Lehren statt Belehren - ein Weckruf für die Politik

Mehr Bildung sollte der Anspruch sein, um ökonomisches und finanzwirtschaftliches Wissen schon in der Schule zu gewährleisten

Lehren statt Belehren - ein Weckruf für die Politik

Die Notwendigkeit wirtschaftlicher und finanzieller Bildung in Schulen scheint sich zum Evergreen zu entwickeln, ohne dass über die Jahre nennenswerte Fortschritte zu erkennen sind. Dabei geht es nicht um die Vermittlung von Inhalten komplexer Anlage- beziehungsweise Investmentprodukte oder optimale Finanzierungsmodelle. Vielmehr geht es um einfache und grundsätzliche Fragen, beispielsweise um das Sparen, denn selbst dies kann gefährlich sein. Glück im UnglückSo haben knapp 1 150 Anleger aus Deutschland Sichteinlagen bei der Versobank in Estland unterhalten, einem Institut, dem die Finanzaufsicht wegen des Verdachts, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung begünstigt zu haben, im März die Lizenz entzogen hat. Die Sparer kamen über das Zinsportal Savedo zur Versobank. In wenigen Jahren sammelte es Geld von rund 25 000 Bundesbürgern ein und vermittelte es an Institute im europäischen Raum, die mehr zahlen als jene, die keine oder keine nennenswerten Zinsen gewähren. Es scheint, als hätten die Betroffenen Glück im Unglück. Gegenwärtig sieht es so aus, dass die Sparer entschädigt werden.Ebenso verhielt es sich kürzlich in Italien. Als vor einigen Monaten mehrere Banken abgewickelt wurden, hat eine Reihe auch deutscher Privatanleger einen Teil ihrer Altersvorsorge verloren. Sie hatten in Anleihen investiert, ohne die damit verbundenen Risiken zu kennen beziehungsweise zu verstehen. Aus Sicht jener Anleger war es ebenfalls Glück im Unglück, dass es sich um flächendeckende Vertriebspraktiken handelte und der italienische Staat deshalb Entschädigungszahlungen leistete, ein Verhalten, zu dem er rechtlich nicht verpflichtet gewesen war.Diese und andere Fälle korrespondieren mit den Ergebnissen von Studien, die sich wie ein roter Faden durch die schultheoretische und -pädagogische Diskussion der vergangenen mehr als 15 Jahre ziehen, ohne dass es seitens der Bildungspolitik tragfähige Ansatzpunkte gab, diese Misere zumindest perspektivisch zu beenden. So wusste in einer repräsentativen Befragung aus dem Jahre 2010 beispielsweise die Hälfte der Zehntklässler nicht, was ein Girokonto ist. Und in einer aktuellen Untersuchung der Marktforschungsgesellschaft GfK kannten mehr als 90 % der Befragten den Fußballspieler Mario Götze, aber nur die Hälfte den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi. Selbst wenn altersspezifische Interessen und subjektive Betroffenheit eine Relativierung des Ergebnisses anraten lassen, bleibt unstreitig, dass eine Verbesserung wirtschaftlicher und finanzieller Bildung notwendig ist. Zunehmend “überschützt”Die Antwort der Politik ist eine andere: Verbraucherschutz. Es ist ein Ansatz, der mehr und mehr in den zivilrechtlich verankerten Grundsatz der Privatautonomie eingreift und ihn teilweise aushöhlt. Anstatt im Bereich der Bildung anzusetzen und die Ursachen dysfunktionalen Verhaltens systemkonsequent zu beseitigen, werden Kunden zunehmend “überschützt”. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Markets in Financial Instruments Directive II, kurz Mifid II genannt. Zum Schutz vor einer möglichen Falschberatung müssen Beratungsgespräche telefonisch aufgezeichnet und mindestens fünf Jahre lang archiviert werden. Flankierend gibt es eine sogenannte Geeignetheitserklärung, die den Anlageberater verpflichtet zu dokumentieren, aus welchen Gründen er einem Kunden ein bestimmtes Produkt empfohlen hat und aus welchen Gründen die Bank dieses angesichts der persönlichen Risikoneigung und der Kapitalmarkterfahrung des Kunden für geeignet hält. Außerdem müssen Banken ausweisen, welche Kosten beim Kauf von Wertpapieren für Provisionen, Verwaltung und gegebenenfalls Ausgabeaufschläge anfallen. Große UnzufriedenheitDie Unzufriedenheit der Kunden gegenüber den damit verbundenen Verfahrensweisen ist groß. Der Hinweis auf Vorgaben des europäischen Rechts führt zur Ablehnung gegenüber Kommission und Parlament. Der Einwand demokratischer Willensbildung wird mit den Worten “. . . aber nicht so . . .” beiseitegeschoben. Aus Sicht vieler Kunden ist es eine Bevormundung. Sie verzichten dankend auf die umfangreichen und zeitaufwendigen Informationen, Dokumentationen und Geeignetheitserklärungen und wenden sich zunehmend dem Internet zu. Das kann jedoch nicht die Lösung sein, denn seit Jahren wird der deutschen Bevölkerung immer wieder ein unzureichendes Finanzwissen attestiert.So verwundert es nicht, dass deutsche Privatanleger im Vergleich zu ihren