Irritation in Bern

EU erkennt Äquivalenz der schweizerischen Börsenregulierung nur auf Zeit an

Irritation in Bern

Von Daniel Zulauf, ZürichIn der Schweizer Politik herrscht helle Aufregung. Die EU-Kommission will die Äquivalenz der helvetischen Börsenregulierung vorerst nur für ein Jahr anerkennen. In Berner Regierungskreisen war man bis vor wenigen Tagen offenbar fest davon ausgegangen, dass die Gleichwertigkeitsanerkennung nur noch eine Formalie sei, und dies, obschon man nach der überraschenden Verschiebung des Entscheidungsdatums vom 7. Dezember auf den 20. Dezember hätte gewarnt sein können.Doch die Schweizer vertrauten unter anderem darauf, dass sie mit Blick auf die vor Kurzem bereits an andere Drittstaaten wie Hongkong und Australien abgegebenen Zusicherungen mindestens keine Schlechterstellung erfahren würden. Genau dieser Fall ist nun eingetreten. Von Erpressung ist die RedeEinzelne Politiker sprechen in der ersten Empörung bereits von Erpressung. Dies zielt auf die zuletzt im Februar 2017 vom EU-Rat bekräftigte Position ab, dass Brüssel für eine Fortentwicklung des bilateralen Weges mit der Schweiz den Abschluss eines institutionellen Rahmenabkommens erwarte. Ein solches Rahmenabkommen ist in der Schweizer Politik und auch in der Bevölkerung stark umstritten. Denn für dessen finale Überwachung wäre der EU-Gerichtshof ohne Beteiligung helvetischer Richter zuständig.Überraschend kommt der Brüsseler Beschluss auch vor dem Hintergrund, dass das Thema Börsenäquivalenz bereits am 23. November anlässlich des Besuches von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der Schweizer Hauptstadt Bern zur Sprache gekommen war. Die schweizerische Bundespräsidentin Doris Leuthard hatte Juncker eine Kohäsionszahlung von 1,3 Mrd. sfr für europäische Randgebiete in Aussicht gestellt und dafür das vermeintliche Versprechen erhalten, dass sich Juncker in der Kommission für die baldige Anerkennung der Börsenäquivalenz starkmachen würde.Zwar weiß man auch in der Schweiz, dass die EU mit ihren 28 Mitgliedsländern und den drei assoziierten Staaten im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ein kompliziertes Gebilde darstellt. Dass dieses immer mal wieder überraschende und rational bisweilen schwer nachvollziehbare Entscheidungen hervorbringt, hat sich in Helvetien aber offenbar noch nicht überall herumgesprochen.Dabei gäbe es genügend Anschauungsmaterial. So sorgte die EU erst vor zehn Tagen für Irritationen, als sie das Alpenland völlig unerwartet auf ihre jüngste Graue Liste von Ländern mit schädlichen Steuerpraktiken setzte. Erst später erfuhr man in Brüssel, das am Pranger stehende Fürstentum Liechtenstein habe Frankreich dafür gewinnen können, die Schweiz ebenfalls auf die Liste zu setzen. In dem abgekarteten Spiel ging es offensichtlich weniger um Steuern als um gleich lange Spieße im Wettbewerb zwischen zwei konkurrierenden Finanzplätzen.So plötzlich, wie die Schweiz auf jener Grauen Liste auftauchte, heißt es nun in Brüssel, die EU könne der Schweiz die Gleichwertigkeitsanerkennung der Börsenregulierung doch nicht definitiv gewähren. Man hätte schon darüber staunen müssen, dass man diese Anerkennung so sicher zu bekommen glaubte. Der aktuelle Schock ist nur die Folge dieser kollektiven Fehleinschätzung.Gewiss, die Schweiz hat die Hausaufgaben zur Erlangung der begehrten Äquivalenz in der für das Land typischen Gewissenhaftigkeit erledigt: Das neue Finanzmarktinfrastrukturgesetz ist exakt auf die in der EU geltenden Bestimmungen zugeschnitten. Technisch hat die europäische Aufsichtsbehörde ESMA der EU-Kommission deshalb schon vor geraumer Zeit grünes Licht für den Abschluss des Äquivalenzverfahrens gegeben.Warum der Prozess jetzt wider Erwarten dennoch ins Stocken geraten ist, weiß niemand so genau. Widerstand dürfte sich vermutlich weniger in der Kommission als im Kreis einiger Mitgliedsländer geregt haben, die vor dem Kommissionsentscheid konsultiert werden mussten. Dort beruft man sich wie erwähnt auf das institutionelle Rahmenabkommen, dessen Entwicklung sich auch die Schweizer Regierung bis Ende 2018 zum Ziel gesetzt hat. Aber die Vermutung liegt nahe, dass auch das nicht der Hauptgrund ist. Nahe liegt vielmehr der Gedanke, dass Brüssel mitten in den Brexit-Gesprächen einem wichtigen Drittstaat wie der Schweiz keine Zugeständnisse machen will, auf die sich London später berufen könnte.Für die Schweiz hätte ein langfristiges Ausbleiben der Gleichwertigkeitsanerkennung zweifellos einen erheblichen Bedeutungsverlust von Kapitalmarkt und Handelsplatz zur Folge. Im Unterschied zu London ist die Schweiz kein Hub für den Handel mit europäischen Wertpapieren, sondern vielmehr ein Handelsplatz für lokale Werte – von denen allerdings viele eine Ausstrahlung haben, die weit über die Grenzen hinausreicht.