WAS EINE ZINSWENDE BEDEUTET - SERIE ZUR ZINSWENDE: KREDITRISIKEN (TEIL 2)

Laxe Kreditvergabe droht sich zu rächen

Niedergang der Standards beunruhigt Aufseher - Florierende Konjunktur übertüncht Gefahren - Geringe Risikovorsorge

Laxe Kreditvergabe droht sich zu rächen

Die florierende Konjunktur verleitet viele Banken dazu, bei der Kreditvergabe nicht so genau hinzuschauen und sich damit Ausfallrisiken in die Bücher zu holen. Spätestens, wenn die Zinsen wieder steigen und angeschlagene Unternehmen ihre Kredite nicht mehr bedienen können, dürfte sich das rächen.Von Tobias Fischer, FrankfurtBanken haben sich in der längsten Wachstumsphase der deutschen Wirtschaft seit der Wiedervereinigung an lässliche Kreditrisiken gewöhnt. Angesichts der langsamen Straffung der Geldpolitik, also der voraussichtlichen Abkehr vom Nullzins und von den damit einhergehenden günstigen Refinanzierungsmöglichkeiten, sowie zunehmender politischer Risiken zeichnet sich jedoch das Ende dieser Verhältnisse ab. Damit rücken Wagnisse in den Vordergrund, die sich Finanzinstitute durch laxe Kreditvergabestandards in die Bücher geholt haben. Schleichend Risiken aufgebautSo hat die Bundesbank im Finanzstabilitätsbericht 2018 erklärt, dass gerade wegen des komfortablen ökonomischen Umfelds schleichend Gefahren aufgebaut und Risiken unterschätzt worden seien. Die starke Konjunktur, historisch niedrige Zinsen, geringe Kreditausfallraten sowie der angesichts steigender Immobilienpreise höhere Wert von Sicherheiten veranlassten Banken, die Kreditrisikovorsorge herabzusetzen (siehe Grafik). “Aktuell sind die Ausfallraten von Krediten sehr niedrig. Entsprechend haben Banken die Risikovorsorge für Kreditrisiken, insbesondere Wertberichtigungen für notleidende Kredite, im Verlauf der vergangenen Jahre deutlich reduziert”, heißt es im Bericht. “Außerdem sind die regulatorischen Eigenkapitalanforderungen an Unternehmens- und Immobilienkredite vielfach zurückgegangen und befinden sich auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau.”Die Risikovorsorge der deutschen Finanzinstitute fiel nach Angaben der Bundesbank 2017 mit 3,7 Mrd. Euro “erneut extrem niedrig” aus. Das hat – neben strafferen regulatorischen Anforderungen und der starken wirtschaftlichen Entwicklung – den Aufbau des Eigenkapitals der Banken begünstigt. Die Vernachlässigung der Vorsorge spiegelt die Entwicklung der problembehafteten Kredite bei den deutschen Banken wider, zu denen die Bundesbank in Verzug geratene Kredite und weitere Darlehen mit erhöhter Ausfallwahrscheinlichkeit sowie einzelwertberichtigte Kredite zählt. Ihr Anteil ist demnach auf 3,8 % gesunken, also deutlich unter den langfristigen Durchschnitt von 4,6 %.Noch brummt die Konjunktur, womit nur geringe Kreditausfälle einhergehen. Allerdings ist Gefahr im Verzug: “Anders als im vergangenen Jahr überwiegen derzeit die Abwärtsrisiken für die weitere konjunkturelle Entwicklung”, hielt die Bundesbank bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts im November fest. Spätestens, wenn die Zinswende kommt, rächt sich, dass Banken unter dem Druck des Wettbewerbs und auf der Suche nach Rendite bewusst risikobehaftete Darlehen vergeben haben. “Tendenziell sind Kredite an finanziell verwundbare Unternehmen relativ stark ausgeweitet worden”, sagte etwa Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch. “So ist der Anteil der Kredite an Unternehmen mit einer geringen