ANSICHTSSACHE

KI wird entscheidend für den Finanzplatz Frankfurt/Rhein-Main

Börsen-Zeitung, 15.11.2019 Frankfurt ist der führende Finanzplatz Kontinentaleuropas, und das soll er bleiben. Die viertgrößte Volkswirtschaft der Erde braucht ein entsprechend leistungsstarkes und global vernetztes finanzielles Zentrum, um ihren...

KI wird entscheidend für den Finanzplatz Frankfurt/Rhein-Main

Frankfurt ist der führende Finanzplatz Kontinentaleuropas, und das soll er bleiben. Die viertgrößte Volkswirtschaft der Erde braucht ein entsprechend leistungsstarkes und global vernetztes finanzielles Zentrum, um ihren Zahlungsverkehr abzuwickeln und Investitionen zu ermöglichen. Doch die Bankenbranche ist in Bewegung, um nicht zu sagen im Umbruch: Neue Technologien stellen bewährte Geschäftsmodelle in Frage und verschaffen den etablierten Anbietern zunehmend Konkurrenz. Die Digitalisierung ist dabei, die Finanzbranche tiefgreifend zu verändern. KI erhöht WachstumsrateBereits heute spielen algorithmischer Handel, automatisierte Anlageberatung und -entscheidung sowie Marktdatenanalyse eine herausragende Rolle im Finanzmarktgeschehen. In Zukunft wird dies noch erheblich zunehmen. Insbesondere der künstlichen Intelligenz (KI) wird dabei das größte Potenzial zugeschrieben – für die Wettbewerbsfähigkeit von Finanzdienstleistern ebenso wie für IT-Sicherheit und für die Fähigkeit von Aufsichtsbehörden, das Marktgeschehen angemessen zu überwachen.Eine Vielzahl deutscher und internationaler Studien belegen, dass künstliche Intelligenz und andere Tech-Lösungen für die Effektivität und Effizienz der Finanzmarktaufsicht eine entscheidende Rolle spielen werden. Und nicht nur dort: Es wird sogar prognostiziert, dass gezielter Einsatz von KI die Wachstumsrate der deutschen Wirtschaft bis zum Jahr 2035 auf 3 % verdoppeln kann.Die Hessische Landesregierung begreift diese Herausforderung als große Chance. Denn der Finanzplatz Frankfurt hat alle Voraussetzungen, diesen technologischen Wandel mitzugestalten und daran teilzuhaben. Schließlich sitzen hier nicht nur Börsen und Banken: Das Rhein-Main-Gebiet ist auch ein starker IT-Standort mit forschungsintensiven Hochschulen und Firmen, mit dem weltweit wichtigsten Internetknoten und einer einzigartigen Konzentration von Rechenzentren. Hinzu kommen Aufsichtsbehörden wie BaFin, Bundesbank, Europäische Zentralbank (EZB) und die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA – all dies in enger Nachbarschaft. Auf dieser Grundlage lässt sich aufbauen. Hessisches Fintech-ÖkosystemMit Beteiligung der Landesregierung ist deshalb damit begonnen worden, diese Vorteile systematisch zu entwickeln. In Frankfurt ist ein dynamisches Fintech-Ökosystem entstanden, ein paar Kilometer weiter südlich in Darmstadt ein IT- und Cybersecurity-Hub von internationalem Renommee.Schon Anfang 2018 haben sich Wirtschaft, Wissenschaft und Politik auf einen Masterplan für die Start-up-Region Frankfurt-Rhein-Main verständigt und sich das ambitionierte Ziel gesetzt, den Rhein-Main-Raum zum führenden Fintech-Standort in Kontinentaleuropa sowie zu einem international anerkannten Technologie-Standort zu entwickeln.Der Masterplan listet Maßnahmen auf, die von der Talentförderung über die Vernetzung und Finanzierung bis zur zielgerichteten Vermarktung der Aktivitäten und Stärken der Region reichen. Diesen Masterplan setzen wir konsequent um.Ein bedeutender Schritt ist der im Koalitionsvertrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen vereinbarte Aufbau des Techcampus. Dieses hochschulübergreifende Kompetenzzentrum für künstliche Intelligenz soll das Herzstück des hessischen KI-Ökosystems werden. Es soll die Spitzenforschung stärken, KI-Fachkräfte ausbilden, für den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis sorgen und die Start-up-Kultur an den Hochschulen fördern. Dabei ist der Techcampus branchenunabhängig ausgerichtet. Financial Big Data ClusterEinen ausgeprägten Finanzplatzbezug hat das Projekt Financial Big Data Cluster, an dessen Aufbau wir gemeinsam mit dem sehr erfolgreichen Techquartier, den Finanzaufsichtsbehörden der Region sowie Wissenschaft und Wirtschaft arbeiten. Daten sind die Schlüsselressource für KI-Anwendungen, für den deutschen und europäischen Finanzmarkt jedoch – anders als etwa in Asien und Nordamerika – nur in begrenztem Umfang öffentlich verfügbar. Zudem sind ihre Quellen oftmals zu wenig validiert und verknüpft, was die passgenaue Entwicklung europäischer und deutscher KI-Lösungen erschwert.Dies wollen wir mit dem Financial Big Data Cluster ändern. Diese cloudbasierte Datenplattform wird – zunächst für öffentliche, später auch für private Institutionen – eine kritische Masse von Daten verschiedener Lieferanten sicher und verlässlich zugänglich machen. Damit wollen wir auch einen einheitlichen Standard für Datenstrukturen schaffen – eine wichtige Grundlage für die weitere Entwicklung. Integration in Gaia-X-ProjektIch verstehe es als Bestätigung und Ermutigung, dass die Bundesregierung inzwischen die Finanzwirtschaft in ihre Strategie Künstliche Intelligenz aufgenommen hat. Das Financial Big Data Cluster ist dabei als eine der ersten KI-spezifischen Maßnahmen in das vor wenigen Wochen vom Bundeswirtschaftsministerium vorgestellte Gaia-X-Projekt einer europäischen Dateninfrastruktur integriert worden.Dieser Erfolg zeigt: Das Financial Big Data Cluster ist ein exzellentes Beispiel für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Ich bin überzeugt, dass wir damit den richtigen Weg eingeschlagen haben. Deutschland, insbesondere Hessen, ist in der KI-Forschung international führend. Unser Ziel muss sein, dass die Ergebnisse dieser Forschung auch hier angewendet und vermarktet werden. Tarek Al-Wazir, hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertre- tern aus der Wirtschafts- und Finanz- welt, aus Politik und Wissenschaft.——Hessen ist in der KI-Forschung international führend. Das Ziel muss sein, die Ergebnisse dieser Forschung auch hier anzuwenden und zu vermarkten.——