GASTBEITRAG

Konsequent von der alten Mentalität Abschied nehmen

Börsen-Zeitung, 19.12.2017 Bei der diesjährigen Umfrage der Bundesbank und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zur Ergebnisentwicklung im Niedrigzinsumfeld haben die Banken dargelegt, dass sie bis 2021 einen Ergebnisrückgang...

Konsequent von der alten Mentalität Abschied nehmen

Bei der diesjährigen Umfrage der Bundesbank und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zur Ergebnisentwicklung im Niedrigzinsumfeld haben die Banken dargelegt, dass sie bis 2021 einen Ergebnisrückgang (Gesamtkapitalrentabilität) von 16 % erwarten. War in der Umfrage 2015 noch die Rede davon, dass bei anhaltendem Niedrig- beziehungsweise Nullzinsniveau bis 2019 die erwartete Profitabilität – sowohl nach institutseigenen Planungen als auch in den aufsichtsrechtlichen Szenarien – “stark rückläufig” wäre, so steht mit der aktuellen Aussage eine völlig andere Größenordnung und damit auch Problemdimension im Raum.Da fragt sich der kundige Thebaner, wie eine solche Ergebnisverbesserung zustande kommen kann. Leider ist die Ursachenanalyse von Bundesbank und BaFin zur neuen Entwicklung sehr unscharf, wenn auch ihre Pressemitteilung zur Umfrage selbst Zweifel erkennen ließ, da sie Teile der vorgelegten Planungen als “sehr ehrgeizig” qualifizierten.Wie ist es wirklich? Ein genauerer Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass sich am Tatbestand des dramatischen Rückgangs des Zinsüberschusses als wichtigster Erfolgsquelle in den nächsten Jahren um rund 50 % nichts geändert hat. Die Zerlegung des Zinsüberschusses in seine Erfolgsquellen und deren Bestimmungsfaktoren zeigt, dass in Zeiten “normaler Zinsen” bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken etwa 40 % aus den Passivmargen und rund 25 % aus der Anlage der eigenen Mittel kommen. Wie in der Umfrage aus 2015 noch ausführlich dargestellt, werden diese Erfolgsquellen sich so deutlich verringern, dass der Zinsüberschuss um gut die Hälfte sinken wird. An den Einflussfaktoren dafür hat sich nichts geändert, denn der vielbeschworene Ausstieg der EZB aus ihrer leichten Geldpolitik wird allenfalls zu mikroskopischen Zinssteigerungen führen und wurde zudem nach neuesten Äußerungen weit in das Jahr 2019 verschoben.Die schwächere Auswirkung auf das Gesamtergebnis soll sich durch erhebliche kompensatorische Effekte ergeben: Ein kaum plausibel zu begründender Anstieg des Provisionsergebnisses um 3 Mrd. Euro soll nahezu den gesamten Rückgang des Zinsüberschusses ausgleichen, steigende Kosten werden weiter belasten, und das “Sonstige Ergebnis” soll steigende Risikokosten mehr als ausgleichen. Aber selbst dies gelingt nur in dem von den Aufsehern definierten Normalszenario. Die sogenannten Stressszenarien zum Beispiel mit weiteren Zinssenkungen führen zum Rückgang des Jahresüberschusses vor Steuern, bezogen auf die Bilanzsumme, um bis zu 60 %! Ein steiniger WegBeruhigen kann hier auch nicht der – für eine Aufsicht erstaunliche – Verweis auf die “starke Kapitalposition der Institute durch stille Reserven”, wenn man weiß, dass ein traditionell nennenswerter Teil der Reserven in der Unterbewertung eigener Wertpapierbestände aus einer früheren Hochzinsphase besteht. Im weiteren Zeitablauf oder noch mehr bei einer Zinserhöhung werden diese Reserven als buchhalterische Posten aus der Bilanz schlicht verschwinden und stehen als Risikopuffer nicht mehr