SERIE: NACHHALTIGKEIT IM FINANZSEKTOR (TEIL 24) - DER FINANZSEKTOR WIRD GRÜNER

Leicht hinter der Welle

Beim Versuch, Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Arbeit zu integrieren, steht die Aufsicht noch am Anfang

Leicht hinter der Welle

Die Debatte um Nachhaltigkeit im Finanzsektor bringt Aufseher rasch in eine heikle Lage: Sie müssen einem schillernden Begriff mit präzisen Vorgaben gerecht werden – und operieren dabei bereits leicht hinter der Welle. Von Bernd Neubacher, FrankfurtBanken und Finanzdienstleister lieben das Thema Nachhaltigkeit: Es verheißt Distinktionsgewinn im Wettbewerb, es hebt das Image, und im besten Fall bringt es den Vertrieb nach vorne, wenn sich ein Finanzhaus an die Spitze der Nachhaltigkeitsbewegung setzt. Anders sieht die Perspektive der Aufseher aus: Sie stehen in der Debatte um mehr Nachhaltigkeit im Finanzsektor vor etlichen Problemen. Auf der einen Seite hat sich der Trend zu Green Finance am Kapitalmarkt zwar erkennbar Bahn gebrochen. Auf der anderen Seite aber sind die Kontrolleure von Banken und Versicherern alles andere als die Avantgarde des Kapitalmarktes. Die Folgen des Klimawandels werden vor allem in den Bilanzen der Assekuranz mehr und mehr offensichtlich. Darüber hinaus stehen die Aufseher vor der Frage, wie sie diese Phänomene messen, operationalisieren und in die tägliche Arbeit integrieren können.Zwar ist Green Finance fraglos ein verlockendes Konzept, aber eben auch ein Schlagwort, mit dem sich eigentlich alles verkaufen lässt. Aufseher aber können nicht mit schillernden Begriffen hantieren. Sie benötigen klare Definitionen und müssen genaue Vorgaben machen, die im Zweifel auch einer rechtlichen Überprüfung standhalten.Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Finanzaufsicht in Sachen Nachhaltigkeit etwas hinter der Welle zu sein scheint. Während die Mittelzuflüsse in Green Finance anschwellen, haben die zuständigen Behörden gerade erst begonnen, an ihrem Aufsichtsdesign herumzutüfteln. Keine feste KategorieSo heißt es beispielsweise bei der europäischen Bankenaufsicht auf Anfrage etwas generisch: “Die Bankenaufseher der EZB berücksichtigen in der Beaufsichtigung von Banken und der Einschätzung von Risiken alle relevanten Faktoren, die Risiken für die Bilanzen von Banken und damit für die Gesundheit der Banken darstellen könnten.” Auf der nationalen Ebene sind die Aufseher nicht viel weiter: So gibt es bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) keinerlei harte Kapitalanforderungen für Umwelt- und Klimarisiken. Auch fehlt eine entsprechende feste Risikokategorie in den aufsichtlichen Systemen, wie sie dort etwa für Kredit- oder für Marktrisiken existiert. Umwelt- und Klimarisiken werden, sofern relevant, allerdings in den Aufsichtsgesprächen thematisiert. Die Kontrolleure beobachteten die Auswirkungen mit einem aufsichtlichen Fokus intensiv und begleiteten den Themenkomplex auch national und international, heißt es in Bonn auf Anfrage. Risiken der TransitionWie ein Sprecher ausführt, ist die Finanzwirtschaft von Umwelt- und Klimarisiken nach Lesart der Aufseher auf zwei Arten betroffen: zum einen, wenn sich Schäden durch extreme Wetter- und Klimaänderungen auf Unternehmen auswirkten; zum anderen berge aber auch der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft Risiken für die Finanzwirtschaft in Form sogenannter Transitionsrisiken. Diese entstünden durch abrupte Umwälzungen, etwa wenn ein Verbot etablierter Technologien oder kurzfristig veränderte politökonomische Rahmenbedingungen bedeutsame Neubewertungen von Aktiva nach sich ziehen. Dies bekamen etwa die großen deutschen Energieversorger zu spüren, als sich die Bundesregierung nach der Katastrophe von Fukushima 2011 zu einem Ausstieg aus der Atomenergie entschloss. “Im Extremfall können sich diese Risiken sogar bis hin zum totalen Asset-Verlust bei Investitionen materialisieren”, sagt der BaFin-Sprecher. Spätestens mit Unterzeichnung des Pariser Klimavertrags im November 2016 und dem darin niedergelegten Rückzug aus fossilen Energieträgern sind längerfristige Transformationsrisiken hinzugekommen. Die BaFin fordert daher “insbesondere langfristig orientierte Investoren wie Lebensversicherungsunternehmen und Pensionsfonds” dazu