschuss, Scholz die Mails mit Berührungspunkten zu Wirecard vorgelegt hatte, die dieser nicht von seinem dienstlichen Account versendet hatte und nach Hauers Ansicht auch nicht vom Finanzministerium veraktet und dem Ausschuss vorgelegt wurden, beantragte der CDU-Mann eine Unterbrechung der Befragung. Nach einer Beratungssitzung wurde Scholz ermahnt, dem Beweismittelbeschluss des Ausschusses nachzukommen. Die Unionsvertreter sollen in der Beratung eine Vertagung der Befragung ins Spiel gebracht haben. Hauer erklärte, dass er die Aussagen des Ministers zum Gebrauch von privaten E-Mail-Konten weder für glaubhaft noch für sachgerecht halte.
Auch Jörg Kukies, Staatssekretär im Finanzministerium, der in der Nacht zum Donnerstag im Ausschuss aussagte, konnte beim Thema Transparenz keine Pluspunkte sammeln. Angesprochen auf die schmallippige Antwort des Ministeriums auf eine parlamentarische Anfrage des Linken-Abgeordneten Fabio De Masi, in der es um die Kenntnisse des Staatssekretärs über das von der BaFin im Februar 2019 verfügte Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien ging, rechtfertigte sich Kukies damit, dass die Frage zu konkret gestellt war. Eine ähnliche Nachfrage der Grünen-Abgeordneten Lisa Paus beantwortete er mit dem Hinweis, sie hätte ihre Anfrage an das Ministerium nicht so allgemein halten sollen.
In Untersuchungsausschüssen birgt der Umgang mit der Untersuchung für die Verantwortlichen häufig die größeren Gefahren als der Untersuchungsgegenstand. Abgesehen von den beanstandeten Transparenzmängeln im Umgang mit dem Ausschuss blieb in mehr als 15 Stunden Befragung von Scholz und Kukies wenig von den Vorwürfen gegen das Finanzministerium hängen. Dass der Minister 2019 nicht über das von der BaFin geplante Leerverkaufsverbot unterrichtet worden sei, könne er sich nicht vorstellen, erklärte der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach. „Ich weiß nicht, was Sie sich vorstellen können oder nicht, aber ich kann Ihnen sagen, was ist“, entgegnete Scholz trocken.