Eigenkapitalquote und einer hohen Zinsbelastung über die Zeit gestiegen.”Der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Felix Hufeld, kündigte jüngst an, die Kreditvergabepraxis der Banken genauer in Augenschein zu nehmen, könne ein zu laxes Vorgehen sie doch im Fall eines Abschwungs in erhebliche Schwierigkeiten bringen. Hufeld mahnte die Banken, bei der Ausreichung von Darlehen zu berücksichtigen, dass die noch günstige konjunkturelle Lage nicht dem Normalfall entspreche. Ihn beunruhige die teils aggressive Vorgehensweise mancher Institute bei der Kreditvergabe und die häufig geringen Vergabestandards. Diese sogenannten Covenants light, also schwache Gläubigerschutzklauseln, bemängelte vor kurzem auch EZB-Generaldirektor Korbinian Ibel. Ihm zufolge greift die Darlehensvergabe zu schwachen Vorgaben oder gar ohne Auflagen um sich. Er bezweifelt, dass alle Institute über die erforderlichen Puffer verfügten, um künftig mögliche Verluste abzufedern.In der Vergangenheit war unter anderem die Commerzbank in die Kritik geraten, weil sie Firmenkunden der Wettbewerber mit extrem günstigen Konditionen umgarnt. So bietet sie Neukunden Betriebsmittelkredite zur Hälfte der Konditionen ihrer bisherigen Hausbank an – zumindest in den ersten Monaten. Von lockeren Vergabestandards, wie Hufeld sie kritisiert, berichtet auch Sven Ludwig. Der Global Head of Subject Matter Experts des US-Finanzdienstleisters FIS berichtet von einer großen Bank, die um der Rendite willen bei Firmenkrediten bewusst ein höheres Ausfallrisiko eingeht. Demnach vereinfacht und beschleunigt sie die Kreditwürdigkeitsprüfung, indem sie sich auf wesentlich weniger Kriterien konzentriert als üblich. Noch rechne sich das (vgl. BZ vom 23.10.2018). Wenn die Zinsen steigen oder der Boom endet, wird diese Vorgehensweise aber schiefgehen. Geraten weniger solvente Unternehmen in Schwierigkeiten, ihre Kredite zu bedienen, sind für Banken Kreditausfälle und höhere Risikogewichte die Folge, die ihren Eigenkapitalpuffern zusetzen. “Der Trend der vergangenen zehn Jahre könnte sich dann umkehren”, warnt Buch. “In dieser Zeit sind die durchschnittlichen Risikogewichte für Unternehmenskredite und im Mengengeschäft – dem Geschäft mit privaten Haushalten und kleinen und mittleren Unternehmen – gesunken.” Spirale nach untenEine Zinswende dürfte nicht vor diesem Herbst kommen. Auszuschließen ist aber nicht, dass sich die EZB beispielsweise im Fall von externen Schocks genötigt sieht, die Zinserhöhung zu verschieben. An Konfliktherden mangelt es jedenfalls nicht, seien es Brexit, anschwellende populistische Strömungen, Protektionismus oder aber Handelskonflikte. Würde beispielsweise ein eskalierender Handelsstreit die Nachfrage aus dem Ausland nachdrücklich drosseln, hätte das in der exportorientierten deutschen Wirtschaft mehr Unternehmensinsolvenzen zur Folge.Die schlügen über Kreditabschreibungen und steigende Risikogewichte auf das Eigenkapital der Banken durch, denen laut Bundesbank drei mehr oder minder realistische Möglichkeiten verblieben, den von der Aufsicht oder vom Markt geforderten Kapitalquoten weiterhin nachzukommen. So könnten Banken das Eigenkapital erhöhen, indem sie Gewinne einbehalten. In einem Abschwung mit sinkenden Gewinnen oder gar Verlusten würde sich diese Option allerdings erübrigen. Das könnte auch für die Kapitalaufnahme am Markt gelten, würden sich Investoren doch zurückhalten. Damit bliebe den Banken nur