Immer mehr, schneller und billiger funktioniert nicht

Gemeinsamkeiten der Fonds- und der Automobilindustrie - Warum Technik nicht zwangsläufig weniger Risiko bedeutet

Immer mehr, schneller und billiger funktioniert nicht

Es ist interessant und lehrreich, zwei eigentlich sehr unterschiedliche Branchen einmal bezüglich Produktion, Sicherheit und Infrastruktur miteinander zu vergleichen. Die Fondsindustrie hat sich in den letzten Jahren sehr stark an der Automobilindustrie orientiert, in einer ersten Phase vor allem an der Produktionskette und in den letzten Jahren auch an den Sicherheitsstandards. Fachleute für TeilbereicheIn der erstgenannten Phase versuchte man, die Fließbandproduktion eines Fahrzeugs auf die Berechnung des Nettoinventarwerts (NIW) zu übertragen und somit an die Standards der Automobilindustrie anzupassen. Man verfolgte die Zielsetzung, schneller und effizienter zu produzieren, um vor allem die Kosten in diesem Niedrigmargenumfeld unter Kontrolle zu halten. Dies hat dazu geführt, dass man die Berechnung eines NIW nicht mehr von einem Fondsbuchhalter durchführen ließ, sondern den ganzen Prozess in verschiedene (Sub-) Prozesse aufteilte und in Kompetenzzentren bündelte. Als Konsequenz aus diesem Ansatz verfügt man ausschließlich über Spezialisten für Teilbereiche, aber niemand kennt mehr einen einzelnen Fonds in seiner Gesamtheit.In der zweiten Phase wurden Teilbereiche dieser Arbeiten in sogenannte Billiglohnländer übertragen. Somit kauft der Kunde im Grunde ein Produkt mit einem bestimmten Markennamen (Brand) und Kennzeichen, bei dem die Herstellung aber sehr oft größtenteils in einem vom gewünschten Standort und damit verbundenen Qualitätsanspruch abweichenden Land erfolgt.Eine Parallele zur Automobilindustrie kann auch im Hinblick auf die Sicherheitsfaktoren gezogen werden. Die Automobilindustrie war zuerst darauf ausgerichtet, die Fahrzeuge immer schneller zu machen. Als die Anzahl der Verkehrsunfälle (oft mit fatalen Auswirkungen) anstieg, wurde die Sicherheitsausstattung verbessert, um die Unfallrisiken zu reduzieren.Ganz ähnlich ist man auch in der Fondsindustrie verfahren. Dort hat man zunächst mit Ucits III und anderen Strukturen (SIF) eine Basis geschaffen, um die Komplexität der diversen Fondsstrukturen zu erhöhen. Erst danach wurden regulatorische Änderungen eingeführt, um eine bessere Kontrolle der Risiken sicherzustellen. Die Folge ist nun eine Flut regulatorischer Auflagen wie Ucits IV, EMIR, AIFMD, Dodd-Frank-Act mit dem Ziel, dem Endinvestor ein größeres Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.Aber ist eine strengere Regulierung der Fondsindustrie wirklich der einzig richtige Weg? Ich denke nicht, und ich möchte die weiteren Parallelen zur Automobilindustrie erläutern.Wir leben in einer Zeit, in der “Vintage” angesagt ist. Auch ich habe mich angepasst und besitze zwei Oldtimer der Baujahre 1962 und 1967, mit denen ich regelmäßig Touren unternehme und auch zur Arbeit ins Büro fahre. Seitdem ich diese Glanzstücke besitze, ist mir aufgefallen, dass ich viel bewusster Auto fahre und dies vor allem, da ich ein mündiger Lenker bin, das heißt, ich muss mich vor allem auf mich selbst verlassen. Ich muss proaktiv fahren, muss früher bremsen, da die alten Bremsen nicht so leistungsfähig sind wie die heutigen Bremsanlagen. Keine AblenkungDies ist aber auch viel einfacher, da ich in dem Auto nicht durch übermäßige Ausstattung abgelenkt werde. Außer dem Lenkrad, den drei Pedalen und drei bis vier Knöpfen gibt es nicht mehr viel in dem Fahrzeug, so dass ich mich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Der Fokus liegt auf dem Wagen, der Straße, eventuellen Gefahren und ich werde nicht abgelenkt durch Bordcomputer, Radio oder sonstige technische Spielereien.Ich bin auf mich allein gestellt und kann mich nicht wie in einem modernen Fahrzeug auf die Technik wie zum Beispiel das akustische Signal der Einparkhilfe verlassen. Der entsprechende Sensor in meinem Wagen jüngeren Baujahrs hat übrigens letztens beim Rückwärtsfahren eine Schranke nicht erkannt, die sich auf Höhe der Fensterscheibe befand, wodurch mir erhebliche Kosten entstanden sind. Illusorischer EindruckSind wir nicht im Begriff, in der Fondsindustrie das gleiche Sicherheitsgefühl zu vermitteln, und