Immobilienmarkt zeigt sich in der Krise bislang robust

Nachlassende Dynamik auf Teilmärkten - Transaktionsvolumina sind weiterhin hoch - Regulatorische Großprojekte in Zeiten von Covid-19 kritisch hinterfragen

Immobilienmarkt zeigt sich in der Krise bislang robust

Mit Beginn des zweiten Halbjahres 2020 werden die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Volkswirtschaft zunehmend sichtbar. Die zahlreichen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus haben die wirtschaftliche Entwicklung stark beeinträchtigt: Hotels und Restaurants mussten zeitweise schließen, produzierende Betriebe riefen Kurzarbeit aus, Sportereignisse und das kulturelle Leben fanden kaum mehr statt. Mittlerweile können die volkswirtschaftlichen Effekte auch quantifiziert werden: Dem Statistischen Bundesamt zufolge schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal 2020 um 9,7 % im Vergleich zum Vorquartal, der stärkste Rückgang des Bruttoinlandsproduktes seit Beginn der quartalsweisen Veröffentlichung der Daten im Jahr 1970.Die Entwicklung auf dem deutschen Immobilienmarkt zeigt derzeit ein deutlich stabileres Bild, wenn auch mit nachlassender Wachstumsdynamik. Der auf realen Transaktionsdaten basierende Immobilienpreisindex des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp) stieg im zweiten Quartal 2020 auf 166,4 Punkte, ein Plus von insgesamt 5,5 % gegenüber dem Vorjahresquartal. Der Preisanstieg bei Eigenheimen lag bei über 7 %, die Preise für Eigen-tumswohnungen legten im gleichen Zeitraum um nahezu 6 % zu, Mehrfamilienhäuser verzeichneten ein Plus von mehr als 5 %. Bei Gewerbeimmobilien betrug der Preisanstieg nur noch knapp 4 % im zweiten Quartal – im ersten Quartal lag das Plus noch über 5 %. Der Immobilienmarkt präsentiert sich also auch in der Krise weiterhin robust, wenn auch mit tendenziell nachlassender Dynamik. Ein massiver Preisrückgang, wie er bisweilen prognostiziert wurde, ist derzeit jedenfalls trotz des pandemiebedingten, dramatischen Einbruchs der deutschen Wirtschaft im zweiten Quartal nicht zu erkennen. Doch auch sichtbare SpurenEin tieferer Blick in die Preisentwicklung auf den Gewerbeimmobilienmärkten offenbart jedoch, dass die Covid-19-Pandemie bei aller erfreulichen Stabilität eben doch Spuren auf dem Immobilienmarkt hinterlässt: Der Preisanstieg für Gewerbeimmobilien war deutlich geringer als in den Vorquartalen. Preise für Einzelhandelsimmobilien sanken sogar um 1,3 %, die Pandemie verstärkte den schon vorher vorhandenen Trend zum Onlinehandel. In Erwartung einer beschleunigten Fortsetzung dieser Entwicklung gaben nicht nur die Preise, sondern auch die Neuvertragsmieten für Einzelhandelsflächen im Jahresvergleich um fast 2 % nach.Wenig überraschend verringerte sich auch die Nachfrage nach Büroflächen im zweiten Quartal 2020 deutlich. Ob dieser Nachfragerückgang nur temporärer Natur ist oder sich eine strukturelle Verschiebung abzeichnet, beispielsweise durch einen höheren Anteil von Home- office-Arbeitsplätzen lässt sich derzeit noch nicht seriös vorhersagen. Da das Flächenangebot vor Beginn der Pandemie allerdings vielerorts zu gering für die hohe Nachfrage gewesen ist, waren die bisherigen Auswirkungen auf die Preisentwicklung am Markt begrenzt – man könnte es als Normalisierung einer zuvor angespannten Marktsituation bezeichnen: Büroimmobilien verteuerten sich weiterhin, im zweiten Quartal ist ein Preisanstieg um über 6 % zu verbuchen.Ein ähnliches Bild liefern die Halbjahres- beziehungsweise Quartalszahlen zu den Transaktionsvolumina des Immobilienberaters CBRE: Laut Auswertung des ersten Halbjahres 2020 weist das Transaktionsvolumen bei Gewerbeimmobilien mit 29,3 Mrd. Euro im ersten Halbjahr 2020 ein Plus von 21 % im Vergleich zum bereits starken Vorjahresergebnis auf. Allerdings wird dieses Plus von einem starken ersten Quartal getragen, das Transaktionsvolumen bei Gewerbeimmobilien ging im zweiten Quartal 2020 merklich zurück.Das aktuelle Bild ist also von Assetklasse zu Assetklasse sehr heterogen und steht im