zur Verfügung.Diese Feststellungen betreffen die deutschen Kreditinstitute insgesamt oder die verschiedenen Institutsgruppen, auf jeden Fall sind es Durchschnittswerte, von denen im Einzelfall erheblich abgewichen werden kann. Bei etwa 1 000 Genossenschaftsbanken und knapp 400 Sparkassen gibt es eine erhebliche Streuung um den Durchschnitts- beziehungsweise Medianwert.Vor diesem Hintergrund ist die allerorten gestellte Frage nach dem neuen Geschäftsmodell berechtigt. Für die betroffenen Banken ist es aber schon ärgerlich, von einer Aufsicht zu dem zusammenbrechenden Zinsergebnis befragt zu werden, wenn eine dieser Institutionen über die Niedrig-/Nullzinspolitik der EZB diese Entwicklung selbst mitverursacht hat. Ohne Zweifel unternehmen die Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken erhebliche Anstrengungen, um ihre Effizienz zu verbessern und neue Erträge zu generieren. Es finden sich zahlreiche Effizienzsteigerungsprojekte und auch neue Preismodelle zur Steigerung der zweiten bedeutenden Erfolgsquelle, des Provisionsergebnisses. Vereinfacht könnte man sagen: “Wir machen weiter wie bisher, aber besser!” Wie steinig dieser Weg ist, zeigt die Aussage der Bundesbank in der jüngsten Veröffentlichung zur Ertragsentwicklung der deutschen Kreditinstitute, wonach es den Banken in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist, den Verwaltungsaufwand wirklich zu reduzieren.Auch die Erhöhung von Kontoführungsgebühren und sonstigen Provisionen führt nur zu geringen Ertragsverbesserungen und birgt die große Gefahr des Kundenverlustes, da das Hinzutreten neuer Wettbewerber gerade auf dem Feld der Kontoführung und der Zahlungsverkehrsleistungen deutlich günstigere Angebote für die Privatkunden bringt. Wie bedrohlich die Lage gesehen wird, zeigt eine Äußerung von Bundesbank-Vorstandsmitglied Andreas Dombret: Wegweisende Entscheidungen bräuchten neue Fragen, die die Welt durch ein neues Raster beleuchten. In der deutschen Bankenlandschaft aber hafteten die Fragen noch zu oft an einer jahrzehntealten Mentalität. Und jede Bank und jede Sparkasse müsse sich fragen, ob sie Teil der schöpferischen Kraft und Teil der neuen Strukturen oder nur Teil der zerstörten Strukturen sein wolle (vgl. BZ vom 23. September).Wie sehr die “alte Mentalität” den Fortschritt bei den deutschen Banken verhindert hat, zeigt sich daran, dass man schon lange vorliegende Ideen zum Umbau der Finanzinstitute auch heute noch nicht aufruft:- Die Idee zur Zerlegung der Wertschöpfungskette der Banken, die ja nun unter der Überschrift “Digitalisierung” Realität wird, wurde schon vor 30 Jahren in die Diskussion gebracht und hat – wenn auch nur rudimentär – ihre Umsetzung gefunden, wenn man an Zahlungsverkehrs- und Wertpapierabwicklungsbanken sowie an Kreditfabriken denkt.- Weiterhin wurde vor über zehn Jahren versucht, ein wesentliches Element der “alten Mentalität” zu brechen, als mit der Idee der Einführung von Prinzipien der Einfachheit eine konsequente Kundenfokussierung eingebracht wurde. Heute findet sich zwar der Begriff der Einfachheit nahezu auf jeder Webseite der Sparkassen, allerdings ist man von der konsequenten Umsetzung für die radikale Kundenfokussierung noch weit entfernt.