SERIE FINANZPLATZ FRANKFURT (21 UND SCHLUSS): INTERVIEW MIT STEFAN WINTER

"Jeden Tag kommen neue Fragen hinzu"

Der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Auslandsbanken in Deutschland über die Probleme, die der Brexit aufwirft

"Jeden Tag kommen neue Fragen hinzu"

Der Austritt Großbritanniens aus der EU stellt die Auslandsbanken in Deutschland vor enorme Herausforderungen. Viele Fragen seien noch offen, Antworten in den seltensten Fällen schon gefunden, auch wenn viele Beteiligte inklusive der Aufsicht daran arbeiteten, unterstreicht Verbandschef Stefan Winter.- Herr Winter, der Austritt Großbritanniens (Brexit) aus der EU steht für den 29. März 2019 an. Noch immer ist nicht klar, ob es zu einem harten Brexit, also einem ungeordneten Ausscheiden kommt, oder ob es erleichternde Vereinbarungen gibt. Das Bundesfinanzministerium (BMF) arbeitet deshalb an einer prophylaktischen Gesetzgebung, um für etwas mehr Sicherheit zu sorgen (vgl. BZ vom 24. Oktober). Welche offenen Fragen stehen trotzdem noch aus mit Blick auf Banken und Finanzdienstleister?Wir begrüßen es sehr, dass das BMF nun an unilateralen Regelungen arbeitet, um mehr Rechtssicherheit zu gewährleisten und damit dazu beizutragen, dass das Ausmaß der bei einem harten Brexit zu befürchtenden Verwerfungen reduziert wird. Der Verband der Auslandsbanken in Deutschland (VAB) hat schon im Sommer 2016 Übergangsregelungen vorgeschlagen. Damals war die Fragenliste schon lang, heute ist sie viel länger, und jeden Tag kommen neue Fragen hinzu – Antworten haben wir in den seltensten Fällen schon gefunden, auch wenn alle Beteiligten inklusive der Aufsicht daran arbeiten. Viele Vertrags-, Rechts- und Verfahrensfragen müssen gelöst werden. Grundsätzlich ist dies mit den vorhandenen Mechanismen und Werkzeugen auch möglich. Das Hauptproblem ist aber die nach wie vor währende große Unsicherheit und die Masse von Verträgen und Rechtsbeziehungen, die mit einer großen Anzahl von Kunden neu geregelt oder geändert werden müssen. Hinzu kommt der Zeitdruck. Wir haben schlichtweg keine Präzedenzfälle zum Brexit, auf die wir zurückgreifen können. Wir betreten hier wirklich vielfach Neuland.- Wie stehen die Chancen, dass spezielle Vereinbarungen noch rechtzeitig in den Banken umgesetzt werden können bzw. diesen helfen?Die Banken planen nach wie vor wegen der fehlenden Planungssicherheit mit dem harten Brexit, und in vielen Bereichen wird der Punkt “of no return” schon überschritten sein. Aber: Jede Vereinbarung, die mehr Rechtssicherheit gewährleisten wird, hilft im Tagesgeschäft und ist hochwillkommen. Denn es sollte uns klar sein: Am 29. März 2019 wird nicht alles fertig sein und perfekt funktionieren. Hier werden bei allen Beteiligten Nacharbeiten notwendig sein.- Inwieweit stellen sich die Auslandsbanken schon auf einen harten Brexit ein, zumal Europäische Zentralbank und Finanzaufsicht BaFin dafür bereits Notfallpläne in den Instituten angemahnt haben?Die vom Brexit betroffenen Banken haben – nicht zuletzt auch auf Drängen der Aufsicht – von Anfang mit dem harten Brexit geplant, auch wenn bis zum frühen Herbst noch die Hoffnung bestand, dass wir mit ausreichendem Vorlauf Rechtssicherheit bekommen würden. Das ist aber bekanntlich nicht der Fall. Die Notfallpläne wurden in den letzten Monaten konzipiert und mit den Aufsichtsbehörden erörtert – soweit noch nicht geschehen, wird man nun an die Umsetzung gehen. Aber, auch das muss man sagen: Die Institute sind sehr unterschiedlich betroffen. Diejenigen Banken, die eine neue Lizenz beantragt haben, haben sicherlich mit die schwierigsten Aufgaben bewältigen müssen, da vieles von der Erteilung der Lizenz abhängt. Aber auch die Banken, die auf bestehenden Strukturen aufbauen konnten, haben intensive Diskussionen mit den Aufsehern geführt und zum Teil umfassend ihre Strukturen anpassen müssen.- Um den Umzug Londoner Banker zu stimulieren, soll der in Deutschland verankerte Kündigungsschutz nach Plänen der Bundesregierung für Risikoträger mit einem Jahresgehalt von über 234 000 Euro eingeschränkt werden. Wird dies noch rechtzeitig beschlossen? Wie groß dürfte dadurch tatsächlich der Anreiz zum Umzug sein?Die beabsichtigte Änderung des Kündigungsschutzes ist für die ausländische Finanzindustrie zu einer Art Leuchtturm-Projekt für die generelle Bereitschaft der deutschen Politik geworden, sich im Wettbewerb der Finanzplätze für die Attraktivität der Rahmenbedingungen hier am Platz einzusetzen. Faktisch wird – und das haben wir immer hervorgehoben – die Änderung eine Handvoll Leute betreffen. Aber wichtig wäre auf jeden Fall, dass wir hier in Kürze ein Signal sehen.