Keine Angst vor der Zukunft!
Die Arbeitswelt in der Finanzbranche befindet sich im Wandel. Etablierte Ausbildungs- und Karrierepfade lösen sich auf, Berufsbilder und damit die Anforderungen an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verändern sich tiefgreifend und schnell. Der Mensch bleibt dabei unersetzlich: echte Lernfähigkeit und Vertrauen machen ihn unentbehrlich. Die berufliche Weiterbildung ist wichtiger denn je.Jeder sechste Arbeitnehmer in Deutschland sorgt sich aufgrund der Digitalisierung um seinen Arbeitsplatz, stellte die Beratungsgesellschaft EY bereits vor zwei Jahren in einer Umfrage fest. Die Annahme der Befragten war zu Recht, dass die Digitalisierung den Faktor Mensch in bestimmten Prozessen und Abläufen überflüssig macht. Arbeit wird aber nicht ausgehen, denn mit den Veränderungen entstehen neue Rollen und Funktionen und damit letztlich neue Arbeitsplätze. Sicher ist, dass sich die Anforderungen verändern – und damit die Erwartung an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das oft bemühte Konzept vom lebenslangen Lernen sollte daher ein elementarer Bestandteil der Unternehmenskultur erfolgreicher Unternehmen werden.Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem letzten Jahr geht davon aus, dass in 15 bis 20 Jahren die Hälfte der Arbeit, so wie wir sie kennen, verschwunden sein wird. Solche Entwicklungen sind bereits aus den vorherigen drei industriellen Revolutionen hervorgegangen, in denen bis dato etablierte Berufe überflüssig wurden. Kaum jemand weiß heute noch, was ein Schriftsetzer ist oder warum Laternenanzünder oder Heizer gebraucht wurden.Was die Digitalisierung von anderen industriellen Umbrüchen unterscheidet, ist die Geschwindigkeit, mit der sich der Wandel vollzieht. Früher wurden Berufsbilder über mehrere Generationen abgelöst bis sie letztlich ganz verschwanden. Schon heute, aber vor allem in Zukunft, wird diese Veränderung während eines Arbeitslebens erfahrbar sein. Wer nicht flexibel ist, muss diesen rapiden Wandel als Bedrohung wahrnehmen. Er ist in jedem Fall eine Herausforderung, der sich sowohl Menschen als auch Organisationen stellen müssen.Es ist höchst umstritten, wie die Arbeitswelt in einigen Jahren oder Jahrzehnten aussehen und wie sich das Zusammenspiel von Mensch und Maschine gestalten wird. Einig sind sich Wissenschaftler und andere Experten in einem Punkt: Bildung ist das A und O, um als Unternehmen erfolgreich zu bleiben und um als Arbeitskraft in Zukunft bestehen zu können. Da allerdings das Wissen der Erstausbildung immer schneller veraltet, kommt der Weiterbildung eine geradezu elementare Bedeutung zu.Etwa sechs von zehn deutschen Führungskräften befürchten, dass die heutigen Kompetenzen ihrer Mitarbeiter für die Zukunft nicht mehr ausreichen. Das ist das zentrale Ergebnis einer aktuellen Deloitte-Studie, bei der auch 130 Top-Manager aus Deutschland befragt wurden. Damit wird Qualifikation nicht nur zu einem Standortfaktor, sondern insbesondere auch zu einem Erfolgs- und Differenzierungsfaktor für Unternehmen.Wie sieht es in der Finanzbranche aus? In Deutschland stellen wir einen erheblichen Rückgang in den Beschäftigungszahlen von 20 % seit 2002 fest. Getrieben wurde diese Entwicklung durch ausgedünnte Filialnetze der Banken sowie die Automatisierung von Prozessen, etwa das Aufkommen von Geldautomaten und Online-Überweisungen. Auch der Aktienhandel hat sich in eine digitale Sphäre weiterentwickelt – wenngleich es nach wie vor Menschen braucht, die eine Ordereingabe verantworten oder Handelsstrategien entwickeln. Und so absolvieren weiterhin jedes Jahr rund 1500 Personen eine Händlerprüfung bei der Capital Markets Academy der Deutschen Börse.Die Digitalisierung führt in der Finanzbranche dazu, dass sich Aufgaben verändern oder auf andere Bereiche verlagern. Während Filialen geschlossen werden und Mitarbeiter sich neu ausrichten müssen, stellen die Banken spätestens seit der Finanzkrise vermehrt Risikomanager und Compliance-Experten ein. Als direkte Folge der Digitalisierung werden zudem händeringend Mitarbeiter für IT-Sicherheit