IM INTERVIEW: ROBERT LAUTER

"Keine Indikation für Pfusch"

EZB-Aufseher zieht erste Bilanz der mehrjährigen Überprüfung bankinterner Modelle - Mängel bestehen vor allem in Detailfragen

"Keine Indikation für Pfusch"

Herr Lauter, seit 2017 und noch bis Jahresende prüft die EZB die internen Modelle von Banken zur Kalkulation des Eigenkapitalbedarfs vor Ort. Was sind die Lehren der Übung TRIM, der Targeted Review of Internal Models?Modelle, die über lange Zeit nicht vor Ort geprüft werden, entwickeln eine gewisse Eigendynamik, die nicht immer notwendigerweise im Sinne eines guten Risikomanagements und damit der Aufsicht ist. Daher ist es gut, dass es eine Modellaufsicht gibt. Das ist sicher eine der Lehren aus TRIM, ebenso aber, dass Vor-Ort-Prüfungen ein sicherer Weg sind, Schwachstellen zu identifizieren. Die Überprüfung von Modellen vor Ort endet natürlich nicht mit der Beendigung des TRIM-Projektes. Modellaufsicht hat es schon vor Einführung der europäischen Bankenaufsicht gegeben, und zwar durch die nationalen Behörden.Ja, es gab dabei aber unterschiedliche Praktiken. Wo haben diese denn am stärksten durchgeschlagen?Begonnen haben Banken im Kreditrisiko in der Regel mit internen Modellen zu Hypothekenforderungen. Dies waren auch die ersten Kreditrisikomodelle, die von nationalen Aufsichten abgenommen wurden. Sie hatten dementsprechend auch am längsten Zeit, sich unterschiedlich zu entwickeln, und es waren auch die Ersten, die im Rahmen von TRIM untersucht wurden. Liest man als Außenstehender die jüngst publizierten Zwischenergebnisse, ist man generell überrascht, wie viele Mängel TRIM zutage gefördert hat.Das muss man in den richtigen Kontext stellen. TRIM machen wir, um sicherzustellen, dass die Modelle, die zur Berechnung der Kapitalanforderungen eingesetzt werden, qualitativ hochwertig sind, die Risiken richtig messen, den regulatorischen Anforderungen entsprechen und auch vergleichbare Ergebnisse liefern, um so das Vertrauen in interne Modelle zu stärken. Die Hauptherausforderung war also, die Glaubwürdigkeit der Modelle zu erhöhen und den Verdacht auszuräumen, dass Banken dort tricksen oder täuschen. Dazu muss man aber sicherstellen, dass überall die gleiche Messlatte gilt. Die erste Übung im TRIM-Projekt bestand daher darin, zunächst einmal ein gemeinsames Verständnis von den Anforderungen der EU-Eigenkapitalrichtlinie zu entwickeln und dieses anhand einer ausgewählten Anzahl von Modellen zu überprüfen. Der Schwerpunkt der Prüfungen lag daher auf Bereichen, in welchen die EU-Eigenkapitalrichtlinie CRR unterschiedlich verstanden werden kann. Da ist es klar, dass in 15 unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlicher Historie dann Abweichungen festgestellt werden. Ein Großteil der Mängel geht nicht auf tatsächliche Defizite zurück?Ich würde sagen, es geht um ein präzisiertes Verständnis regulatorischer Anforderungen. Da sind auch Defizite dabei, das will ich gar nicht beschönigen. Ein Großteil sind aber Abweichungen vom einheitlichen Verständnis des Single Supervisory Mechanism. Wir haben natürlich gerade in interpretationsfähigen Bereichen versucht, unser Verständnis zu präzisieren. Dementsprechend gab es etwa in Feldern wie dem Rückvergleich der Gewinn-und-Verlust-Rechnung im Marktrisiko auch viele Feststellungen. Die grundsätzliche Einsetzbarkeit der verwendeten Modelle wird damit aber nicht in Frage gestellt. Im Falle der Kreditrisikomodelle haben drei Viertel aller Vor-Ort-Untersuchungen zu Beanstandungen bei der Definition des Zahlungsausfalls geführt. Wird die Glaubwürdigkeit interner Modelle durch TRIM nicht eher geschwächt statt gestärkt?Die Definition des Zahlungsausfalls ist ein ganz besonderes Thema. Die Festlegung des Default ist der zentrale Anfangspunkt, wenn es um bankinterne ratingbasierte Modelle geht. Uns ging es darum, ob die IT-Systeme Daten richtig abgegriffen haben und ob die Datenqualität stimmt. Ich bin jetzt nicht darüber beunruhigt, dass es da nun bei vielen Kleinigkeiten Beanstandungen gibt. Beim Großteil dieser Befunde handelt es sich um leichte Befunde des Typs F1 oder F2. F4 wären schwerwiegende Beanstandungen. Ich will das nicht verniedlichen, aber es handelt sich in der Regel nicht um schwerwiegende Fälle, die das ganze Thema der Ausfallerkennung in Frage stellen würden. Die Institute müssen allerdings auch diese kleineren Schwächen korrigieren, damit die Modelle nach dem Abschluss von TRIM einheitlich im Rahmen der regulatorischen Anforderungen eingesetzt werden. Beanstandungen gehagelt hat es auch mit Blick auf die Methodik für Veränderungen an Modellen.Bei einer Vielzahl von Banken waren Modelländerungsrichtlinien intern nicht gut kodifiziert. Für uns ist es aber wichtig, dass das, was Banken machen, schriftlich festgehalten wird, damit man im Nachhinein überprüfen kann, ob sich eine Bank an ihre eigenen Regeln gehalten hat. Und das hat