- Wie steht es um die Pläne des hessischen Finanzministers Schäfer, in Frankfurt eine Sonderverwaltungszone einzurichten, um den Zuzug aus London zu erleichtern? Braucht man das noch, denn das dürfte ja zu spät kommen?Ich denke, dass hierfür allein schon die Zeit nicht reichen dürfte. Dies wäre ein Novum, und die politische Debatte hierzu in einem föderalen Staat wird sicherlich viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, als wir haben. Man muss aber auch nicht unbedingt so weit gehen. Wir haben hier doch generell einen attraktiven Standort, ansonsten wären die Standortentscheidungen in den letzten Monaten auch anders ausgefallen. Wir sollten nur neben dem Kündigungsschutz und der Begrenzung von Abfindungen noch zwei bis drei andere Themen angehen; hierzu unter anderem zählen die Einführung internationaler Handelsgerichte, bei denen Prozesse in englischer Sprache geführt werden können, und die Nichtanwendung der gerichtlichen AGB-Kontrolle bei Bankgeschäften und Wertpapierdienstleistungen mit professionellen Kunden und geeigneten Gegenparteien. Auch bei der Auslegung von Aufsichtsregeln wie beispielsweise den Anforderungen an die Kostentransparenz oder Zuwendungen nach der neuen Mifid sollten wir nicht über das hinausgehen, was in anderen EU-Staaten verlangt wird.- Der Auslandsbankenverband rechnet nach eigener Prognose vom März dieses Jahres wegen des Brexits mit Personalaufstockungen in Deutschland von 200 bis 300 Stellen je Haus und in der Summe 3 000 bis 5 000 neuen Stellen in den nächsten zwei bis drei Jahren. Gilt diese Prognose noch?Nach wie vor blicken wir in die berühmte Glaskugel. Aber ich denke, dass wir weiterhin von dieser Größenordnung sprechen können, wenn wir es schaffen, die Rahmenbedingungen hier am Standort weiter attraktiv auszugestalten. Mit den getroffenen Standortentscheidungen ist das Potenzial da – nun müssen wir aber schauen, dass das Geschäft und der Handel und damit auch die entsprechend erforderlichen Mitarbeiter aufgebaut werden. Und da sehen wir weiterhin an anderen Standorten wie Paris intensives Marketing und Rahmenbedingungen, die Auswirkungen auf den Aufbau von Stellen und Geschäftsbereichen haben werden, wenn wir nichts bieten werden.- Wie viel ist davon bereits umgesetzt worden? Wo hapert es noch? Sind insbesondere die Bereiche Risikomanagement, Finance, Compliance, Interne Revision und IT ausreichend mit erfahrenem Personal besetzt worden?Wenn man sich die Jobportale der einzelnen Häuser anschaut, sieht man den noch offenen Bedarf. Wir müssen natürlich auch beachten, dass Neueinstellungen nicht von heute auf morgen funktionieren, Kündigungsfristen etc. spielen eine wichtige Rolle. Aber wir sehen auch einen enormen Bedarf, in vielen Bereichen begleitend Schulungen und Fortbildungen anzubieten, um die Expertise wieder aufzubauen, die wir in den letzten Jahren hier am Standort leider etwas aus dem Blick verloren haben.- Von den rund 25 Auslandsbanken, die hier ihre Präsenz ausbauen wollen, benötigt etwa die Hälfte eine neue Banklizenz. Ist diese in allen Fällen schon erteilt worden?Die meisten Banken, die eine neue Lizenz benötigen, haben diese bereits erhalten oder sie steht in Aussicht. Alle Beteiligten haben hier in den letzten Monaten ein enormes Arbeitspensum erledigt. Wenn man mal schaut, wie viele neue Banklizenzen in den Jahren vor dem Brexit erteilt wurden und in den letzten Monaten, kann man sich vorstellen, welche Arbeit BaFin, Bundesbank und EZB sowie natürlich die betroffenen Institute geleistet haben. Für viele Mitarbeiter auf beiden Seiten dürfte dies eine völlig neue Tätigkeit gewesen sein.- Wie stellen sich kleinere Auslandsbanken (ohne Banklizenz) auf den Brexit ein?Alle Auslandsbanken, ob klein oder groß, haben in den letzten Monaten für sich geprüft, ob und welche Lizenzen sie künftig für ihr Geschäft in Deutschland und der EU-27 benötigen. Sodann wurden die entsprechend notwendigen Genehmigungsverfahren gestartet. Sollte am 29. März 2019 bei einem harten Brexit nicht die erforderliche Erlaubnis vorliegen, müsste man sich über eine Abwicklung Gedanken machen. Das sehen wir aber nicht.- Die Wirtschaftsberatung Oliver Wyman hat die Brexitkosten der Banken in Großbritannien auf 10 Mrd. Pfund und in der EU auf 2 Mrd. Pfund beziffert. Können die Banken ihre Brexitkosten im Griff halten oder ufern sie aus?Noch können wir das Ausmaß der Kosten nicht in Gänze abschätzen, und wir wissen auch noch nicht, in welcher Gewinn-und-Verlust-Rechnung im Konzern sich die Kosten niederschlagen werden. Aber ich denke, dass wir am Ende des Tages einen höheren als den von der Wirtschaftsberatung veranschlagten Betrag sehen werden. Das Thema beschäftigt intern große Teams, die zudem von zahlreichen Kanzleien und Beratern unterstützt werden.—-Die Fragen stellte Karin Böhmert. Zuletzt erschienen:- Macron kämpft für Standort Paris (12. September)- Talentschmiede mit Strahlkraft (11. September)