In vielen Branchen stark
Dr. Harald VogelsangVorsitzender des Finanzplatz Hamburg e.V.Im Herbst 2020 steht das weltweite Wirtschaftsgeschehen seit mehr als einem halben Jahr weiterhin maßgeblich unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie und ihrer Bewältigung. Hamburg als wichtiger deutscher Finanzplatz und Wirtschaftsstandort bildet hier keine Ausnahme. Nachdem ein nicht allumfassender, aber doch umfänglicher Lockdown im Frühjahr Bürger, Mitarbeiter und Unternehmen abrupt getroffen hat, ist die Wirtschaft nun auf einen fragilen Erholungspfad eingeschwenkt. Als Tourismusmagnet, Luftfahrtstandort, Logistikdrehscheibe und Shopping-Metropole wurden Stadt und Metropolregion zweifelsfrei hart von der Krise getroffen. Trotzdem sind die Voraussetzungen aus verschiedenen Gründen gut, auch diese Krise erfolgreich zu bestehen. Ein gut funktionierender Finanzplatz, der sich in einer Krise wie der derzeitigen bewährt hat, spielt dabei eine wichtige Rolle. In der Krise zahlt sich aus, dass die Mehrzahl Hamburger Unternehmen langfristige und gefestigte Beziehungen zu den Instituten der Kreditwirtschaft am Finanzplatz unterhalten. Hamburg war nie ein “Finanzplatz per se”, sondern immer schon ein Standort mit einem vielfältigen Angebot an Finanzdienstleistungen, die harmonisch zu den Anforderungen der diversifizierten mittelständischen Wirtschaft passen und deren Geschäfte ermöglichen und unterstützen. Dies ist selbst an einem Industriestandort wie Deutschland bei weitem nicht selbstverständlich und in Zeiten der Krise umso wertvoller. Vertrauen ist die Basis für eine dauerhafte Zusammenarbeit – gerade auch in schweren Zeiten.Hamburg profitiert zudem von einem breiten Branchenmix und einer mittelständisch geprägten Struktur, die den Wirtschaftsstandort ausmacht. In Gänze erzeugt dies eine größere Resilienz gegen Auswirkungen der Krise. Hamburg ist eben nicht nur ein Tourismus- oder Logistikstandort, sondern in vielen Branchen stark. Zu nennen sind hier etwa die Bereiche Gesundheitswirtschaft und Life Science, IT, Industrie und auch die Finanzwirtschaft. Zweifelsfrei zeigen sich auch in diesen Bereichen die Auswirkungen der Krise, aber die Effekte treten durch die heterogene Struktur der Wirtschaft weniger geballt und zeitlich entzerrt auf. Schon frühzeitig nach dem externen Schock der beginnenden Pandemie haben die maßgeblichen Akteure am Finanzplatz Hamburg in enger Zusammenarbeit mit den Institutionen der Stadt reagiert und mit dem “Hamburger Schulterschluss zur Umsetzung des Corona-Schutzschirms” eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme geschaffen. Sie haben vereinbart, durch möglichst unbürokratische Prozesse auf Seiten der Stadt und der mit der Durchleitung der Gelder betrauten Banken die volle Ausschöpfung staatlicher Hilfsleistungen für die Unternehmen am Wirtschaftsstandort Hamburg zu ermöglichen. Von Seiten der beteiligten Kreditinstitute wurden dafür enorme Leistungen erbracht, Liquidität gesichert und Unternehmenskunden intensiv unterstützt. Zugleich – und auch hierfür gebührt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Instituten hohe Anerkennung – wurde der überlebenswichtige Finanzkreislauf wo nötig auch durch Präsenz vor Ort aufrechterhalten. Denn bei aller Wichtigkeit digitaler Lösungen sollte die Finanzwirtschaft auch für die Bürger und Unternehmer da sein, die aus verschiedenen Gründen keine digitalen Angebote nutzen können. Die schnelle und konsequente Reaktion der Bundes- wie auch der Hamburger Politik, der Coronakrise durch massive Finanzhilfen und Unterstützungen zu begegnen, war gut und richtig. Nun gilt es, die getroffenen Maßnahmen nachzujustieren und perspektivisch die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das gilt etwa für einen Ausstieg aus den Hilfen, der schrittweise erfolgen sollte und zweifellos mit einigen Herausforderungen verbunden sein wird. Jenseits finanzieller Unterstützung sollte das Augenmerk zukünftig noch stärker darauf liegen, den Unternehmen zu helfen, eigenes Geld zu verdienen, und den Bürgern zu helfen, das ihrige gewinnbringend anzulegen. Hier sollten kreative Wege gesucht und umgesetzt werden, solange sie nicht die Gefahr eines zweiten Lockdowns befördern. Bespielhaft kann dabei etwa an die vereinfachte Beantragung temporärer Nutzflächen für die Außengastronomie gedacht werden oder auch die Förderung des Immobilienerwerbs durch eine Aussetzung der Grunderwerbsteuer für den erstmaligen Immobilienkauf.Dieser Krise wohnt auch eine Chance inne, wenngleich ihre Ergreifung nicht schmerzfrei vonstattengehen kann. Sie hat einen Strukturwandel in der Wirtschaft befeuert, der sich nicht aufhalten lässt. Geschäftsmodelle, die