KPMG sieht Produktverbot als Ultima Ratio

Zweite Finanzmarktrichtlinie setzt auf Governance - Gänzliche Untersagung von Provisionen möglich - Vertrieb wird Großbaustelle

KPMG sieht Produktverbot als Ultima Ratio

Die Finanzmarktrichtlinie Mifid II gibt Aufsehern die Möglichkeit, Produkte und Provisionen zu verbieten. In der Finanzbranche sorgt das für Nervosität. Doch allzu viele Verbote sind laut KPMG-Experte Markus Lange wohl nicht zu erwarten. Ein Provisionsverbot hingegen hält erweiterhin für möglich.Von Grit Beecken, FrankfurtIn der vergangenen Woche hat das Europäische Parlament die Finanzmarktrichtlinie Mifid II durchgewunken. Die Markets in Financial Instruments Directive regelt in Verbindung mit der Verordnung Mifir unter anderem Vertrieb und Provisionen. “Im für Emittenten ungünstigsten Fall dürfen Aufseher einzelne Produkte künftig verbieten”, sagt Markus Lange, Partner beim Wirtschaftsprüfer KPMG.Artikel 39 der Mifir sieht vor, dass die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA, die Bankenaufsicht EBA und die nationalen Aufsichtsbehörden den Produktvertrieb auf den Finanzmärkten im Auge haben. Die Artikel 40 bis 43 bestimmen die Befugnisse der Aufseher beim Produktverbot.Während die ESMA ein Produkt nur drei Monate lang und somit vorübergehend vom Markt nehmen darf, können die nationalen Aufsichtsbehörden eine bestimmte Handels- oder Marktpraxis oder den Vertrieb eines bestimmten Finanzinstrumentes längerfristig verbieten. Bei ihnen gelte, dass sie das Verbot aktiv aufheben müssten, erläutert Lange. Allerdings könne auch die ESMA ein Verbot verlängern.Die nationalen Aufseher müssen ein Produktverbot bei der ESMA mit einem Monat Vorlauf ankündigen. “Es gibt bei einer Intervention eine Reihe von formalen Hürden, die nicht ganz trivial sind”, kommentiert Lange. In Ausnahmefällen seien auch Notmaßnahmen möglich. Die nationalen Aufseher können nach einer Vorlaufzeit von 24 Stunden auf provisorischer Basis handeln. Etliche VoraussetzungenDamit ein Produktverbot ausgesprochen werden kann, muss ein Katalog von Voraussetzungen erfüllt sein. Beispiele dafür sind wichtige Anlegerschutzbedenken oder eine Bedrohung der Finanzmarktintegrität. “Das muss schon eine gewisse weitreichende Bedeutung haben”, erläutert Lange. Darüber hinaus erhalten die Aufseher Kriterien dafür, was bei der Erwägung eines Produktverbots alles eine Rolle spielen kann. Beispiele sind der Komplexitäts- oder Innovationsgrad eines Produkts, die Zielgruppe und das Vertriebsverhalten. “Das sind verschiedene Kriterien, mit denen man sich zu nähern versucht”, sagt der KPMG-Partner.Die neuen Verbotsregeln erfassen auch das Gebaren im institutionellen Geschäft. Lange zufolge könnte auch die Festsetzung eines Referenzpreises darunterfallen, wenn es – wie im Fall Libor – Unstimmigkeiten gibt. Die Interventionsvorschriften der Mifid beziehen sich auf das laufende Geschäft. Aufseher können auch schon im Vorfeld tätig werden, betont Lange, und schon bei der Zulassung einschreiten. “Ich sehe das Thema Produktintervention als Ultima Ratio – und vor allem im Zusammenhang mit der Product Governance”, so der Mifid-Experte. Die öffentliche Diskussion habe sich bislang sehr auf das Thema Produktverbot konzentriert und das Thema Governance nicht ausreichend berücksichtigt.Dabei sei der Weg über die Governance eine vernünftige Herangehensweise. “Der Hersteller des Produkts muss sich so aufstellen, dass er die richtigen Strukturen hat und die richtigen Produkte herauskommen. Und der Vertrieb muss Strukturen und Prozesse haben, um die Produktauswahl und den Vertrieb entsprechend durchzuführen”, so Lange. “So stellt man im Vorfeld des Kontakts mit dem Kunden sicher, dass alles in den richtigen Bahnen verläuft. Wenn man an den anderen Stellen seine Hausaufgaben gemacht hat, dürfte die Furcht vor einem Produktverbot weitgehend unbegründet sein.” Zumal es einen ganz praktischen Aspekt gebe: “Es ist ja auch die Frage, ob die BaFin, wenn sie einen Produktkonzeptionsprozess und eine Produktpalette genehmigt hat, das Produkt im Nachhinein dann doch wieder vom Markt nehmen kann.” In diesem Fall wäre vermutlich einiges schiefgelaufen.Eine große Baustelle sieht Lange bei der Frage der Zielgruppengerechtigkeit, die Mifid II verlangt. “Ein produktoffener Vertrieb und die Anforderungen, im Vorfeld Kundenbedürfnisse und Zielmärkte möglichst konkret zu identifizieren, scheinen sich zu beißen.” Zumal die meisten Produkte sicher nicht per se schlecht seien. “Sie sind nur im Einzelfall zu oft nicht für die Kunden so geeignet, wie sie sein könnten. Es gibt aber immer Kunden, für die sie geeignet sind.” Dabei solle man künftig aber nicht nur an die jeweiligen Eigenschaften und Risiken von Produkten denken, sondern müsse nicht zuletzt auf die Kosten achten. Keine EntwarnungUm ein generelles Provisionsverbot scheint die Finanzbranche in der Mifid II herumgekommen zu sein. Lange will aber keine Entwarnung geben. Denn die Richtlinie lege fest, dass es keine Provision für unabhängige Berater und für Portfolioverwalter gebe – und für alle anderen Wertpapierdienstleistungen gelten die gleichen Regeln wie bisher. “Das heißt, es gilt weiterhin das bestehende Recht”, sagt der Jurist. Und Paragraf 31 d des Wertpapierhandelsgesetzes untersagt Provisionen, sieht aber Ausnahmen vor. “Zuwendungen sind seit 2007 verboten, da darf man sich nichts vormachen”, konstatiert Lange. In der Praxis würden die Ausnahmetatbestände aber großzügig ausgelegt. “Das echte Leben ist das Gegenteil von dem, was im Gesetz steht. Es ist praktisch eigentlich immer erlaubt.”Nun stelle sich die Frage, wie das Verbot gehandhabt werde. “Man muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Ausnahmen jederzeit überprüft werden können, und darauf sollte man ein Auge haben.” Lange beziffert die Wahrscheinlichkeit, dass es in Deutschland doch noch zu einem Provisionsverbot kommt, auf 50 %.