LEITARTIKEL

Licht ins Dunkel

Der erste Aufschlag ist gemacht und die erste Phase des mit Spannung erwarteten ersten Strafprozesses in Sachen Cum-ex beendet. Die Staatsanwaltschaft Köln hat ihre Anklage gegen zwei ehemalige Wertpapierhändler verlesen, sie listet 34 konkrete...

Licht ins Dunkel

Der erste Aufschlag ist gemacht und die erste Phase des mit Spannung erwarteten ersten Strafprozesses in Sachen Cum-ex beendet. Die Staatsanwaltschaft Köln hat ihre Anklage gegen zwei ehemalige Wertpapierhändler verlesen, sie listet 34 konkrete Fälle auf, in denen mit Aktienkreisgeschäften rund um den Dividendenstichtag nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer doppelt zurückgefordert worden sein soll. Es geht um einen Schaden für die Steuerkasse von rund 400 Mill. Euro.Der Vorsitzende Richter der 12. Strafkammer, Roland Zickler, hat sich erkennbar tief in die Materie eingearbeitet und leitet den Prozess mit großer Ruhe und Souveränität. Schon jetzt ist klar, dass der Bonner Cum-ex-Prozess einen wichtigen Beitrag zur dringend nötigen Aufarbeitung eines Steuerskandals leisten wird, an dem Dutzende Beteiligte jahrelang Milliarden verdient haben. Noch sind viele Fragen offen, auch wenn der über 800 Seiten lange Abschlussbericht des Bundestags-Untersuchungsausschusses zu Cum-ex-Geschäften seit mehr als zwei Jahren vorliegt. Die Parlamentarier jedoch hatten sich vor allem mit der Rolle der Politik befasst, wichtige Zeugenbefragungen hatten unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden.Der Prozess in Bonn rückt nun das Wirken der beteiligten Banken und Finanzdienstleister in den Mittelpunkt. Es waren keine guten ersten Tage für sie. Noch bevor am heutigen Dienstag der erste Zeuge vernommen wird, haben die beiden Angeklagten mehr als drei Prozesstage lang ausgesagt. Vor allem der frühere Händler Martin S., der als Organisator der Geschäfte im Zentrum des Geschehens gestanden hatte, entwarf vor Gericht das Bild eines “riesigen Netzwerkes” von Banken, Brokern und Anwälten.Eine entscheidende Frage für das Gericht wird sein, inwieweit die vielen Teilnehmer an den Aktienkreisgeschäften die Strukturen durchschauten und wussten, dass die Rendite einzig und allein aus der Erstattung vorher nicht gezahlter Steuern kam. Die Staatsanwaltschaft ist von der Kenntnis der Akteure überzeugt, nicht zuletzt, weil die investierenden Fonds nur für wenige Monate in der jeweiligen Dividendensaison investierten. Das wichtigste Argument dafür, dass die Natur der Geschäfte allen Beteiligten bekannt war, ist jedoch die Höhe der Futures-Preise. Die Aktien, die in großen Massen im Kreis geschoben wurden, wurden mit Futures abgesichert, um jegliche Kursrisiken in den fraglichen Tagen rund um den Dividendenstichtag auszuschließen. Die Futures-Preise sollen aber auch dazu genutzt worden sein, die Gewinne aus den Cum-ex-Geschäften auf alle Beteiligten zu verteilen.Alle Akteure waren Finanzmarktprofis. Nach Angaben von Martin S. habe ihnen allein schon durch das auffällig niedrige Niveau der Futures-Preise rund um den Dividendenstichtag klar gewesen sein müssen, welchen Charakter die Geschäfte gehabt haben und dass Leerverkäufer mit im Spiel waren.Das alles zu widerlegen dürfte für die verfahrensbeteiligten Institute Warburg, Société Générale, BNY Mellon und Hansainvest kein Spaziergang werden. Sollte das Gericht bei ihnen die Gewinne aus den Cum-ex-Geschäften abschöpfen, dürfte das eine Fülle von Schadenersatzklagen nach sich ziehen. Denn die Institute würden wohl anstreben, die übrigen Akteure, die mit Hilfe der Futures-Preise an den Gewinnen beteiligt wurden, mit in die Pflicht zu nehmen. Cum-ex könnte nicht nur Straf-, sondern auch Zivilgerichte noch auf viele Jahre beschäftigen.Eines ist jedoch schon jetzt klar: Cum-ex war nie eine Gesetzeslücke, Cum-ex wurde durch eine Kontrolllücke möglich. Es war schon immer verboten, sich eine Steuer, die gar nicht gezahlt wurde, vom Staat erstatten zu lassen. Dass es trotzdem mit Hilfe eines sehr komplexen Transaktionsgeflechts möglich war, ist viel zu spät aufgefallen und auch danach nicht konsequent genug angegangen worden. Illegal war es trotzdem. Das ist mittlerweile auch richterlich bestätigt. Zum Beispiel durch das Finanzgericht Köln, das im Juli dieses Jahres deutliche Worte fand und die Klage eines US-Pensionsfonds abwies, der sich als Kunde eines Leerverkäufers 27 Mill. Euro vom deutschen Staat holen wollte. Die mehrfache Erstattung einer nur einmal abgeführten Kapitalertragsteuer scheide bereits “denknotwendig” aus, heißt es im schönsten Juristendeutsch. Viel handfester hatte es der Kölner Richter in seiner mündlichen Begründung formuliert und das System Cum-ex als “kriminelles Glanzstück” bezeichnet.——Von Antje KullrichDer Cum-ex-Prozess in Bonn leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung des Steuerskandals. Eine Welle an Verfahren könnte noch folgen.——