europäischen Nachbarn oft deutlich geringere Renditen ihrer Kapitalanlagen erzielen. Konkret betrachtet lagen die durchschnittlich nominalen Renditen privater Geldvermögen zwischen 2012 und 2016 bei gut 3 %, während sie mit Ausnahme Österreichs (2,6 %) überall höher – in den Niederlanden und Finnland doppelt so hoch – lagen.Lehren statt Belehren, mehr Bildung statt mehr Verbraucherschutz sollte deshalb der Anspruch sein, dem sich die Bildungspolitik stellen sollte, um die ökonomische und finanzwirtschaftliche Wissensvermittlung schon in der Schule zu gewährleisten. Der Status quo ist unbefriedigend. Nur in einem Bundesland werden Wirtschafts- und Finanzthemen in einem eigenen Schulfach unterrichtet. Überwiegend werden die Inhalte in Geografie, Geschichte oder in Mischfächern wie Politik und Wirtschaft, Gemeinschaftskunde oder Sozialkunde – je nach Bundesland – behandelt. Eine verpflichtende Stundenzahl gibt es in der Regel nicht. Die Heterogenität ist groß – Bildung ist Ländersache. Demgegenüber schaffen die privaten, zumeist internationalen Schulen Fakten: “Economics” oder “Economie” ist integraler Bestandteil ihrer Curricula, ein Grund, warum das Interesse an ihnen trotz hoher Schulgelder beständig wächst.Währenddessen kommen pragmatische Ansätze von außerhalb der schulischen Landschaft. So gibt es seitens der Banken und anderer Unternehmen zahlreiche Initiativen zur ökonomischen Bildung. Dazu zählt auch die National-Bank, die im Rahmen ihres gesellschaftlichen Engagements zahlreiche Initiativen entweder selbst oder gemeinsam mit Partnern auf den Weg gebracht hat, um den Mangel im Bildungssystem nicht nur zu kritisieren, sondern aktiv Beiträge zu leisten, ihn zu beseitigen. Finanzkompetenz entwickelnEin Beispiel ist die National-Bank Finanzakademie. Im September 2015 gegründet, wendet sie sich an Jugendliche und junge Erwachsene, um sie in wichtigen Finanzangelegenheiten zu unterrichten und sie dadurch bei der Herausbildung eines starken Bewusstseins im Umgang mit Finanzen zu unterstützen. Der Unterricht, der durch Mitarbeiter der Bank in ihrer Freizeit erbracht wird, hilft, Unsicherheiten zu beseitigen und eigene Finanzkompetenzen zu entwickeln. Parallel dazu lädt die National-Bank Schüler zur Teilnahme an ihren Hauptversammlungen ein, unterstützt die International School Ruhr in Essen sowie eine Vielzahl unterschiedlicher Bildungsaktivitäten, die unter dem Label der TalentMetropole Ruhr zusammengefasst sind und vom Initiativkreis Ruhr, dem größten branchenübergreifenden regionalen Wirtschaftsbündnis Europas, getragen werden. Beispielloser UmbauDas Engagement folgt nicht nur dem langjährig gelebten Selbstverständnis einer guten Unternehmensbürgerin, sondern zugleich der Erkenntnis, dass sich der Schulunterricht nicht für alles in die Verantwortung nehmen lässt. Zudem sind Schulen für Schüler und nicht für die Wirtschaft da. Diese Tatsache gilt es in besonderer Weise zu berücksichtigen, denn das Schulsystem hat in den letzten 15 Jahren einen beispiellosen Umbau erlebt, einen Umbau, an dem die Protagonisten der Wirtschaft ihre Mitschuld tragen.Dies betraf zum einen die Ökonomisierung des Bildungsgedankens, zum anderen die Wiederbelebung formaler Bildungsziele durch die Kompetenztheorie, die primär die Schulung kognitiver Teilleistungen und nicht die methodische Auseinandersetzung mit bedeutsamen Inhalten unterschiedlicher Bereiche des Lebens mit dem Ziel eines mündigen Bürgers der Zivilgesellschaft in den Mittelpunkt gestellt hat. Für die Neubewertung der Notwendigkeit einer reformierten schulischen Bildung in Ökonomie und Finanzen ist deshalb ausschließlich zu fragen, ob die Bildungspolitik die eigene soziale und historische Situation der Schüler angemessen erkennt und ob die Fächer derzeit die Inhalte und die Bedeutung haben, die ihnen in einer modernen Gesellschaft zukommen müssen, damit diese in der Lage ist, mit den unterschiedlichen Herausforderungen der Zukunft umzugehen.Bis zur Beantwortung dieser Frage kommt es darauf an, die unterschiedlichen Initiativen zur ökonomischen Bildung außerhalb des schulischen Sektors in Anspruch zu nehmen und die Debatte um eine bessere ökonomische Bildung – nicht Kompetenzorientierung – im gesellschaftspolitischen Diskurs zu verankern. Nur dann lässt sich der Verbraucherschutz perspektivisch so dimensionieren, dass die grundgesetzlich gewährleistete, allgemeine Handlungsfreiheit und mit ihr der Grundsatz der Privatautonomie die entscheidenden Determinanten freiheitlich selbstbestimmter und ökonomisch gebildeter Bürger sind und der zutreffende Vorwurf einer Bevormundung vieler ins Leere geht.—-Thomas A. LangeVorstandsvorsitzender der National-Bank Aktiengesellschaft