Lange Versicherungstradition im Südwesten

Wichtiger Pfeiler des Finanzplatzes Stuttgart mit innovativer Ausrichtung - Gut aufgestellt, dennoch steht die Branche vor großen Aufgaben

Lange Versicherungstradition im Südwesten

Baden-Württemberg ist ein wirtschaftliches Musterländle: Dank zahlreicher Unternehmen im Fahrzeug- und Maschinenbau, Zulieferern in der Automobilindustrie, eines starken Ingenieurswesens, einer ausgeprägten IT-Branche und einer Kreativwirtschaft, die bundesweit den höchsten Anteil an Kreativschaffenden beschäftigt, ist die Region Stuttgart eines der leistungsstärksten Wirtschaftszentren der Welt. Dazu tragen Global Player wie Daimler, Porsche, Bosch, IBM, SAP oder Hewlett-Packard ebenso bei wie innovative Mittelständler, die in ihrem Segment oftmals Weltmarktführer sind. Facettenreichtum stärktDoch hat Baden-Württemberg auch Grund, auf einen weiteren Wirtschaftsfaktor mächtig stolz zu sein: seinen Finanzsektor. Stuttgart ist einer der wichtigsten Finanzplätze Deutschlands. Seine Stärke liegt vor allem in seinem Facettenreichtum. Diesen prägen neben 17 Banken mit Hauptsitz in der Landeshauptstadt außerdem die Baden-Württembergische Wertpapierbörse, vier Bausparkassen sowie 28 Versicherungen und Pensionsfonds. Insbesondere die Versicherungswirtschaft in Baden-Württemberg und Stuttgart weist eine sehr lange Tradition auf.Der Anfang des Versicherungsgeschäfts im Südwesten ging auf die Brandversicherung zurück. Diese wurde bereits 1715 zum ersten Mal diskutiert, aber erst 1758 durch die “Marggrävlich Baden-Durlachische Brand-Versicherungs-Societät” zum Leben erweckt. Nach Baden-Durlach folgte im Jahr 1773 in Stuttgart die “Herzögliche Brand-Schadens-Versicherungs-Anstalt”, beide wurden später zu den Gebäudeversicherungsanstalten des Bundeslandes.Im Jahr 1828 wurde die erste private Sachversicherung, die “Württembergische Privat-Feuer-Versicherungs-Gesellschaft”, aus der Taufe gehoben, fünf Jahre später die erste Rentenversicherung. Beide sind heute unter dem Dach des 2015 in den SDax aufgenommenen Vorsorgekonzerns Wüstenrot & Württembergische AG (W & W) tätig. Bedeutender StandortIm Folgelauf entwickelten sich in Baden-Württemberg weitere Versicherungsinstitute für Lebens- und Ersparnisversicherungen, genauso wie Schaden- und Unfallversicherer, die allesamt in Stuttgart und seiner Umgebung ihre Heimat haben. Als große Stuttgarter Traditionsinstitute sind die Allianz Leben, die Wüstenrot & Württembergische AG, die Württembergische Gemeindeversicherung (WGV), die Stuttgarter Versicherung, die SV SparkassenVersicherung und die VPV Lebensversicherungs-AG (VPV) zu nennen.Mit der Gründung dieser Institute ist am Finanzplatz Stuttgart die Basis für einen bedeutenden Versicherungsstandort gelegt worden. Im Laufe der letzten Jahrzehnte siedelten sich weitere Versicherer an, wie die Hallesche Krankenversicherung auf Gegenseitigkeit, die Süddeutsche Krankenversicherung (SDK) und die Fahrlehrer-Versicherung sowie der im Umland von Stuttgart sitzende Restschuldversicherer Cardif, der zur französischen BNP Paribas gehört. Niederlassungen in der Landeshauptstadt betreiben zudem beispielsweise der HDI, die R+V und die AachenMünchener sowie Versicherungsmakler wie Marsh. Zudem genießt der Standort Stuttgart eine weitere Besonderheit: An der Universität Hohenheim gibt es einen eigenen Lehrstuhl für die Versicherungswirtschaft – einen von nur neun in ganz Deutschland.In Summe sind am Finanzplatz 28 teils bundesweit und international agierende Versicherungen und Pensionsfonds zu Hause. Laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) beschäftigen sie allein in der Region Stuttgart 11 250 Mitarbeiter. Nimmt man die über 7 400 selbständigen Versicherungsvermittler und -berater hinzu, werden in der Region (Stand 2015) insgesamt knapp 19 000 Erwerbstätige im Versicherungsgewerbe beschäftigt. Betrachtet man diese objektiven Indikatoren, muss sich Stuttgart als einer der wichtigsten Versicherungsstandorte in Deutschland neben München, Köln und Hamburg also keinesfalls verstecken. Zudem zählen die Allianz Leben und die W & W laut IHK Ranking zu den