Kabinett verabschiedet GWB-Novelle
Francis BellenPartner Litigation & Dispute Resolutionbei King & Wood MallesonsTilman SiebertPartner Kartellrechtbei King & Wood MallesonsDass die Kartellbehörden in Deutschland und Europa immer häufiger Kartelle aufdecken und immer höhere Geldbußen verhängen, ist allgemein bekannt. So wurde zuletzt beispielsweise eine neue Rekordgeldbuße in Höhe von knapp 2,93 Mrd. Euro gegen mehrere Lkw-Hersteller wegen illegaler Preisabsprachen verhängt. Weniger bekannt ist, dass neben der behördlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts immer öfter Schadenersatzklagen von möglichen Geschädigten gegen Kartellbeteiligte erhoben werden. Deutschland hat dabei in den letzten Jahren als Gerichtsstand an Bedeutung gewonnen. So ist derzeit vor dem Landgericht Köln eine Klage gegen mehrere angeblich an einem internationalen Luftfrachtkartell beteiligte Fluggesellschaften anhängig, bei der Schadenersatz in Höhe von mehr als 3 Mrd. Euro verlangt wird. Die gestiegene Bedeutung kartellrechtlicher Schadenersatzklagen hängt vor allem damit zusammen, dass gesetzgeberische Maßnahmen die Stellung der möglichen Geschädigten in den letzten Jahren gestärkt und somit die Erfolgsaussichten von Klagen deutlich erhöht haben. Einen weiteren Schritt in diese Richtung geht nun die Kartell-Schadenersatz-Richtlinie der Europäischen Kommission, die von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss. Den nationalen Gesetzgebern der Mitgliedstaaten steht dabei auch eine Reihe von Spielräumen zu, in denen sie über die Vorgaben der Europäischen Kommission hinaus weiter gehende Regelungen treffen können. In Deutschland sollen mit der vom Bundeskabinett kürzlich beschlossenen 9. GWB-Novelle die Neuerungen der EU-Richtlinie zum Kartell-Schadenersatz in das deutsche Wettbewerbsrecht umgesetzt werden. Die neuen Regeln machen die private Durchsetzung von Kartell-Schadenersatzansprüchen deutlich klägerfreundlicher. Für Kartellgeschädigte wird es also in Zukunft aller Voraussicht nach einfacher, ihre Ansprüche erfolgreich gerichtlich zu verfolgen. Wesentliche Änderungen ergeben sich dabei beispielsweise bei der Verjährung möglicher Schadenersatzansprüche. Die bislang übliche dreijährige Regelverjährung wird auf fünf Jahre verlängert, wobei die Verjährungsfrist nicht beginnt, bevor der Kartellverstoß beendet wurde und der Kläger von der Kartellrechtswidrigkeit des beanstandeten Verhaltens Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen. Ob bzw. wann eine entsprechende Kenntnis vorliegt, ist nicht immer leicht zu bestimmen und für den beklagten Kartellsünder oftmals kaum zu beweisen, so dass der genaue Verjährungsbeginn auch in Zukunft schwer zu ermitteln bleibt.Auch aus prozessualer Sicht bietet die GWB-Novelle wichtige Neuerungen. Besonders relevant sind die neu eingeführten Regeln zur Akteneinsicht und Offenlegung von Beweismitteln. Für Verfahren vor deutschen Gerichten, die relativ restriktiven Offenlegungsregeln unterliegen, könnten die neuen Vorschriften für Kläger zu Beweiserleichterungen führen. Informationsasymmetrien bringen hier bisher Beweisschwierigkeiten mit sich, da Beweismittel zur Zuwiderhandlung, Schadensverursachung und Schadenshöhe häufig nur den Beklagten und den Kartellbehörden vorliegen. Zudem stehen der Offenlegung solcher Informationen regelmäßig übergeordnete Interessen, z. B. der effektive Schutz des Kronzeugenprogramms, entgegen. Die GWB-Novelle bestimmt demgegenüber, dass Gerichte auf Antrag des Klägers nicht nur befugt sind, die Offenlegung von konkret bezeichneten Beweismitteln anzuordnen. Vielmehr sind Beweismittel in Zukunft bereits dann offenzulegen, wenn sie so genau bezeichnet sind, wie dies auf Grundlage der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen möglich ist. Allerdings bestehen dabei einige Einschränkungen. Offenlegungsanträge des Klägers unterliegen einer gerichtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Offenlegung von Kronzeugenerklärungen soll generell ausgeschlossen sein, und für den Fall, dass diese geschützten Unterlagen durch Akteneinsicht in die Hände einer Partei fallen, gilt ein dem deutschen Zivilprozessrecht bislang unbekanntes absolutes Beweisverwertungsverbot. Im Ergebnis bleibt abzuwarten, ob diese Vorschriften die Beweislage der Kläger in der Praxis spürbar verbessern, zumal sie von einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe mit weitem Interpretationsspielraum geprägt sind.Neue Anreize schafft die Novelle durch Vorschriften zur einvernehmlichen Streitbeilegung, die die Häufigkeit von Vergleichen erhöhen dürften. So soll sich der Anspruch des sich vergleichenden Geschädigten um den Anteil am Schaden verringern, der auf den sich vergleichenden Rechtsverletzer entfällt. Der verbleibende Anspruch des Geschädigten kann dann nur noch gegenüber nicht am Vergleich beteiligten Rechtsverletzern geltend gemacht werden. Umgekehrt werden nicht am Vergleich beteiligte Rechtsverletzer von dem sich vergleichenden Rechtsverletzer keinen Ausgleich für den verbleibenden Anspruch mehr verlangen können. Die Neuregelung führt also zu einer erheblichen Belastung der sich nicht vergleichenden Kartellanten.Für Geschäftsführer und Vorstände potenziell geschädigter Unternehmen ist das Thema Kartell-Schadenersatz schon deshalb relevant, weil sie nach herrschender Rechtsprechung im Rahmen des unternehmerischen Ermessens verpflichtet sein können, das Bestehen von Schadenersatzansprüchen zu prüfen und solche Ansprüche gegebenenfalls auch geltend zu machen. Die Einhaltung dieses Ermessensspielraums ist durch den Aufsichtsrat zu kontrollieren. Wird das Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt, droht den verantwortlichen Geschäftsführern bzw. Vorständen eine Inanspruchnahme durch die geschädigte Gesellschaft in Höhe der ihr entgangenen Schadenersatzansprüche.