Leerverkäufe als Cum-ex-Treiber
Reuters/dpa/ski Bonn/Frankfurt – Im Bonner Cum-ex-Prozess hat einer der angeklagten Ex-Banker Leerverkäufe von Aktien als Treiber für die Entstehung von Steuer-Tricksereien charakterisiert. Es habe zu den Boomzeiten der in der Regel hochprofitablen Geschäfte eine “astronomische Zahl” solcher Transaktionen gegeben, sagte Martin S. vor dem Landgericht aus. Das Volumen der Leerverkäufe habe teilweise 100 % der Marktkapitalisierung der jeweils betroffenen Unternehmen übertroffen. Dies habe bei der Abwicklung durch die Deutsche-Börse-Tochter Clearstream zu massiven Problemen geführt. S. selbst hat nach seiner Aussage bei Ballance Capital, einem von ihm mitgegründeten Konglomerat aus vielen einzelnen Gesellschaften, durch die in Bonn angeklagten Taten rund 12 Mill. Euro verdient. Vorher hatte er bei der HypoVereinsbank (HVB) gearbeitet.Am dritten Verhandlungstag sagte der 41-jährige Beschuldigte, Banken hätten anhand von Referenznummern zu bestimmten Zahlungen über das Ausmaß von Deals, bei denen Kapitalertragsteuer mehrfach erstattet wurde, Bescheid wissen können. Dem widersprach ein Anwalt des Hamburger Bankhauses M.M. Warburg, dessen Holding und eine Tochter nicht angeklagt, aber an dem Bonner Prozess als mögliche Profiteure der umstrittenen Geschäfte beteiligt sind. Der Aspekt sei “möglicherweise zentral”, so der Anwalt. Man gehe davon aus, dass die Referenznummer “nicht den Bedeutungsgehalt hat”, den der Angeklagte ihr beimesse.Die Staatsanwaltschaft wirft den zwei Angeklagten in diesem ersten Cum-ex-Prozess 33 Fälle schwerer Steuerhinterziehung und einen Versuch in der Zeit von 2006 bis 2011 vor. Dem deutschen Staat soll dadurch ein Schaden von 447 Mill. Euro entstanden sein. M.M. Warburg soll ein Kunde der beiden britischen Aktienhändler gewesen sein.Die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft will demnächst weitere Abschlussverfügungen in Sachen Cum-ex treffen, also über Erhebung von Anklagen oder Einstellung der Ermittlungen entweder mangels hinreichenden Tatverdachts oder wegen geringer Schuld entscheiden. Staatsanwalt Christian Hartwig sagte, es sei “jedenfalls nicht auszuschließen”, dass auch Anwälte respektive Berater angeklagt würden. Die Behörde bearbeitet in der Causa zehn Verfahrenskomplexe mit 56 Beschuldigten. Warten auf GerichtsentscheidDie Frankfurter Strafverfolger hatten im Mai 2018 nach fast sechsjährigen Ermittlungen die bundesweit erste Cum-ex-Anklage mit einem behaupteten Steuerschaden von 113 Mill. Euro gegen den Rechtsanwalt Hanno Berger und frühere Aktienhändler der HVB beim Landgericht Wiesbaden erhoben. In Justizkreisen gilt diese Anklage als “die Mutter aller Cum-ex-Fälle”. Das Gericht hat aber, soweit bekannt, noch nicht über die Zulassung der sehr komplexen Anklage entschieden. Auf der Jahrespressekonferenz des hessischen Justizministeriums und der Generalstaatsanwaltschaft wurde Behördenchef Helmut Fünfsinn gefragt, ob er darüber nicht enttäuscht sei, zumal inzwischen in Bonn auf Anklage der Kölner Ermittler der erste Strafprozess läuft. Er wolle richterliches Tun nicht bewerten und sei weiter guter Hoffnung, dass man in Wiesbaden in dem Fall weiterkomme, sagte er. Mit den Kölner Kollegen arbeite man sehr gut zusammen. Gefragt, ob namentlich die Commerzbank bei den Ermittlungen, wie von ihr erklärt, tatsächlich “vollumfänglich” mit den Behörden kooperiere, sagte Fünfsinn, er habe keine gegenteiligen Erkenntnisse.