Lehren aus der Finanzkrise baldmöglichst umsetzen

Ordnungspolitische und wirtschaftsethische Überlegungen - Aktuelle Staatsschuldenkrise könnte zu erneuten Problemen führen

Lehren aus der Finanzkrise baldmöglichst umsetzen

Die durch die US-Immobilienkrise ausgelöste Finanzkrise hat sich heute – auch bedingt durch die getroffenen Maßnahmen zur Rettung von Banken und die Stützung der Konjunktur – in eine Staatsschuldenkrise gewandelt. Insbesondere in Europa (aber auch in den USA oder Japan) ist die stark steigende Staatsverschuldung derzeit das größte Problem. Die aktuell beschlossenen Rettungsmaßnahmen sind zwar positiv zu bewerten, dennoch ist die Krise dadurch nicht ausgestanden. Entscheidend wird die nachhaltige Reduzierung der Staatsverschuldung sein. Dies wird aber nicht von heute auf morgen gehen.Die aktuelle Staatsschuldenkrise könnte im Worst Case zu erneuten Problemen in der Finanzwirtschaft führen. Von daher ist es unerlässlich, baldmöglichst die Erkenntnisse umzusetzen, die sich aus der Finanzkrise ziehen lassen. BildungspolitikGrundkenntnisse im Bereich “Wirtschaft/Finanzen” sind für jeden wichtig, um Entscheidungen in Finanzfragen treffen zu können – vom täglichen Leben bis zu hochkomplexen Fragestellungen im Finanzgewerbe oder im politischen Bereich. Nur wenn die grundlegende Kompetenz in Finanzfragen schon in der Schule durch ein eigenes Fach “Wirtschaft und Finanzen” gelegt wird, können auch die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt werden. Ein solides Fundament an ökonomischer Bildung dient jedem Einzelnen bei der Gestaltung eines selbstverantwortlichen Lebens als Verbraucher, Anleger, Steuerzahler oder Wähler. Die Jugendstudien der Kreditwirtschaft belegen jedoch seit Jahren, dass es erhebliche Wissenslücken bei grundlegenden ökonomischen Sachverhalten gibt.Auf Basis der “Grundausbildung” in der Schule müssen die Universitäten (wieder) ein breiteres Wissen vermitteln. Denn die Studenten von heute sind morgen Entscheidungsträger in den Unternehmen. Die Bologna-Reform der universitären Bildung trägt diesem Aspekt leider nicht Rechnung. Das Studium ist heute stark “verschult” und hochgradig verplant. Freiräume und Selbständigkeit der Studenten sind massiv rückläufig. Quantitative/mathematische Modelle stehen insbesondere im Bereich BWL/VWL im Zentrum der Lehre und verdrängen übergeordnete ganzheitliche Fragestellungen. Die Universitäten verkommen mehr und mehr zu reinen Bildungsfabriken, deren Ziel es ist, Inhalte schnell und effizient zu vermitteln. Die nachhaltige Förderung der Selbstverantwortung, eine der wichtigsten Anforderungen an Mitarbeiter in der Wirtschaft, bleibt dabei auf der Strecke.Banken, Ratingagenturen, Wirtschaftsprüfer, Wissenschaftler und die Bankenaufsicht haben es rückschauend betrachtet nicht geschafft, Risiken richtig zu bewerten (“Die Zukunft ist keine Zahl!”). Das Vertrauen in die “nackten Zahlen” der Risikomodelle war zu groß. Die Grundannahmen der Modelle (Stabilität und Selbstheilungskraft des Marktes) wurden von der tatsächlichen Entwicklung ausgehebelt. Gescheitert ist das mathematische System auch daran, dass niemand die Ergebnisse der Modelle hinterfragt hat, der gesunde Menschenverstand mitunter ausgeblendet wurde und es nur wenige gewagt haben, auch einmal gegen das Ergebnis einer mathematisch korrekten Berechnung zu votieren. LegislativeDer Finanzmarkt muss stabilisiert werden! Einige Groß- und Landesbanken hatten (und haben) im Markt eine Größe erreicht, die bei einem Zusammenbruch zu einer möglicherweise katastrophalen Kettenreaktion geführt hätte, wie sich dies im Fall Lehman Brothers gezeigt hat. Im Krisenfall mussten Staaten zur Stützung einspringen, um ein Zusammenbrechen des gesamten Systems zu verhindern. Für diese Institute haben die klassischen Haftungsprinzipien (Verantwortung für das eigene Tun, Haftung der Eigentümer) versagt. Hier müssen durch gesetzliche Vorgaben (zum Beispiel Eigenkapitalregeln, Steuerpolitik) Anreize geschaffen werden, die wieder zu kleineren (optimalen) Betriebsgrößen führen und dadurch den Finanzmarkt stabilisieren. Aktuell ist eher ein gegenläufiger Trend festzustellen. Denn eine Anerkennung als systemrelevantes Institut ist gleichbedeutend mit einem Staatsschutz im Krisenfall. ExekutiveStaatliche Regulierungen und deren aufsichtliche Überprüfung sind wichtig, um Schäden in der Zukunft verhindern bzw. vermindern zu können. Sie