auf, sich mit den entsprechenden Risiken vertraut zu machen, sofern sie CO2-intensive Investitionen getätigt haben. Wider FehlanreizeZugleich zeigt sich die BaFin, wie auch andere Aufseher hierzulande, bemüht zu verhindern, dass der Wunsch nach einer grünen Belangen gerecht werdenden Aufsicht fragwürdige Anreize schafft. So wandte sich BaFin-Präsident Felix Hufeld schon Mitte Januar auf dem Neujahrspresseempfang der Anstalt gegen Bestrebungen auf EU-Ebene, grüne Anlagen mit einer Art Nachlass bei der Eigenkapitalunterlegung zu fördern: “Klar muss auch weiterhin sein: Gleichgültig, um welches noch so relevante Thema es sich handelt – etwa um Infrastrukturinvestitionen, Green oder Sustainable Finance, Digitalisierung, um nur einige Beispiele zu nennen -, in keinem Fall rechtfertigt dies in der Finanzwelt einen regulatorischen Bonus, der losgelöst von faktenbasierter Analyse, der Bewertung von Risikoprofilen, Ausfallwahrscheinlichkeiten, Risiko-Return-Verhältnissen oder Ähnlichem gewährt werden dürfte”, hatte er erklärt. Eine durch regulatorische Anreize geförderte Asset-Blase ist sicher der Stoff, aus dem die Alpträume von Aufsehern sind, auch weil diese belegen würde, dass Regulierung und Aufsicht aus der Entstehung der Subprime-Blase in den USA nicht die richtigen Schlüsse gezogen hätten. Wenn eine Bank, regulatorisch dazu ermutigt, zum Beispiel verstärkt Windkraftanlagen finanziert, kann dies nicht nur eine Asset-Blase aufblähen, sondern darüber hinaus aus aufsichtlicher Perspektive auch mit einem gehörigen Klumpenrisiko einhergehen. “Besondere Vorbildfunktion”Andreas Dombret, für Bankenaufsicht und Finanzstabilität zuständiges Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, plädierte bereits im vergangenen Herbst in einer Rede an der National University in Singapur dafür, Risiken, die sich für die Finanzinstitute durch den Klimawandel ergeben, gegebenenfalls in die aufsichtlichen Risikoanalysen einzubeziehen. Die Bundesbank und andere Notenbanken seien dabei, ihre analytischen Kapazitäten mit Blick auf Klimarisiken auszubauen.Kreditinstitute seien zunehmend von steigenden Kosten durch extreme Wetterereignisse betroffen: “Sind Verluste versichert, treffen sie den Versicherungssektor. Sind sie nicht versichert, sind Banken und andere Geldgeber betroffen”, resümierte er damals. “Natürlich ist Nachhaltigkeit ein Thema für die Corporate Social Responsibility”, erklärt er nun auf Anfrage der Börsen-Zeitung. “Darüber hinaus müssen Institute aber im Risikomanagement alle wesentlichen Risiken berücksichtigen, denen sie ausgesetzt sind oder ausgesetzt sein könnten. Dies umfasst auch jene Risiken, die sich aus dem Klimawandel beziehungsweise dem Übergang zu einer emissionsärmeren Wirtschaft ergeben.” Der grüne Wandel werde dann erfolgreich sein, wenn die Marktmechanismen in die richtige Richtung wirkten. Nachhaltigkeit müsse sich rechnen, klimaschädliches Verhalten dürfe sich nicht mehr lohnen. Banken und Zentralbanken hätten dabei “eine besondere Vorbildfunktion, aber die Politik muss folgen und weitere Maßnahmen in Angriff nehmen”. Wie Hufeld wendet sich Dombret dabei, wenn auch indirekt, gegen die Förderung grüner Anlagen durch Eigenkapitalrabatte: “Die Aufsicht kann das Bewusstsein für Klimarisiken fördern, darf aber keine Sektorpolitik betreiben. Die Förderung des grünen Wandels ist Sache der Politik. Sie darf nicht durch die Hintertür über Finanzmarktregulierung und Bankenaufsicht erfolgen. Aus einer Verknüpfung des Aufsichtsrechts mit politischen Zielen können Risiken für die Finanzstabilität erwachsen.”Am stärksten brennt die Frage, wie Aspekte der Nachhaltigkeit in die Arbeit der laufenden Aufsicht zu integrieren ist, der europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) unter den Nägeln. Schließlich überwacht die Behörde mit Versicherern und Pensionsfonds genau jene Adressen, denen der Klimawandel schon jetzt am stärksten zusetzt. Zudem kümmert sich EIOPA um jene Spieler am Kapitalmarkt, deren Anlagehorizont über Jahrzehnte hinweg reicht und damit weitaus weiter als jener von Banken und Wertpapierdienstleistern. Da ist etwa der Anstieg der Meeresspiegel, auch wenn er sich nur langsam vollzieht, eher ein Thema als für die Kreditwirtschaft. Mehr