deutlichen Kontrast zur Wachstumsdynamik der Jahre 2010 bis 2019, die angesichts der Verteuerungen über alle relevanten Teilmärkte hinweg mit Fug und Recht das “Jahrzehnt der Immobilie” genannt werden. Über eine Dekade lang befand sich der deutsche Immobilienmarkt im Aufschwung: Bauinvestitionen und Transaktionsvolumina nahmen in dieser Zeit kontinuierlich zu, ebenso die Kreditvergabe der immobilienfinanzierenden Banken.Ob die coronabedingte Beruhigung und teilweise sogar Abschwächung des Marktes das Ende dieser Phase des scheinbar unaufhaltsamen Booms markiert, kann zum heutigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilt werden. Dafür kommt es entscheidend darauf an, ob es einen zweiten Lockdown mit absehbar gravierenden Folgen geben wird oder nicht, wie schnell und tiefgreifend sich die wirtschaftliche Erholung vollzieht und ob sich die coronabedingten Nachfrage- und Verhaltensänderungen von Marktteilnehmern verfestigen oder nicht. Kaum StundungsanträgeAnträge für Stundungen von Immobilienkrediten registrierten die vdp-Mitgliedsinstitute bislang nur in eher geringem Umfang – dies gilt sowohl für das staatliche Moratorium nach Art. 240 §3 EGBGB als auch für das Moratorium für Finanzierungen von Gewerbeimmobilien, das der Verband deutscher Pfandbriefbanken gemeinsam mit seinen Mitgliedsinstituten im Zuge der Krise entwickelt hat. Eine Umfrage unter den vdp-Mitgliedsinstituten hat ergeben, dass im Wohnimmobilienfinanzierungsgeschäft mit Privatkunden für rund 2,0 %, im Wohnimmobilienfinanzierungsgeschäft mit Unternehmenskunden für 0,3 % des Darlehensvolumens Stundungen vereinbart wurden. Beim Gewerbeimmobilienfinanzierungsgeschäft meldeten die Pfandbriefbanken Stundungen für rund 2,3 % des Darlehensbestandes.Direkte pandemiebedingte finanzielle Belastungen halten sich bei den Pfandbriefbanken somit bislang in Grenzen und niemand erwartet aktuell, dass sich das in den nächsten Monaten ändert. Dass die Institute umgehend begonnen haben, Risikovorsorge zu bilden, und diese in den nächsten Monaten auch weiter steigen dürfte, ist Ausdruck ihrer besonnenen Reaktion auf die Pandemie und ihre erwarteten Folgen. Die Covid-19-Krise kann Berechnungen der European Banking Authority (EBA) zufolge bei der Kreditwirtschaft insgesamt zu einem merklichen Rückgang beim harten Kernkapital führen, im Wesentlichen bedingt durch Wertberichtigungen und Abschreibungen im Kreditportfolio. Kreditversorgung hat PrioritätDie Pfandbriefbanken plädieren vor diesem Hintergrund dafür, regulatorische Großprojekte kritisch zu hinterfragen und zusätzliche massive administrative und kostenmäßige Belastungen zu vermeiden, damit die Banken der Kreditversorgung zur Krisenbewältigung weiterhin Priorität einräumen können. Jede weitere Verschärfung der Kapitalanforderungen wäre zurzeit eindeutig kontraproduktiv. Überdies muss auch die Frage erlaubt sein, ob das überhaupt erforderlich ist. Denn wenn das Bankensystem diesem realen “Stresstest” der Pandemie auf Basis der in den vergangenen zwölf Jahren verschärften Bankenregulierung standhält, kann man das ja vielleicht auch als Zeichen werten, dass es weiterer Verschärfungen nicht bedarf.Käme es dennoch zu einer Einschränkung des Handlungsspielraums der Banken bei der – zur Bewältigung der Krise politisch gerade jetzt ausdrücklich gewollten – Kreditvergabe durch eine noch härtere Regulierung, wäre dies beispielsweise mit Blick auf die geplante “Renovation Wave” für einen emissionsärmeren und nachhaltigeren Gebäudebestand in der Europäischen Union (EU) extrem nachteilig. Für dieses Unterfangen, das als Teil des “Green Deal” der EU-Kommission zum Erreichen der europäischen Klimaschutzziele erklärtermaßen prioritär ist, müssen milliardenschwere Investitionen erfolgen, deren Finanzierung wohl unstreitig wesentlich von den Banken bereitgestellt werden muss. Sie können solche Summen aber nur stemmen, wenn der regulatorische Rahmen ihnen dies ermöglicht. Jens Tolckmitt, Hauptgeschäftsführer des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp)