GASTBEITRAG

Inflation - ein reales Risiko für Pensionskassen

Börsen-Zeitung, 12.7.2018 Erst vor wenigen Monaten hat die EIOPA, die EU-Behörde für die Versicherungsaufsicht, ihre (einiges Aufsehen erregende) Untersuchung über die finanzielle Lage der Pensionseinrichtungen in Europa veröffentlicht. Danach...

Inflation - ein reales Risiko für Pensionskassen

Erst vor wenigen Monaten hat die EIOPA, die EU-Behörde für die Versicherungsaufsicht, ihre (einiges Aufsehen erregende) Untersuchung über die finanzielle Lage der Pensionseinrichtungen in Europa veröffentlicht. Danach klafft eine enorme Lücke zwischen dem Wert ihrer künftigen Verpflichtungen und dem von ihnen heute verwalteten Vermögen. Schon im Basisszenario der Aufseher, das den Status quo von Ende 2016 beschreibt, fehlen den Pensionskassen 349 Mrd. Euro, um die festen Zusagen, die sie den Versicherten gegeben haben (“Defined Benefit”, DB), auch zu erfüllen. Dramatischer BefundZugegeben: Diese Aussage beruht auf einer nicht vollständigen europaweiten Umfrage der EIOPA. Doch für das Vereinigte Königreich, den größten Markt für betriebliche Altersversorgung in Europa, liegen viele tatsächliche Daten vor – und sie erlauben eine noch dramatischere Interpretation. Dort ist zwar das Gesamtvermögen der DB-Pensionssysteme dank guter Marktentwicklung seit 2009 um 561 Mrd. Pfund gestiegen, ihre Gesamtverbindlichkeiten jedoch um 768 Mrd. Pfund. So liegt der Deckungsgrad britischer DB-Systeme bei 63 %, eine Zahl, die sich seit der Krise kaum verbessert hat.So weit der aktuelle Befund. Schlimmer noch kann es kommen, wenn man – wie es die EIOPA ebenfalls getan hat – ein Stress-Szenario unterstellt. Im “Double hit”-Szenario der Aufseher – Preisverfall für Aktien, Zinsen sinken weiter – entsteht dann eine Deckungslücke von 702 Mrd Euro. Noch einen Schritt weiter gingen die Analysten von Lyxor Asset Management. Sie haben in einer Simulation alle vier Risikoarten, die die DB-Systeme beeinflussen – Zinssatz, Langlebigkeit, Inflation und Vermögenspreise – quantifiziert. Das betrachtete Szenario geht für jede analysierte Variable von einer Bewegung aus, die der doppelten historischen Volatilität von drei Jahren entspricht. Dabei sollen die Verbindlichkeiten der Pensionskasse eine durchschnittliche Laufzeit von 15 Jahren haben und vollständig an die Verbraucherpreisinflation gekoppelt sein. 70 % der Assets sollen in Anleihen und 30 % in Aktien (breit gestreute Indizes) angelegt sein. Die Duration soll insgesamt bei zehn Jahren liegen. Die Grafik zeigt die Auswirkungen folgender Veränderungen auf die Finanzlage eines fiktiven DB-Pensionsplans: 120 Basispunkte Zinsrückgang, Anstieg der Inflation um 60 Basispunkte, Rückgang der Aktienmärkte um 25 %, Verlängerung der Lebenserwartung um zwei Jahre. Wir sehen, durchaus erwartungsgemäß, dass ein Rückgang der Zinsen mit einem Verlust von 10 % bezogen auf den Wert der Verbindlichkeiten den größten Einfluss hat. Doch der zweitgrößte Risikofaktor ist schon die Inflation. Ihr Anstieg um 0,6 Prozentpunkte führt zu einem Wertverlust von fast 9 %. Wenn ein Hedging gegen weiter fallende Zinsen unsinnig erscheint, eine Absicherung des Langlebigkeitsrisikos mit den an den Finanzmärkten verfügbaren Instrumenten nur sehr schwer zu gestalten ist und die Prämie für die Absicherung des Aktienrisikos den Renditeaufschlag nahezu auffrisst – dann liegt es wohl nahe, sich als CIO einer Pensionseinrichtung um das Inflationsrisiko zu kümmern.Hier folgt typischerweise der Einwand, dass die niedrigen Inflationsraten an einer Reihe von Faktoren liegen, die säkularer Natur sind und deshalb dauerhaft die Inflation niedrig halten werden. Wir sind anderer Meinung. Erstens bedrohen das Ende der gekannten Weltordnung und der zunehmende Terrorismus die sogenannte “Friedensdividende”. Ihr hatten es nach dem Ende des “Kalten Kriegs” die großen Volkswirtschaften zu verdanken, dass sie ihre Verteidigungshaushalte – als nichtproduktive Ausgaben ein Treiber langfristiger Inflation – kürzen konnten. Doch das ändert sich jetzt: Nach Angaben der Nato haben sich die Verteidigungsausgaben in den europäischen Nato-Staaten in den vergangenen drei Jahren stark beschleunigt und erreichten 2017 eine reale Wachstumsrate von 3,6 %. Haushaltsdisziplin sinktAuch scheint die Lust der Regierungen auf Haushaltsdisziplin wieder abzunehmen, und die Ankündigung der EZB, noch in diesem Jahr ihr Anleihenaufkaufprogramm zu beenden, bedeutet noch lange nicht das Ende der expansiven Geldpolitik der Notenbanken. Eine neue Dimension, die Inflation befördern könnte, bringen politische Entwicklungen wie der Brexit oder Präsident Trumps protektionistische Maßnahmen. Der Freihandel, zu dessen Vorteilen Spezialisierung, Größenvorteile und verstärkter Wettbewerb gehören, hat bislang desinflationär gewirkt. Und nicht zuletzt ändert sich die Stimmung. Lohnsteigerungen scheinen wieder akzeptiert.Sicher: Gegenläufige Strömungen – etwa: alternde Gesellschaften sowie steigende Produktivität durch neue Technologien und den Ersatz von Arbeitsplätzen mit geringer Wertschöpfung – können noch eine ganze Weile wirksam bleiben und den Prozess der steigenden Inflation verlängern. Doch schon beim Zusammenhang zwischen zunehmender Lebenserwartung und Preissteigerungen gibt es in der Literatur auch andere Meinungen. Und so kommen wir nach Abwägung aller Argumente zu dem Ergebnis, dass es sicher riskanter ist, weiterhin auf einen Rückgang der langfristigen Inflationsraten zu setzen, als in einem ersten vorsichtigen Schritt 25 bis 50 % des Inflationsrisikos eines DB-Plans abzusichern.Dafür gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Diejenigen, die den auf Euro lautenden inflationsgebundenen Anleihenmarkt nutzen, können auf ein breites Angebot schauen. Die Regierungen Frankreichs, Italiens, Deutschlands und Spaniens begeben alle diese Art von Anleihen, wobei Italien und Frankreich die größten Emittenten in diesem 550 Mrd. Euro großen Markt sind. Sie machen in der Regel zwischen 10 und 15 % des Gesamtwerts der ausstehenden Staatsanleihen aus. Die Laufzeiten konzentrieren sich zwischen einem Jahr und zehn Jahren. Doch im Detail gibt es Unterschiede: Etwa die Hälfte dieser Wertpapiere folgt einem Preisindex der Eurozone, die andere Hälfte jedoch einer lokalen Inflationsrate. Auch ihre Liquidität ist sehr heterogen. Die Unterschiede liegen sowohl zwischen einzelnen Emittenten als auch zwischen verschiedenen Emissionen desselben Emittenten. Betrachtet man die Liquidität von null- bis zehnjährigen inflationsgebundenen Anleihen, so sind die von Frankreich emittierten doppelt so liquide wie die von Italien und dreimal so liquide wie die von Deutschland. Wenn es nur um die Laufzeiten geht, gilt die Regel: Je kürzer, desto liquider. Die durchschnittliche Liquidität des null- bis zehnjährigen inflationsgebundenen Anleihensegments in Frankreich ist viermal höher als die des zehn- bis 20-jährigen Segments und zehnmal höher als die des 20-jährigen Segments.Obwohl also alle inflationsindexierten Anleihen generell sensitiv reagieren auf die Veränderung der realen Zinsen, kann doch bei der Konstruktion eines Absicherungsportfolios die sorgfältige Analyse und Kombination von Liquiditätsmerkmalen und Kreditrisiken einen Unterschied machen. Hier bietet der Inflations-Swap-Markt einige attraktive Eigenschaften für Investoren. Erstens beschränken sich die Bargeldanforderungen auf Margin-Call-Zahlungen, was eine flexiblere Nutzung des verfügbaren Kapitals ermöglicht. Das kann angesichts der festgestellten Unterfinanzierung von DB-Systemen wichtig werden. Zweitens ist die Liquidität des Marktes für Inflations-swaps direkt mit der des Marktes für inflationsgebundene Anleihen verbunden und ist bei Laufzeiten unter zehn Jahren am höchsten. Laut Barclays werden täglich 700 Mill. Euro in auf Euro lautenden Inflationsswaps gehandelt, wobei 90 % der Geschäfte mit Laufzeiten unter zehn Jahren abgeschlossen werden. Ständige ÜberwachungOb einzelne DB-Systeme eine voll kapitalgedeckte Anlage in inflationsindexierte Anleihen oder einen Derivatekontrakt zur Absicherung des Inflationsrisikos bevorzugen, hängt von ihren individuellen Gegebenheiten ab. Eine große Zahl von DB-Pensionsfonds nutzt jedoch Liability-Driven-Investment-(LDI)-Lösungen mit Swaps zur Absicherung der Inflation. Dies ermöglicht es ihnen, renditeorientierte Vermögenswerte im Portfolio zu halten und ein Inflationsswap-Overlay zu verwenden, ohne die Liquidität der Anlagen wesentlich zu beeinträchtigen.Ob eine Lösung nun auf Basis von echten Anleihen oder Swaps gefahren wird, die Herausforderungen für das Management solcher Portfolios sind vielfältig: Best Price Execution, operative Überwachung sowie ständige Anpassung von Inflationserwartung und Exposure in Inflation. Fiduciary Management, also die Auslagerung dieses speziellen Absicherungsportfolios an einen wiederum spezialisierten Assetmanager, kann hier der Pensionskasse helfen, ihre Wertschöpfungskette zu optimieren.—-Guillaume Lasserre, CIO Lyxor Asset Management