AufmerksamkeitNachhaltigkeit, was finanzielle Solidität angeht, sei für EIOPA schon seit längerem Thema, erklärt Justin Wray, Deputy Head des Policy Department und Head der Insurance Policy Unit bei EIOPA, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung: “Was ökologische Nachhaltigkeit angeht, stehen wir noch am Anfang, zumindest verglichen mit unserer Arbeit für finanzielle Nachhaltigkeit”, schränkt er zugleich ein und kündigt an: “Doch im laufenden Jahr werden wir ihr mehr Aufmerksamkeit schenken. So arbeiten wir derzeit an einem entsprechenden Rahmenwerk.” Einer der ersten Schritte werde es dabei sein, eine gute Taxonomie zu entwickeln, also ein einheitliches Verfahren oder Modell, mit dem Objekte nach bestimmten Kriterien klassifiziert werden. “Als Aufseher müssen wir relativ präzise sein”, erklärt Wray. “Mit vagen Aussagen ändert man eventuell die Stimmung, nicht aber das Verhalten.” In der Frage, wann das Rahmenwerk stehen wird, will sich Wray noch nicht festlegen: “Wir sind derzeit noch in der Erkundungsphase, aber diese Phase wird begrenzt sein”, sagt er. Die Prozedur in anderen Fällen unterstellt, wird es EIOPA zunächst einmal um eine Art Beweisaufnahme gehen, bevor die Behörde konkrete Initiativen vom Zaun brechen wird. Theoretisch könnte die EIOPA dann Szenario-Berechnungen zu langfristigen Folgen des Klimawandels, etwa des Anstiegs des Meeresspiegels, forcieren. Mit Stresstests könnten die Aufseher überdies das Ausmaß von Transitionsrisiken untersuchen wollen, also etwa die Frage, wie sich ein Ausstieg aus einer etablierten Technologie zur Energieerzeugung auf die Bilanzen der beaufsichtigten Unternehmen auswirken würde. Bei Beobachtern heißt es, man wäre auch nicht erstaunt, würden die in die neue EU-Pensionsfondsrichtlinie eingeflossenen Nachhaltigkeitsvorgaben im Laufe der Zeit auf Versicherer übertragen. Warnung vor ArbitrageDer Idee eines Rabatts für nachhaltige Anlagen bei der Eigenkapitalunterlegung, wie ihn Frankreich forciert und wie er auf EU-Ebene erwogen wird, steht auch Wray dabei skeptisch gegenüber: “Kapitalanforderungen für Vermögenswerte sollten vor allem den Risiken des Wertverlusts des Vermögenswerts gerecht werden, um ihren Zweck des Schutzes der Versicherungsnehmer zu erfüllen. Sonst besteht die Gefahr von Arbitrage, und Marktteilnehmer können sich abweichende Meinungen zum Risiko bilden.” Zunächst gilt es ohnehin erst einmal, den Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen abzuwarten, welchen die EU-Kommission in den kommenden Wochen vorlegen will. lm Gegensatz zur europäischen Bankenaufsicht, welche den nationalen Behörden wie BaFin und Bundesbank klipp und klar sagen kann, was ihrer Meinung nach zu tun ist, hat die EIOPA dabei kein Weisungsrecht, so dass sie sich mit der Frage auseinandersetzen muss, wie sie ein Rahmenwerk durchsetzen wird. Denn ohne das Einverständnis ihres Verwaltungsrats, in welchem die nationalen Aufseher jeweils vertreten sind, wird nicht viel laufen. Tatsächlich könnte dieses Problem letztlich aber kleiner sein, als es derzeit scheint. Schließlich ist die EIOPA nicht die erste Versicherungsaufsichtsbehörde, die sich mit Themen der Nachhaltigkeit befasst. In den Niederlanden, wo vor allem Flutrisiken oben auf der Agenda stehen, ist man schon mehrere Schritte weiter, was etwa die Regelung des Zugangs von Pensionsfonds zu nachhaltigen Anlagen angeht, wie es in Aufseherkreisen heißt. Auch würde ein Aufseher, der bestreiten wollte, dass Umweltaspekte ein Risiko für Versicherer darstellen können, wohl ein ähnlich ausgeprägtes Selbstbewusstsein demonstrieren wie US-Präsident Donald Trump, bekanntlich ein Skeptiker des Klimawandels.”Die EIOPA kann direkt keine rechtlich verbindlichen Anforderungen vorgeben”, räumt Wray ein. “Dennoch steht uns eine breite Palette von Instrumenten zur Verfügung. So können wir Einschätzungen veröffentlichen, der EU-Kommission Empfehlungen geben, Peer Reviews starten oder die nationalen Aufsichtsbehörden besuchen.”—-Zuletzt erschienen:- Streitfragen prägen Vielfalt ethischer Banken (22. Februar)- Wie nachhaltige Anlagen Banken beeinflussen (16. Februar)- Der globale Mikrofinanzsektor hat Zukunft (14. Februar)- China mausert sich zum grünen Riesen (13. Februar)