sowie Daten-Spezialisten gesucht. Damit hat sich im Grunde genommen der klassische Ausbildungspfad mit einer Ausbildung zum Bankkaufmann beziehungsweise zur Bankkauffrau mit möglichen Ergänzungen wie dem Bankfachwirt/in oder einem BWL-Studium überlebt.Für die genannten Jobprofile sind meist andere Abschlüsse und Qualifikationen gefragt. Diese sind nicht mehr unbedingt branchenspezifisch; in der Berufspraxis fehlt häufig das wertvolle Fundament der Banklehre. Auch hier bietet die fachliche Weiterbildung eine Möglichkeit, Methodenwissen mit Fachwissen anzureichern.Die Qualifizierungsketten kehren sich entsprechend um: Heute gibt es noch den Bedarf, erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Digitalisierung vorzubereiten. Gleichzeitig kommen die Digitalisierungsexperten aber bereits von den Hochschulen, sind von ihrer Sozialisation her “Digital Natives”, und benötigen eher branchenspezifisches Expertenwissen. Die fehlende Fachkenntnis lässt sich zum Teil natürlich durch interdisziplinäre Teams abfedern. Doch Team-Mitglieder und Teams müssen sich untereinander verständigen können, das heißt ein gemeinsames Verständnis von Begriffen, Methoden und Instrumenten haben.Schon einmal, vor und während der letzten Finanzkrise, hat sich dies als Problem herausgestellt. Um sophistizierte Risikomodelle zu entwickeln, hatten Banken in großem Umfang Mathematiker und Physiker eingestellt. Die Modelle waren häufig auf mehrere Nachkommastellen genau, die Spezialisten von der Brillanz ihrer Gleichungen überzeugt. Ob jedoch die den Modellen zugrunde liegenden Annahmen einem Realitätscheck standhalten würden, konnten diese häufig nicht überprüfen. Hierfür fehlte ihnen der fachspezifische Hintergrund. Bezogen auf die Digitalisierung bedeutet dies, dass die IT-Spezialisten auch die Abläufe, Prozesse und Produkte verstehen müssen, die dem Geschäftsmodell ihres Unternehmens zugrunde liegen. Reines Technologie-Know-how reicht nicht aus. Genug Raum für MenschenSelbst in einer Welt, in der zunehmend Aufgaben durch Maschinen, Roboter sowie Computer mit künstlicher Intelligenz übernommen werden, bleibt ausreichend Raum für den Menschen. Derzeit müssen diese Roboter von Personen konzipiert und weiterentwickelt werden; die Software hierfür und für andere Applikationen muss geschrieben werden. Die Auguren sagen, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch diese Aufgaben von den Maschinen übernommen werden. Ein Blick auf das Lernen hilft in diesem Zusammenhang weiter: Beim Machine Learning werden große Datenmengen in einen Computer eingespeist und dieser lernt, in den Daten Muster zu erkennen, beispielsweise eine Katze. Menschen reichen hingegen kleine Datenmengen zum Lernen aus: sieht ein Kind einmal eine Katze, erkennt es diese Tiere in der Regel ein Leben lang. Insbesondere bei seltenen Phänomenen, sogenannten schwarzen Schwänen, eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit.Ein weiteres Beispiel für den menschlichen Faktor ist die Anlageberatung. Diese wird aktuell durch Robo-Advisor – dem Versprechen nach vollautomatischer und damit günstiger Beratung – herausgefordert. Was hier angeboten wird, ist ein konsequent kostenoptimiertes Musterportfolio mit einer überzeugenden Customer Journey. Viel wichtiger ist jedoch die Frage, in welchem Umfang Menschen ihre Geldanlage Robo-Advisorn überlassen werden. Denn der Algorithmus kann keine elementaren Sorgen und emotionalen Zwiespälte berücksichtigen, die oft mit Anlageentscheidungen einhergehen.Es ist vermutlich ähnlich wie bei einem Arzt: Bestimmte Diagnosen kann ein Computer bereits heute besser und schneller stellen als ein Mensch. Auch für manche Operationen eignen sich Roboter besser, die immer “eine ruhige Hand” haben. Aber was, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert? Wo neben Sachverstand, Technik und Präzision auch Entscheidungsspielräume und moralische Abwägungen an Bedeutung gewinnen, gerät die Maschine an ihre Grenzen – und der Mensch, der Verantwortung trägt, ist unersetzlich. Ulf Mayer, Head of Capital Markets Academy der Deutsche Börse AG