beziehen sich jedoch immer auf Mängel in der Vergangenheit und können daher im Optimalfall auch nur die gleiche Art von “Unfall”, aber keine andersartigen Krisen verhindern. Nicht wenige Marktteilnehmer suchen aber sofort beim Erlass neuer Regulierungen (oder schon vorher) nach Umgehungsmöglichkeiten. Gesetzliche Regelungen und die bankaufsichtliche Überwachung können daher künftige Krisen nie komplett verhindern. Bestenfalls lässt sich die Wahrscheinlichkeit von Finanzkrisen reduzieren.Aufgabe der Ordnungspolitik ist es, einen Rahmen (Eigentumsordnung, Wettbewerbs-, Vertrags- und Haftungsrecht etc.) zu schaffen, innerhalb dessen die marktwirtschaftlichen Kräfte wirken können. Die staatlichen Instrumente und das Maß der Eingriffe werden dabei durch das wirtschaftspolitische Konzept und die dahinterstehende wirtschaftswissenschaftliche Philosophie bestimmt. Aktuell dominiert in der Wirtschaftswissenschaft die naturwissenschaftliche (klassische) Ökonomie, während die verhaltensorientierte Ökonomie zu weit zurücksteht.Die Finanzkrise ist daher auch eine Krise der Wirtschaftswissenschaft! Die naturwissenschaftliche Ökonomie baut auf den Gesetzmäßigkeiten der Mathematik und Physik auf. Durch die Übertragung dieser Gesetzmäßigkeiten auf die Wirtschaft entsteht eine angebliche “berechenbare” Welt, in der der Homooeconomicus als rational handelnde Person agiert. Im Gesamtsystem führt dies dazu, dass die bestmögliche Situation für alle Marktteilnehmer erzielt wird. Um die künftige Entwicklung mathematisch prognostizierbar zu machen, wird ein von diesen Annahmen abweichendes Verhalten aus der Betrachtung ausgeblendet. Ausflüsse dieser Sichtweise sind unter anderem der Shareholder-Value-Ansatz und die Annahme von der Selbstheilungskraft des Marktes.Die Finanzkrise hat dieses Konzept in Teilbereichen ins Wanken gebracht. Bei verhaltensökonomischen Ansätzen steht nicht mehr der allein rational handelnde, gewinnmaximierende Mensch im Mittelpunkt. Vielmehr werden handlungsbeeinflussende Faktoren wie Optimismus, Pessimismus, Euphorie, Panik, Selbstüberschätzung, Neid oder Fehleinschätzungen berücksichtigt. Der Markt funktioniert nicht mehr perfekt und folgt nicht immer mathematischen Modellen. Vielmehr müssen gewisse Spielregeln vom Staat vorgegeben werden, um Fehler des Marktes zu korrigieren.Aber auch bei Berücksichtigung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse ist eines ganz wichtig: Der wirtschaftswissenschaftliche Ansatz muss durch ethische Überlegungen ergänzt werden. Denn: Es gibt Dinge, die tut man einfach nicht! Manche Dinge mögen zwar rechtlich zulässig sein, moralisch vertretbar sind sie jedoch noch lange nicht. In bzw. vor der Finanzkrise wurde zum Beispiel die Freiheit des Marktes durch egoistisches Handeln Einzelner ausgenutzt. Einige Beispiel hierfür:- Kapitalschwache Bürger wurden durch laxe und nicht vertretbare Kreditvergaben, noch dazu zu variablen Konditionen, in Schulden gestürzt.- Bankmitarbeiter und oberste Führungskräfte profitierten von Boni- und Abfindungsexzessen.- In den Ratingagenturen bestanden Interessenkonflikte zwischen einer objektiven Ratingvergabe und der Sicherung künftiger Aufträge bzw. der Bezahlung von Dienstleistungen.- Investmentbanken halfen zum Beispiel Griechenland bei der Verschleierung der tatsächlichen Staatsverschuldung.- Durch kreative Buchhaltungsmethoden verbesserte zum Beispiel Lehman Brothers seine Quartalsberichte. Ähnliche Fehler vermeidenFazit – Die aufgezeigten Lehren aus der Finanzkrise müssen künftig berücksichtigt werden, um ähnliche Fehlentwicklungen zu vermeiden. Das Innovationstempo der Finanzmärkte und die Umgehungsmöglichkeiten für die Akteure führen allerdings dazu, dass die staatlichen Handlungsalternativen schnell an ihre Grenzen stoßen. Es wird immer wieder Marktteilnehmer geben, die viel Energie darauf verschwenden, sich zu überlegen, wie sie Regeln umgehen können. Hier gilt es eine Rückbesinnung der handelnden Personen auf die individuelle (Selbst-)Verantwortung und ethische Prinzipien sicherzustellen. Als Grundlage können hierfür die sogenannten Kardinaltugenden dienen (zum Beispiel Gerechtigkeit oder Maß). Und eines muss man in diesem Zusammenhang auch einmal festhalten: In einem Großteil unserer Wirtschaft, den mittelständischen Familienunternehmen und auch in zahlreichen Dax-Firmen, werden “nachhaltiges Wirtschaften” und “verantwortungsvolle Führung” bereits gelebt.