LEITARTIKEL

Kapitalmarktunion 3.0

Mit schönen Grüßen aus den Mitgliedstaaten: Die neue EU-Kommission ist zwar erst seit wenigen Tagen im Amt, doch die Finanzminister der Union haben ihr am Donnerstag erst einmal einen weiteren dicken Arbeitsauftrag auf den Tisch gelegt - versehen...

Kapitalmarktunion 3.0

Mit schönen Grüßen aus den Mitgliedstaaten: Die neue EU-Kommission ist zwar erst seit wenigen Tagen im Amt, doch die Finanzminister der Union haben ihr am Donnerstag erst einmal einen weiteren dicken Arbeitsauftrag auf den Tisch gelegt – versehen mit dem Stempel “Priorität”. Thema: Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion. Dies hatte die neue Kommission zwar ohnehin schon relativ weit oben auf ihrer Agenda. Aber den Ministern war es dennoch wichtig, hier noch einmal Druck zu machen und gleich eine vierseitige To-do-Liste mit möglichen Handlungsfeldern beizufügen.Das Thema Kapitalmarktunion mag in der Öffentlichkeit nur einen begrenzten Sex-Appeal entfalten. Dennoch geht es hier um eine Kernaufgabe der EU, nämlich das Funktionieren des Binnenmarktes, genauer des Finanzbinnenmarktes, zu sichern. Es geht um einen reibungslosen grenzüberschreitenden Kapitalfluss, um Finanzierungsmöglichkeiten für die Wirtschaft und um Anlagemöglichkeiten für private Investoren. Jean-Claude Juncker hatte das Thema Kapitalmarktunion zu Beginn seiner Kommissions-Präsidentschaft etwas überraschend aus der Taufe gehoben. Ein erster Aktionsplan von 2015 ist mittlerweile weitgehend abgearbeitet – und doch herrscht allgemeine Unzufriedenheit mit dem Status quo. Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) haben zuletzt harsche Kritik geübt. Und seit Monaten trommeln Banken- und Marktverbände in Brüssel für einen Neustart.Dies hat damit zu tun, dass zahlreiche Initiativen der EU-Kommission zur besseren Integration der Kapitalmärkte (noch) nicht die gewünschte Wirkung entfaltet haben, weil sie im Gesetzgebungsprozess verwässert oder gar am Markt vorbei konzipiert wurden. Dies hat aber auch mit der deutlich gestiegenen Bedeutung des Projekts Kapitalmarktunion seit 2015 zu tun. Allein der anstehende Brexit und damit der Abschied des bislang mit Abstand größten Finanzplatzes von der EU hat für Handlungsbedarf gesorgt. Die EU muss aber auch auf die zunehmende Digitalisierung der Finanzmärkte und die Entwicklung neuer Technologien reagieren. In einer Art Zweitauflage der Kapitalmarktunion hat Brüssel bereits einen eigenen Fintech-Aktionsplan nachgeschoben. Dieser reicht aber bei weitem nicht aus, wie die jüngsten Debatten um eine Stablecoin-Regulierung zeigen. Hinzu kommen neue politische Prioritäten, die das Projekt Kapitalmarktunion noch zusätzlich aufwerten. Zu erinnern sei nur daran, dass das heutige Megathema Sustainable Finance ebenfalls Teil dieser Union ist – auch wenn es heute längst aus dieser hinausgewachsen scheint. Und schließlich: Auch das Nullzinsumfeld erhöht den Druck, für funktionierende Kapitalmärkte zu sorgen. Anlagemöglichkeiten für private Haushalte, gerade auch zur Altersvorsorge, sind so wichtig wie noch nie.Doch wo sollte die neue EU-Kommission jetzt ansetzen? Analysten nennen immer wieder ähnliche Hürden für die weitere Marktintegration und -vertiefung. Ganz oben steht dabei das in der EU sehr unterschiedliche und in einigen Staaten äußerst schwache Insolvenzrecht – nicht nur, aber gerade auch im Finanzsektor. Seit Jahren arbeitet Brüssel hier in Trippelschritten an einer Angleichung. Dies reicht aber längst noch nicht aus. Zweitens tut auch eine Harmonisierung in anderen Bereichen not, allen voran im Steuer- und Aufsichtsrecht. Drittens müssen selbst geschaffene Inkohärenzen und Ineffizienzen im Verbraucherrecht (Stichworte: Mifid II, Priips) wieder ausgebügelt werden. Und schließlich gilt es, auch die Aktien- und Investmentkultur in vielen Staaten zu fördern und mit mehr Transparenz auch bei Privatanlegern neues Vertrauen zu schaffen. Wenn in der Altersvorsorge tatsächlich Investieren das neue Sparen werden soll, ist hier noch einiges an Vorarbeit nötig.2015 ins Leben gerufen. 2017/18 nachgebessert. Jetzt ist es Zeit für eine ambitionierte Kapitalmarktunion 3.0. Trotz eines gemeinsamen Binnenmarktes, eines in vielen Bereichen einheitlichen Aufsichtsregimes und einer eigenen Währung ist dies natürlich kein einfaches Vorhaben. Aber wenn das Projekt gelingt, würde der europäische Finanzmarkt insgesamt krisenresistenter, weil wirtschaftliche Schocks besser absorbiert werden könnten. Und würde das Projekt gelingen, könnte die europäische Finanzindustrie auch einige der Wettbewerbsnachteile wieder ausgleichen, die sie zurzeit vor allem gegenüber den USA hat. Die Priorisierung des Themas Kapitalmarktunion durch die EU-Finanzminister kommt also nicht ganz von ungefähr.——Von Andreas HeitkerDie Bedeutung integrierter und effizienter Kapitalmärkte ist in den letzten Jahren in Europa deutlich gestiegen. Für die EU sollte das Thema Priorität haben.——