Komplexität und Potenziale im Seniorenwohnen
Viel wurde in den vergangenen Jahren in Deutschland über Altersarmut und niedrige Renten diskutiert. Wer sich indes die Zahlen anschaut, muss anerkennen, dass wir aktuell die wohlhabendste Rentnergeneration haben, die es jemals in unserem Land gegeben hat. Ein Drittel aller westdeutschen und immerhin ein Sechstel aller ostdeutschen Rentnerhaushalte haben mehr als 2 500 Euro Monatseinkommen. Zwei Drittel aller Rentner haben Wohneigentum. Die Alterskohorte der Babyboomer ist überdurchschnittlich groß, und von den Babyboomern wiederum gibt es einen großen Anteil an Menschen mit einer deutlich höheren Eigentums- und Einkommensquote.
Kein Freifahrtschein
Kurzum, ein relevanter Anteil der Älteren und künftig Älteren in Deutschland ist überdurchschnittlich vermögend. Wir haben also eine klare Divergenz zwischen der gesellschaftlichen Wahrnehmung und der tatsächlichen Einkommensverteilung, was auch dynamische Auswirkungen auf die Bereitschaft und Fähigkeit der Menschen haben wird, mehr Geld für altersgerechtes Wohnen zu zahlen – und dementsprechend den Bedarf nach einem breitgefächerten Angebot erhöhen wird.
Auch wenn sie offenkundig sind, stellen diese Bedarfspotenziale jedoch keinen Freifahrtschein für Investitionen in sämtliche altersgerechte Wohnformen dar. Zum einen gibt es regionale Unterschiede. Die Einkommensverteilung im Rentenalter schwankt nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen dem Süden und dem Norden, zwischen den Ballungsgebieten und dem ländlichen Raum. Zum anderen unterliegen auch die Grundstückspreise und nachgefragten Qualitätsstandards erheblichen regionalen Unterschieden. Und drittens beobachten wir mit Sorge, dass manche Investoren weiterhin beim Gesundheitsimmobilienmanagement die falschen Schwerpunkte setzen.
Trotz eines Gesamtinvestitionspotenzials von aktuell über 60 Mrd. Euro im betreuten Wohnen fließt ein Großteil des Kapitals in risikoanfälligere und renditeschwächere Pflegeimmobilien. Dass sich Investoren für die Anlageklasse Gesundheitsimmobilien öffnen, ist daher zunächst folgerichtig und zu begrüßen. Ebenso ist aber die Tatsache zu beachten, dass die Rückschlüsse auf die Investitionspotenziale, die richtigen Standorte und die nachgefragten Wohnformen weiterer komplexer Analysen bedürfen, um mögliche Renditen zu erkennen und Risiken zu minimieren.
Vor diesem Hintergrund ist neben der Nachfrageseite des Marktsegments Wohnen im Alter vor allem auf das Investitionspotenzial abzustellen, um auf Grundlage beider Faktoren das Realisierungspotenzial zu identifizieren. So muss geklärt werden, welcher Anteil einer bestimmten Alterskohorte denn auch eine bestimmte Wohnform für sich wählt.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit lässt sich dabei sagen, dass für rund zehn Prozent der Haushalte ab 70 Jahren Service-Wohnen in Betracht kommt. Aus unserer Perspektive ist zudem das durchschnittliche Einzugsalter von 75 Jahren als Rahmenzahl wichtig für die Berechnung des Marktpotenzials, ebenso wie die Berücksichtigung der weiter steigenden Lebenserwartung sowie die unterschiedlichen Definitionen der Pflegebedürftigkeit.
Wohnungen fehlen
In absoluten Zahlen zusammengefasst heißt das: Derzeit fehlen rund 550 000 altersgerechte Wohnungen. Legt man den Bedarfsansatz der Berechnung zugrunde, so sind es immerhin noch rund 350 000 Wohnungen. Folgt man wiederum dem Investment-Ansatz, so muss man festhalten: Jeder 20. bis 30. Bewohner Deutschlands, also zwischen 3,3 und 5,0 % des demografisch bestätigten Nachfragepotenzials, werden im Alter nochmals umziehen und dabei Einrichtungen wählen, die ihren Ansprüchen und Bedarfen gerecht werden. Zugleich können sich aktuell rund 3,85 Millionen Haushalte 2 000 Euro für monatliche Wohnkosten leisten, wobei hierfür nur das laufende Einkommen mitgerechnet wird, da die Differenz zwischen Einkommensbeziehern und Vermögenshaltern nur schwer berechnet werden kann.
Babyboomer im Rentenalter
Angesichts dieser Rahmendaten wird deutlich, dass neben den regulierten Pflegeimmobilien das Marktpotenzial für Serviced Apartments bei Weitem nicht ausgeschöpft ist. In ganz Deutschland stehen derzeit 3,6 Apartments je 100 Senioren über 70 Jahren zur Verfügung. Während diese Quote in den kommenden Jahren sinken wird, wenn immer mehr Angehörige der Babyboomer-Generation das Rentenalter und leicht zeitverzögert das Pflegealter erreichen, wird die Nachfrage im Gegenteil aus denselben Gründen sogar steigen.
Gerade Haushalte mit einem überdurchschnittlichen Einkommen haben das Bedürfnis, möglichst lange im Alter selbständig zu sein. Zugleich meiden sie als Wohnform Versorgungsanstalten mit einer dezidierten Krankenhausatmosphäre. Sie sind daher häufiger bereit, im noch rüstigen Alter abermals umzuziehen, wenn dadurch ihre Ansprüche nach altersgerechtem Wohnen, persönlicher Unabhängigkeit und einer altersgerechten Versorgungsabsicherung erfüllt werden. Das qualitative Momentum spielt daher der Investitionsklasse des altersgerechten Wohnens deutlich in die Hände.
Auch die bisherige Zielgruppe der Single-Haushalte wird sich in den kommenden Jahren wandeln. Die Nachfrage für Serviced Apartments für Paare liegt aktuell bei rund 30 % und nimmt kontinuierlich zu. Da Paare nicht nur größere Wohnungen beanspruchen, sondern in der Regel auch zahlungskräftiger sind, muss das Angebot nicht nur quantitativ ausgeweitet werden, sondern auch qualitativ.
Nicht zuletzt wird im Ergebnis der demografische Megatrend auch grundsätzliche Fragen des Wohnens im Alter aufwerfen. Der derzeitige Entweder-oder-Ansatz zwischen rein stationärer Pflege auf der einen Seite und rein ambulanten Modellen auf der anderen Seite wird in den kommenden Jahren eine strenge Überprüfung und Anpassung durchlaufen müssen.
Während die gängigen und starren Formen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen werden, werden sich hybride Pflegeangebote ausbreiten. Profitieren werden davon vor allem spezielle Wohnimmobilien mit einem sogenannten Quartierspflegekern, die die Marktlücke zwischen auf der einen Seite altersgerechtem und auf der anderen Seite unabhängigem Wohnen abdecken. In solchen Objekten wird aufgrund der Grundausstattung und der Konzentration an Kunden und Patienten eine ambulantisierte Versorgung leichter umzusetzen sein, zugleich aber aus dem steifen Korsett der stationären Pflege befreit.
Der Blick auf das Immobilienangebot und die Marktpotenziale in einer alternden Gesellschaft sollten freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch aus unserer Sicht nicht ausreichen wird, genügend Gebäude zu bauen und eine bedarfsgerechte Anzahl an Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Wohnen im Alter wird auch in Zukunft personalintensiv sein – auch zu dieser Frage sollte sich unsere Gesellschaft ehrliche und langfristige Gedanken machen.