der dritte Weg, der Abbau von Kreditrisiken und der Bilanzsumme. Das hieße, die Kreditvergabe zu drosseln und damit den Abschwung zu verschärfen mit noch mehr Insolvenzen, noch höheren Abschreibungen, noch weniger Krediten – eine Spirale nach unten. Warnung vor Leveraged LoansOb nun ein Schock kommt oder nicht – Standard & Poor’s geht in ihrem im Dezember veröffentlichten “European Corporate Credit Outlook 2019” davon aus, dass an den Kreditmärkten bald andere Zeiten anbrechen. “Selbst ohne politischen Anlass ist es unwahrscheinlich, dass die ungewöhnliche Ruhe am europäischen Kreditmarkt 2019 anhält”, merkt die Ratingagentur an. Als Gründe führt sie den fortgeschrittenen Kreditzyklus an, das Ende der quantitativen Lockerung, also des Ankaufs zusätzlicher Wertpapiere durch die EZB, weiter steigende Zinsen in den USA sowie möglicherweise auch in der Eurozone und nicht zuletzt Leveraged Loans. Diese Kredite an hoch verschuldete Unternehmen stehen seit geraumer Zeit im Mittelpunkt des Interesses verschiedener Institutionen wie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), des Internationalen Währungsfonds (IWF), der US-Notenbank Fed sowie der europäischen Bankenregulierungsbehörde EBA. Die Experten sehen erhebliche Gefahren, möglicherweise den Keim einer neuen Finanzkrise.In den vergangenen Wochen hat sich die Nachfrage nach Leveraged Loans zwar abgeschwächt. Dass Investoren den Markt seit neuestem mit Vorsicht genießen, zeigen die jüngsten Abflüsse aus US-Kreditfonds, zudem können Banken viele Kredite nur noch mit höheren Abschlägen verkaufen. Das ändert aber noch nichts an der grundsätzlichen Bedeutung des Marktes. Auf 1,3 Bill. Dollar weltweit bezifferte der IWF Ende vergangenen Jahres das Volumen für Leveraged Loans. Dick im Geschäft mit deren Arrangement und Verkauf sind nicht nur angelsächsische Akteure wie J.P. Morgan, Bank of America Merrill Lynch, Barclays und Goldman Sachs, sondern auch europäische Adressen wie Credit Suisse und die Deutsche Bank. Insgesamt wurden 2017 global Leveraged Loans über 788 Mrd. Dollar neu begeben und somit mehr als vor der Finanzkrise mit 762 Mrd. Dollar im Jahr 2007. Auf die USA als mit Abstand größtem Markt für Leveraged Loans entfielen davon zuletzt 564 Mrd. Dollar. Den IWF stört besonders, dass Schuldner mehr als der Hälfte des Kreditvolumens für Dividendenzahlungen, Aktienrückkäufe sowie die Finanzierung von Übernahmen und Fusionen berappt haben. “In anderen Worten: für das Eingehen finanzieller Risiken anstatt für produktive Investments”, schreibt der IWF.Verschärfend kommt hinzu, dass die Kreditbedingungen immer mehr zu wünschen übrig lassen. Mittlerweile repräsentieren der EBA zufolge Covenants-light-Kredite gut vier Fünftel der insgesamt in Europa begebenen Leveraged Loans. 2007 waren es gerade mal 5 % gewesen (siehe Grafik). In den USA sei die Entwicklung vergleichbar. Als Treiber des Qualitätsverfalls nennt die EBA vor allem den Niedrigzins, der Kredite verbilligt und Rendite suchende Investoren unvorsichtig macht, aber auch den harten Konkurrenzkampf der Banken. Zumeist werden die Kredite in Risikoklassen verbrieft und als Collateralized Loan Obligations (CLO) an Investoren weitergereicht. Die würden im Falle eines Abschwungs mit einer Vielzahl an Insolvenzen hoch verschuldeter Unternehmen vermutlich wählerischer. Banken blieben dann auf den riskanten Beständen sitzen.—-Bisher erschienen:- Schwerer Entzug (4. Januar)