schon vor Corona nicht mehr funktionierten, werden dies mit großer Wahrscheinlichkeit auch nach der Krise nicht tun. Alte Strukturen, die sich nicht als adaptionsfähig herausstellen, dürfen in dieser Situation nicht durch eine bedingungslose staatliche Unterstützung zementiert werden. Neue Lösungen und neues Denken sind verlangt. Dies gilt zum Beispiel auch für den für Hamburg allein von der Fläche und Erscheinung prägenden Hafen. Hier müssen, um im internationalen und europäischen Wettbewerb bestehen zu können, strukturelle Herausforderungen angegangen werden. Neben der Bereitstellung einer besseren Erreichbarkeit durch den Ausbau der Hinterlandanbindungen sollte beispielsweise auch die Ansiedlung innovativer Industrien und gemeinsame Vermarktung mit anderen deutschen Häfen geprüft und wo sinnvoll vorangetrieben werden. Natürlich macht der Strukturwandel auch vor der Finanzbranche nicht halt. Wie Finanzzentren weltweit steht auch der Finanzplatz Hamburg vor massiven Herausforderungen. Zum Dreiklang aus anhaltender Negativzinspolitik, anspruchsvoller und ressourcenaufwendiger Regulierung und einer rasanten Digitalisierung gesellt sich nun auch noch der richtige Umgang mit den Folgen der Corona-Pandemie. Ein vitaler und zukunftsorientierter Finanzplatz muss Antworten auf diese Herausforderungen entwickeln können. Das gilt zum einen für die Unternehmen selbst. Zukunftsträchtig ist nur, wer etablierte Prozesse hinterfragt, die Kundenorientierung in den Fokus stellt und kluge Wege bei der Talentgewinnung und Befähigung von Mitarbeitern entwickelt. Schon ein kurzer Blick in die Historie zeigt, dass Hamburgs Finanzplatz aus Tradition im besten Sinne des Wortes innovativ ist. Die älteste Börse (1558), die älteste Privatbank (1590), die älteste und größte Sparkasse Deutschlands (1827) und die älteste Versicherung weltweit (1676) haben ihren Sitz in Hamburg. Ohne kluge unternehmerische Entscheidungen hätten diese Unternehmen die Folgen vieler Kriege und Krisen, wie sie für die vorigen Jahrhunderte prägend waren, nicht bewältigen können und wären längst vom Markt verschwunden. Viele der heute am Standort ansässigen Unternehmen weisen ein hohes Potenzial auf und haben die maßgeblichen Themen und Innovationstreiber der Zeit erkannt. Kooperationen zwischen Banken, Versicherungen und Fintechs intensivieren sich, Möglichkeiten der branchenübergreifenden Zusammenarbeit werden erschlossen. Stetig wächst die Zahl der in Hamburg ansässigen Fintechs, viele davon im B2B-Bereich, daher vielleicht in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so präsent, dafür aber mit guten Chancen auf dauerhaften und nachhaltigen Erfolg. Die Innovationskraft des Finanzplatzes spiegelt sich auch in den konstant guten Bewertungen in maßgeblichen Indizes, wie z.B. dem Global Financial Centres Index oder auch dem Global Fintech Index, wider. Bei Letzterem rangiert Hamburg gar als Spitzenreiter in der Kategorie der Wachstumszentren, die in der Rangliste der Start-up-Ökosysteme aufgestiegen sind und sich rasch zu alternativen Fintech-Destinationen entwickelt haben.Eine zweite Ebene der Herausforderungen liegt jenseits des unmittelbaren Einflussbereiches der Unternehmen in den Rahmenbedingungen, die einen attraktiven und zukunftsträchtigen Finanzplatz ausmachen. Auch hier sind die Voraussetzungen gut. Der Finanzplatz Hamburg zeichnet sich durch gewachsene Netzwerke, kurze Wege und Offenheit für neue Akteure aus. Hamburg als Stadt kann mit einer hohen Lebensqualität punkten und ist attraktiv für Fachkräfte und Talente. Die Stärke anderer zukunftsträchtiger Branchen wie der Gesundheitswirtschaft, Medizintechnik, Logistik, Luftfahrt, Medien oder IT bietet große Chancen und erweitert den Talentpool ebenfalls. Wirtschaft und Politik arbeiten am Finanzplatz Hamburg von jeher gut zusammen. Doch auch gute Standortbedingungen sind ausbaufähig. Ein Beispiel: Zwar ist etwa die Universität Hamburg im Vorjahr mit dem Siegel der Exzellenzuniversität ausgezeichnet worden, in Sachen Ausgründungen von Start-ups gehört sie aber nicht zur nationalen Spitzengruppe. Um das zu verbessern, müssen unter anderem die Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft und die Förderung und Gründungskultur an den Hochschulen intensiviert werden. Der Finanzplatz Hamburg e.V. agiert in dieser oder ähnlichen Konstellation als Impulsgeber und arbeitet gemeinsam mit unseren Partnern aus Wirtschaft und Politik an der Fortentwicklung des Standortes. Mit Blick auf die Erfahrungen, die Substanz und die Innovationskraft am Platz haben wir keinen Zweifel, dass der Finanzplatz Hamburg auch künftig erfolgreich bleiben wird, wenn das Kapitel der Coronakrise längst beendet ist.