- Auch der Versuch scheiterte, ein weiteres Element der “alten Mentalität” zu brechen, indem unter der Überschrift “Verabschiedung von Illusionen” die Elemente eines radikalen Umbaus entwickelt wurden. Dabei geht es um den Abschied von der “Produktillusion”, das heißt die wirkliche Konzentration der Produkte auf Kundennutzen und Verständlichkeit für den Kunden. Ferner um den Abschied von der “Beratungsillusion”, die Heere von Beratern in den Banken beschäftigt und das wirkliche Kundenbedürfnis und Geschäftspotenzial außer Acht lässt. Weiterhin um den Abschied von der “Wettillusion”, die aus dem Eingehen von Fristen-, Währungs- und Risikotransformationen nachhaltige Erträge erwartet und dadurch komplexe Risikosteuerungssysteme erfordert. Schließlich geht es auch um die Abkehr von der “Managementillusion”, in der das Management glaubt, durch die Anwendung der neuesten Managementmethoden und -lehren den Erfolg anderer kopieren und selbst herbeiführen zu können.Nun sind die Banken in einer sehr schwierigen Situation: Die von der Geldpolitik gewollte Nullzinsperiode lässt die Ergebnisse einbrechen, schwächere Institute werden in die Verlustzone gedrückt werden. Dies fällt zusammen mit den Herausforderungen der Digitalisierung, welche die Institution Bank grundsätzlich in Frage stellt. Und zur Umsetzung der damit verbundenen unvermeidlichen Anpassungen werden auch erhebliche finanzielle Mittel erforderlich sein, an denen gleichzeitig die wirtschaftlichen Belastungen der Ertragseinbrüche zehren. Ohne schöpferische Kraft wird es nicht gelingen, die entsprechenden Entscheidungen zu treffen. Schöpferische KraftZurzeit muss man aber konstatieren, dass sich die Aktivitäten vielfach immer noch zwischen einem “Weiter so, nur besser” oder “Wir werden zum Fintech” bewegen. Die schöpferische Kraft muss sich aber in einer konkreten Umgestaltung der Geschäftsmodelle niederschlagen:- Allein aus den Anpassungszwängen der Niedrigzinsphase lassen die dargestellten Zahlen eine drastische Reduktion des Filialnetzes und damit einhergehend einen Rückgang der Mitarbeiterzahlen um über 30 % notwendig werden. Dies wird mit einer umfassenden Ablösung mitarbeitergestützter Bankprozesse durch algorithmisch basierte Arbeitsabläufe und deren Optimierung durch roboterbasierte Prozessautomation einhergehen. Aber eine solche Effizienzverbesserung kann nur der erste Schritt sein.- Weitaus anspruchsvoller ist die Akzeptanz der – wenn auch schmerzlichen – Erkenntnis, dass die Erträge des Retailgeschäfts eine flächendeckende regionale Präsenz nicht länger tragen werden und daher nur wenige “Flagship-Store-Filialen” übrigbleiben. Regionale Autonomie und örtliche Präsenz eines Kreditinstituts werden sich nur dort behaupten können, wo sie sich in Bankgeschäften mit einem ausgeprägten und individuellen Beratungsbedarf als uneingeschränkt marktfähig erweisen können, zum Beispiel im Firmenkundengeschäft und im Private Banking. Dies wird insbesondere die Sparkassen und Volksbanken radikal verändern.Ein Resümee: Diese Einschnitte bedeuten nichts weniger als konsequent Abschied zu nehmen von der alten Mentalität. Ein Festhalten daran wäre letztlich nichts anderes als ein Festhalten an Illusionen. Mit einer solch entschlossenen Haltung können dann die mutigen, riskanten und auch unbeliebten Entscheidungen getroffen werden, die auch Dombret als notwendig ansieht, um eine erfolgreiche und den Anforderungen angemessene Geschäftspolitik zu ermöglichen.—-Johann-Rudolf Flesch, Partner der Beratungsgesellschaft RISK-Balance, Hamburg —-Laurenz Kohlleppel, Associated Partner Berlin Digital Group Innovation+Transformation, Berlin