geht der Trend nicht sogar so weit, dass wir den Investor “entmündigen”? Wir vermitteln ihm den Eindruck, dass er ein Produkt kauft, das ihm volle Sicherheit und gute Performance bietet. Dies aber ist illusorisch, da ein Unfall mit Schadensfolge nie auszuschließen ist, weder bei einem Wagen, der mit allen Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet ist, noch bei einem Investmentfonds, der alle neuen regulatorischen Auflagen erfüllt.Eine andere Parallele kann man zwischen dem Unterhalt des Wagens und dem Verstehen und der Entwicklung des Nettoinventarwerts ziehen. Bei meinen alten Wagen trage ich die volle Verantwortung, denn ich muss nach dem Öl, den Zündkerzen und anderen Verschleißteilen selbst schauen und kann zum größten Teil auch selbst Hand anlegen. Falls dies nicht machbar ist, gehe ich zu einem Spezialisten, der mir sehr schnell helfen kann. Bei einem regulären Fahrzeug nach heutigen Standards muss ich mich vollständig auf die Elektronik verlassen und kann nicht einmal den Ölstand selbst kontrollieren. Entsprechende Status- und Fehlermeldungen blinken häufig falsch, zu spät oder zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt auf. Fahre ich dann in die Fachwerkstatt, wird das Fahrzeug zuerst zur Diagnose an einen Computer angehängt, bevor ich erfahre, was die Ursache für eine Fehler- oder Warnmeldung ist.Diesen Trend sehe ich auch in der Fondsindustrie. Für den Investor wird es zunehmend schwierig, den Durchblick bei den Produkten zu wahren. Man verlässt sich zu sehr auf die sogenannten Warnsignale, die jedoch vielfach zu spät auftauchen. Damit ist die Gefahr groß, dass es zu einem (wirtschaftlichen) Totalschaden kommt.Eine dritte Parallele, die ich aufzeigen möchte, ist das Infrastrukturproblem. Die Straßeninfrastruktur ist oft nicht mehr den PS-starken Fahrzeugen angepasst und die Lenker überschätzen ihre Fahrkünste oftmals, was zu Unfällen führen kann. Eine ähnliche Schwierigkeit gibt es auch in der Fondsindustrie. Eine große Anzahl von Dienstleistern bieten Depotbank- und Fondsadministrationsleistungen an. Doch nicht alle sind in der Lage, sämtliche Fondsarten abzudecken. Um dennoch Geschäfte zu gewinnen, werden Dienstleistungen für alle Fondsarten angeboten, obwohl die Infrastruktur für höchst komplexe Strukturen gar nicht geeignet ist. Daher sollte es – wie im Straßenverkehr – klare Auflagen geben, wer was machen darf. Investor nicht entmündigenIch will mit dieser Darstellung sicher nicht zum Ausdruck bringen, dass die Fondsindustrie auf dem falschen Weg ist. Sicher sind sehr gute Vorkehrungen getroffen worden, damit die Fondsindustrie auch in Zukunft erfolgreich ist und sich für den Endanleger Investitionen in Fondsstrukturen attraktiv gestalten. Dennoch glaube ich, dass sich einiges verbessern lässt. Hier denke ich vor allem an die Investoren. Wir dürfen den Investor nicht entmündigen – im Gegenteil: Die Fondsindustrie muss den Investor besser ausbilden, damit er Investmententscheide selbst fällen kann, damit er das Produkt besser versteht, damit er potenzielle Risiken selbst erkennt.Auch muss man sich vom Gedanken “immer mehr, immer schneller, immer billiger” verabschieden. Denn auch das neueste Automodell ist am sichersten, wenn es mit angemessenem Tempo und auf gut ausgebauten Straßen gefahren wird. Der Investor sollte auch wissen, dass es eine vollumfassende Sicherheitsgarantie nie geben kann. So wie man beim Lenken eines Wagens Gefahren ausgesetzt ist, so geht man auch beim Kauf eines Investmentfonds Risiken ein.Ich bin überzeugt, dass die Anleger in Zukunft noch viel Freude mit ihren Investmentfonds haben werden, wie auch ich mit meinen beiden Oldtimern. Ich habe übrigens diese beiden Kaufentscheide nie bereut und ich hoffe, dass dies auch bei den Fondsanlegern der Fall sein wird.—-Die Aussagen des Verfassers dieser Publikation stellen seine aktuellen Ansichten dar und entsprechen nicht notwendigerweise den Ansichten oder Aussagen der Credit Suisse AG oder ihrer Tochtergesellschaften. Die in dieser Publikation geäußerten Meinungen können deshalb von den von der Credit Suisse AG oder ihren Tochtergesellschaften kommunizierten oder publizierten Meinungen abweichen. —-Von Jean-Paul Gennari, Chief Executive Officer Credit Suisse Fund Services (Luxembourg) S.A.