Top-Ten-Arbeitgebern in der Region.Auch Baden-Württemberg als Ganzes kann bundesweit betrachtet mit seiner Versicherungswirtschaft mit geschwellter Brust auf einen soliden dritten Platz verweisen. Deutschlandweit waren 2015 ca. 529 000 Mitarbeiter bei Versicherungsunternehmen und im Versicherungsvermittlergewerbe beschäftigt, 66 000 von ihnen in Baden-Württemberg. Nur in Bayern und Nordrhein-Westfalen ist dieser Anteil noch höher. Unkalkulierbare RisikenDer Versicherungsstandort Stuttgart ist sicherlich gut aufgestellt, dennoch steht die Branche in den kommenden Jahren vor großen Aufgaben. Denn neben den gesetzlichen und rechtlichen Anforderungen, die immer mehr zunehmen, kommen viele weitere Herausforderungen auf die Versicherer und deren Umfeld zu. Zu nennen sind hier vor allem das anhaltende Niedrigzinsumfeld, immer unkalkulierbarere Risiken durch klimatische Veränderungen und letztendlich auch ein gedrosseltes Marktwachstum, das seit geraumer Zeit zu erkennen ist. Digitale VernetzungGleichzeitig verändert die digitale Vernetzung das Geschäft der Versicherer massiv und bringt somit neue Chancen und Herausforderungen. Besonders das Verhalten und die Ansprüche der Kunden haben sich in den vergangenen Jahren im Rahmen der Digitalisierung stark verändert. Die Nutzung verschiedenster Online-Anwendungen – oft auch mobil über das Smartphone – zu Informations- und Recherchezwecken oder für finanzielle Transaktionen bietet den Versicherern neue Möglichkeiten, sich mit bestehenden und potenziellen Kunden intensiver auszutauschen.Dadurch entstehen gleichzeitig neue Herausforderungen, denn die Kunden verlangen nach einer immer größeren Transparenz und einer reduzierten Komplexität bei den Angeboten und Produkten, die vor allem individualisiert und an die jeweilige Lebenssituation des Kunden angepasst sein müssen. Auch entstehen durch die Digitalisierung neue Kanäle, um die Zufriedenheit und somit sicherlich auch die Weiterempfehlungsbereitschaft der Kunden zu erhöhen, die im Zeitalter der sozialen Online-Netzwerke enorm wichtig ist.Die Versicherungsunternehmen am Finanzplatz Stuttgart sind, was die Herausforderungen der Digitalisierung angeht, bereits auf gutem Wege. So haben beispielsweise die Allianz Leben und die SV SparkassenVersicherung weitreichende Digitalisierungsstrategien, bei denen der individuelle Zugang, die Interaktion und die Zufriedenheit der Kunden im Mittelpunkt stehen. Auch die Stuttgarter Versicherung nutzt die Möglichkeiten der Digitalisierung von Geschäftsprozessen zur Effizienzsteigerung und zur Entlastung insbesondere der Vermittler, was so letztendlich auch dem Kunden zu Gute kommt. Die W & W gründete sogar bereits im Rahmen ihrer Digitalisierungsbestrebungen mit der W & W Digital GmbH eine eigene Tochtergesellschaft mit dem vorrangigen Ziel des Aufbaus sowie der Beteiligung und des Betriebs von neu-en, digitalen Geschäftsmodellen.Innovative, digitale Geschäftsmodelle sind für die Versicherungsbranche durch das seit einiger Zeit vorherrschende gedrosselte Marktwachstum sicherlich ein wichtiger Fokus. Und obwohl es innerhalb der Versicherer in Anbetracht der Veränderungen durch die Digitalisierung ohne Zweifel eine große Innovationskraft gibt, kann eine Orientierung am Ideenfundus neu am Markt auftretender Fin- oder Insurtechs sicherlich bereichernd wirken. Aus diesem Grund veranstalten die Börse Stuttgart und Stuttgart Financial unter dem Motto “get finnovative” vom 28. bis zum 30. November 2016 erstmalig die Fintech-Days Stuttgart. Aktiven Austausch fördernDie Veranstaltung soll einen aktiven Austausch zwischen innovativen Gründern aus der Finanz- und Versicherungsszene und der regionalen Finanzdienstleistungsindustrie fördern. Denn mit seinem wirtschaftlich starken und vielfältigen Finanzsektor verfügt Stuttgart über zahlreiche potenzielle Investoren und Kunden für Start-ups mit zukunftsträchtigen Geschäftsmodellen im finanztechnologischen Bereich. Es gilt, diese Chancen für Fin- und Insurtech-Unternehmen sichtbar zu machen und die Vernetzung mit den Versicherungsunternehmen auszubauen.—Ulli Spankowski, Leiter Stuttgart Financial