an vielen Stellen gefehlt. Seitdem sich Institute in der Finanzkrise als unterkapitalisiert entpuppt haben, begleitet die internen Modelle allgemein der latente Verdacht, dass Institute damit ihre Risiken künstlich klein und ihre Eigenkapitaldecke dick rechnen. Hat sich der Verdacht, dass Banken pfuschen, bestätigt?Ich kann keine Indikation für Pfusch erkennen. Wohl aber gab es Modellierungspraktiken, die nicht alle Risiken vollständig erfasst haben oder bei denen es Abweichungen von den strikten Anforderungen der EU-Eigenkapitalrichtlinie CRR gab, und das sind natürlich Dinge, auf die wir im Nachgang zu den Prüfungen jetzt reagieren. Wie geht es jetzt weiter?Für jede einzelne Vor-Ort-Überprüfung bekommen die Banken eine Follow-up-Entscheidung, die festlegt, wie und in welcher Frist sie ihre Modelle anpassen müssen. Immer, wenn wir Anzeichen für Risikounterschätzung sehen, reagieren wir mit entsprechenden Maßnahmen. Es hat aber auch Fälle gegeben, in denen wir Banken darauf hingewiesen haben, dass ihre Modellierungspraxis konservativer ist als das, was die Regulierung vorgibt. In solchen Fällen machen wir aber keine Auflagen, um das zu beheben. Außerdem setzen wir die Vor-Ort-Prüfungen auch nach dem Abschluss von TRIM fort, um den erreichten hohen Qualitätsstandard bei den beaufsichtigten Banken zu halten. Wie weit reichen die Fristen für Banken zur Nachbesserung?In der Regel sind das sechs bis achtzehn Monate. Wie sehr wird sich mit TRIM die durchschnittliche Eigenkapitalquote der Banken reduzieren?Diese Frage wird auch nach TRIM schwer umfassend zu beantworten sein, schon allein wegen des zeitlichen Versatzes zwischen Prüfung, Entscheidung und Umsetzung der Auflagen durch die Banken: in dieser Zeit können sich etwa Umfeldparameter, Portfoliozusammensetzungen und Geschäftsstrategien mit Einfluss auf die Eigenkapitalquoten maßgeblich ändern. Hinzu kommen noch die Maßnahmen, die Banken, motiviert durch TRIM, selbst angestoßen haben, und die wir nicht alle kennen. Die Aareal Bank hat erklärt, dass TRIM ihre Kapitalquote vor dem Abschluss von Basel III um 3,5 bis 4 Prozentpunkte niedriger ausfallen lassen dürfte.Zu einzelnen Banken äußern wir uns grundsätzlich nicht. Wir haben aber bereits deutlich gemacht, dass TRIM für einige Banken signifikante Auswirkungen haben kann. Lassen sich denn regionale Unterschiede in Europa ausmachen?Wir unternehmen jetzt horizontale Analysen, die aber noch nicht abgeschlossen sind. Noch kann ich nicht sagen, dass große regionale Unterschiede bestehen. Dazu sind die Banken in den einzelnen Ländern nicht homogen genug. Es ist aber auch nicht unser Ziel herauszufinden, ob in der Vergangenheit etwas schlecht gewesen ist, oder mit dem Finger auf einzelne Aufsichtsbehörden zu zeigen. Wir schauen nach vorne und stellen sicher, dass die internen Modelle in Banken unseren hohen Qualitätsanforderungen genügen. Wozu dienen diese horizontalen Analysen? Wird es zu einem Benchmarking und einem Best-Practice-Ansatz kommen, der für die Banken weitere Verschärfungen bedeuten dürfte?Ziel der horizontalen Analysen ist es zunächst einmal, alle Banken gleich zu behandeln. Vergleichbare Input-Daten sollen vergleichbare Output-Daten liefern, und vergleichbare Sachverhalte in den Prüfungsberichten sollen jeweils gleich erfasst werden. Insofern wird sich damit auch eine Best Practice in der Implementierung herausbilden. Was wir grundsätzlich von Modellen erwarten, haben wir aber schon im Februar 2017 in einem EZB-Leitfaden niedergelegt und den Banken zur Verfügung gestellt. Zunächst einmal müssen Banken ihre Mängellisten abarbeiten.Allein die Tatsache, dass wir TRIM gemacht haben, hat in vielen Instituten bereits zu Investitionen und Änderungen geführt, gerade was Governance und Strukturen angeht. Das allein ist schon ein großer Fortschritt. Wenn die Banken nun die von uns geforderten Anpassungen umgesetzt haben, wird die europäische Bankenaufsicht mit einer gestärkten und vereinheitlichten Modelllandschaft dastehen. Der SSM zeigt damit als größter Einzelaufseher der Welt, dass es möglich ist, bankinterne Modelle in einer einheitlichen Weise zu implementieren und die Risikosteuerung durch interne Modelle sinnvoll zu gestalten. Einer der Hauptkritikpunkte von Ratingagenturen und Analysten war ja, dass dies eben nicht der Fall sei. Insofern ist TRIM ein Meilenstein. Das hat auch das Interesse von Aufsichtsbehörden andernorts geweckt. Inwiefern?Es gab schon Workshops mit der Federal Reserve. Auch der britischen Prudential Regulatory Authority und im Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht wurde TRIM vorgestellt. Ich hatte auch Kontakte nach Fernost. Die Fed steht dem Einsatz interner Modelle, gerade wenn diese der Berechnung der Kapitalquote dienen, skeptisch gegenüber. Denkt sie nach dem Workshop nun um?Darüber will ich nicht spekulieren. Das Interview führte Bernd Neubacher.