Japans Fintechs erwarten großen Schub
Von Martin Fritz, Tokio
Das Geschäft der Fintechs ist kein Selbstläufer – auch in Japan nicht: Zwei Tage vor Weihnachten legte Finatext Holdings, ein Anbieter von Apps und Infrastruktur für den Aktienhandel, das schlechteste japanische Börsendebüt seit zwei Jahrzehnten hin. Am ersten Handelstag fiel die Aktie um bis zu 35% unter den Ausgabepreis und blieb bis heute nahe diesem Tiefpreis. Mit dem IPO erlöste Finatext knapp 20 Mrd. Yen (152 Mill. Euro). Das Geschäftsmodell basiert auf Gebühren für die Bereitstellung von Handelsplattformen für institutionelle Klienten wie Credit Saison, eine Finanztochter der Finanzgruppe Mizuho. Wie in einigen westlichen Ländern handeln auch junge Japaner auf ihren Smartphones verstärkt mit Aktien.
Daher enttäuschte der schwache Börsenstart eines solchen App-Anbieters die Hoffnungen der jungen Fintech-Branche in Japan, die 2021 aufgrund regulatorischer Änderungen und gestiegenen Auslandsinteresses einen kräftigen Aufschwung erlebt hatte. Eigentlich schien eine Aufholjagd begonnen zu haben. Zwar haben sich die weltweiten Investitionen in Finanz-Jungunternehmen 2021 laut einer Schätzung von CB Insights auf 120 Mrd. Dollar zum Vorjahr verdoppelt. Aber Japan trägt dazu bislang nur einen Bruchteil bei. Die größte Finanzierungsrunde für ein Fintech-Start-up von 120 Mill. Dollar meldete die Liquid Group, ein Betreiber von Kryptowährungsbörsen in Singapur und Japan. Liquid ist auch das einzige Fintech-Einhorn in Japan.
Markt kommt in Bewegung
Doch sieht man vom Finatext-Flop ab, zeigt sich Licht am Ende des Tunnels. Im September schluckte der US- Bezahldienst Paypal den japanischen Buy-now-pay-later-Anbieter Paidy für 300 Mrd. Yen (2,3 Mrd. Euro). Zwei Monate davor gewann auch Google die Erkenntnis, eine Übernahme sei der schnellste Weg an den japanischen Markt, und kaufte sich den digitalen Zahlungsdienstleister Pring für Smartphones für knapp 10 Mrd. Yen (76 Mill. Euro). Dieser Markt verspricht hohes Wachstum, weil nur knapp ein Drittel der Zahlungen in Japan bargeldlos abläuft.
Bereits im März hatte der Einstieg der Japan Post Holdings beim E-Commerce-Riesen Rakuten signalisiert, dass digitalen Finanzdiensten in Japan ein starkes Wachstum bevorsteht. Denn unter der Post-Dachgesellschaft befinden sich Japans größte Bank und ein großer Lebensversicherer.
Den größten Schub erhielt die Fintech-Branche durch eine Deregulierung: Seit November brauchen Unternehmen für verschiedene Finanzgeschäfte wie Banking, Wertpapiere und Versicherungen nur noch eine einzige Handelslizenz. Damit macht Japan den Weg für umfassende Super-Apps für Finanzgeschäfte frei. Der Fintech-Verband sprach von einem „bedeutenden Übergang“. „Bisher handelten die Anbieter als Vertriebsagenten für andere, nun können sie die besten Produkte für ihre Kunden aussuchen“, sagte Verbandschef Takashi Okita. Die Kreditkarte seines eigenen Fintechs Nudge ermöglicht Spenden an Künstler und Sportler, die sich mit Belohnungen und Geschenken revanchieren.
Gebühren müssen runter
Ein weiterer Startschuss für mehr Fintech-Wachstum fiel, als die Kartellbehörde die Banken zu einer Korrektur bei Zahlungsabwicklungen zwang. Die Aufsicht kritisierte, dass das Interbanken-Zahlungssystem „Zengin-Net“ seit 1979 dieselben Gebühren verlange und unternehmerisch schlecht geführt sei. Nichtfinanzfirmen wie E-Wallet-Betreiber könnten mit den Banken nicht auf Augenhöhe konkurrieren. Darauf sah sich Zengin-Net gezwungen, die Transaktionsgebühr von 162 bzw. 117 Yen auf 62 Yen (0,47 Euro) zu senken. Dadurch schrumpfen die Betriebskosten von Fintechs, die für Transaktionen auf Banken angewiesen sind. Vor allem will Zengin-Net die Mitgliedschaft von Fintechs im Verlauf des nächsten Geschäftsjahres, das im April beginnt, erlauben.
Fintechs statt Filialen
Allerdings ist Japans Finanzbranche nicht gerade für schnellen Wandel bekannt. Die Vorsicht hängt mit den Zusammenbrüchen mehrerer Institute nach der „Blasenwirtschaft“ der achtziger Jahre zusammen. Die Zengin-Net-Gebühren sind immer noch vergleichsweise hoch. Ein Konto mit ausländischer Währung lässt sich bisher auf einem Smartphone nicht einrichten, sondern nur mit einem schriftlichen Antrag in einer Bankfiliale. Aber die offizielle „Fintech Vision“ von 2017 zeigt, dass die Regierung die Notwendigkeit sieht, Finanzdienstleistungen zu digitalisieren. Schon die rasche Abnahme der Erwerbsbevölkerung zwingt dazu, viele bisherige Abläufe und Prozesse zu automatisieren. Die Banken haben bereits begonnen, ihr Filialnetz drastisch zu schrumpfen. Diese Trends werden Fintechs noch viele Türen öffnen.