GastbeitragTechnologie

KI vermag Finanzaufsicht und Geldpolitik zu revolutionieren

Künstliche Intelligenz (KI) wird auch die Finanzaufsicht und die Geldpolitik verändern. So müssen die Aufseher etwa Gefahren, die KI birgt, in den Blick nehmen. Zugleich vermag KI unter anderem dabei helfen, Risiken für die Finanzstabilität zu erkennen.

KI vermag Finanzaufsicht und Geldpolitik zu revolutionieren

KI vermag Aufsicht und Geldpolitik zu revolutionieren

Seit geraumer Zeit wird über die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz (KI) auf unterschiedliche Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft diskutiert. Mit der Veröffentlichung der textbasierten Bots ChatGPT und Bard hat die Diskussion über die Chancen und Risiken von KI eine neue Stufe erreicht. Das Center for Financial Studies an der Goethe-Universität hat dies zum Anlass genommen, eine Umfrage zu den Perspektiven von KI in der Finanzindustrie durchzuführen. Etwa 31% der mehr als 200 befragten Fach- und Führungskräfte im Finanzsektor geben an, dass ihr Unternehmen bereits KI einsetzt, weitere fast 40% geben an, dass es schon Pilotprojekte für den Einsatz von KI gibt. Dass KI die Finanzindustrie in den kommenden fünf Jahren stark verändern wird, glauben rund 80% der Panelteilnehmer.

Uneins über Job-Effekte

Ob allerdings KI Arbeitsplätze kosten oder vielleicht doch neue schaffen wird, darüber besteht keine Einigkeit. Rund 53% glauben eher daran, dass durch KI Arbeitsplätze wegfallen werden. Etwa 44% glauben das nicht. Weitgehende Einigkeit (83% der Befragten) besteht hinsichtlich der Notwendigkeit einer Regulierung von KI. Auf europäischer Ebene wird dem noch nicht verabschiedeten AI-Act eine zentrale Rolle zukommen, der KI-Anwendungen in unterschiedliche Risikoklassen einteilen soll und je nach Risikopotenzial vorsieht, dass KI-Anwendungen genehmigt, überwacht oder gar verboten werden sollen. Die meisten KI-Anwendungen dürften aber auch künftig keiner Regulierung unterliegen. In der Finanzindustrie gibt es bereits einige Anwendungsfelder, in denen KI-Modelle zum Einsatz kommen oder perspektivisch kommen werden. Prädestiniert für den Einsatz von KI-Modellen sind Bereiche, in denen große Datenvolumina anfallen und analysiert werden. Dazu gehören in Banken und Versicherungen die Bereiche Risikomanagement (z.B. Ratingmodelle, Kapitalallokation, Stresstests) oder Compliance (z.B. Fraud Detection, Anti-Money-Laundering, KYC).

Im Customer Relationship Management begegnen uns bereits heute Chatbots, Sprach- oder Bilderkennungssysteme, die einerseits die Prozesskosten reduzieren und andererseits das Kundenerlebnis verbessern sollen. Weitere Use Cases liegen in den Bereichen Market Research oder Unternehmensanalysen. Künftig wird man KI auch zur Entwicklung intelligenter Preismodelle einsetzen können, die bei der Bepreisung von Produkten und Diensten das kundenspezifische Verhalten dynamisch abbilden können. Im Marketing und Vertrieb können KI-Modelle eingesetzt werden, um etwa mit Hilfe von Kundenprofilen zielgruppenspezifische Kommunikationsmaßnahmen durchzuführen oder Produktangebote zu individualisieren. Im Assetmanagement gibt es bereits KI-Fonds und Fonds, die mit Hilfe von KI gemanagt werden. Dieser Trend dürfte sich mit der Weiterentwicklung der entsprechenden Modelle fortsetzen.

KI wird auch die Finanzaufsicht gleich in mehrfacher Hinsicht verändern. Einerseits wird die Finanzaufsicht auch den Einsatz von KI in Finanzinstituten in den Blick nehmen müssen, eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für die Behörden. Denn noch weiß niemand, welche Risiken neben den unstrittigen Chancen durch KI tatsächlich entstehen können. Entsprechend hoch qualifiziertes Personal mit profundem KI-Know-how dürfte für die Behörden schwer zu gewinnen sein.

Andererseits kann KI die unterschiedlichen Bereiche der Finanzaufsicht unterstützen, vor allem bei der Früherkennung möglicher systemischer Risiken für die Finanzstabilität. Aber auch das Verständnis für die Vulnerabilität einzelner Finanzinstitute kann sich durch KI verbessern. Derzeit herrschen sowohl in der Finanzmarktregulierung und -aufsicht als auch in der Unternehmensanalyse kennzahlenbasierte Methoden vor, die durch detaillierte Vorgaben und Analysen die Rentabilität, Liquidität und das Risikopotenzial messen, beurteilen und überwachen sollen.

Psychologische Faktoren

Künftig werden vor allem Verfahren des maschinellen Lernens helfen, die vielfältigen Einflussfaktoren und wechselseitigen Abhängigkeiten der Finanzinstitute untereinander zu berücksichtigen. Dies gilt beispielsweise für psychologische Faktoren, die bekanntlich eine enorme Bedeutung etwa für die Entstehung von Bank Runs haben, wie z.B. der Fall der Silicon Valley Bank gezeigt hat. In Zukunft ist sogar eine Finanzaufsicht in nahezu Echtzeit denkbar, wenn es gelänge, Transaktionsdaten und die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf Bilanzen und Schlüsselkennzahlen zur Risiko- und Ertragslage an die Behörden in Echtzeit zu übermitteln.

Gespannt darf man auch sein auf die Auswirkungen von KI auf die Geldpolitik. Warum sollten in Zukunft nicht auch KI-Modelle den Einsatz geldpolitischer Instrumente optimieren helfen? Denn gerade die teilweise sehr unterschiedlichen geldpolitischen Empfehlungen von Wissenschaftlern in Krisensituationen verdeutlichen, dass die Wirksamkeit geldpolitischer Maßnahmen noch lange nicht auserforscht ist.

Neue Modellansätze

Fehldiagnosen und darauf aufbauende falsche geldpolitische Entscheidungen kann man immer wieder beobachten, auch und gerade jetzt. Die bestehenden makroökonomischen Modelle sind trotz der stetig steigenden mathematischen Komplexität keine „lernenden“ Modelle. KI kann auch zu neuen Forschungsansätzen in der makroökonomischen Modellierung führen. Maschinelles Lernen wird dazu beitragen, neue Modellansätze zu entwickeln, die das Verständnis für die Wirkung geldpolitischer Maßnahmen verbessern werden. Denn vor allem Deep-Learning-Modelle können unzählige Einflussfaktoren berücksichtigen, ohne dass eine explizite Formulierung von Gleichungen erforderlich ist. Perspektivisch könnte dies auch zu einer vollständig neuen regelbasierten Geldpolitik führen.

Volker Brühl

Geschäftsführer des Center for Financial Studies und Professor für Banking und Finance

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