Liquidität trägt aktuellen Immobilienboom

Finanzierungsbereitschaft ist ungebrochen - Cash-flow-Stabilität und Lage der Objekte genau im Blick behalten - Investoren gehen vermehrt Risiken ein

Liquidität trägt aktuellen Immobilienboom

Die einen sind euphorisch, die anderen warnen, die Nächsten beschwichtigen. So gegensätzlich ist derzeit das Stimmungsbild am Immobilienmarkt. Tatsache ist: Geht es um Gewerbeimmobilien in Deutschland, kennen viele Investoren kein Halten mehr. Der Boom ist ungebrochen und geht nun schon ins fünfte Jahr. Erst jüngst wurde für das erste Halbjahr 2015 ein Zuwachs des Investitionsvolumens um über 40 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum gemeldet. Damit erreicht es annähernd Werte wie vor dem Ausbruch der Finanzmarktkrise. Waren anfangs vor allem die Top-Immobilien in bester Lage mit bester Ausstattung das “Objekt der Begierde”, so sind die Investoren inzwischen zunehmend bereit, höhere Risiken zu akzeptieren. Deutliche Preissteigerungen werden inzwischen auch in B- und C-Lagen verzeichnet. Früher langweilig, heute sexyDie hohe Nachfrage nach Immobilien basiert auf einer Vielzahl von Faktoren. Als Auslöser werden regelmäßig die niedrigen Zinsen und die Stabilität des deutschen Immobilienmarktes angeführt. Es spricht auch einiges dafür, dass dem so ist. Die Zinsen befinden sich nun schon seit Jahren auf historischen Tiefständen, so dass Investoren nach alternativen Kapitalanlagemöglichkeiten suchen oder suchen müssen, um die Renditeerwartungen ihrer Kunden erfüllen zu können. Deutsche Immobilien rückten dabei recht bald ins Blickfeld, da der deutsche Immobilienmarkt fast als einziger nicht unter der Finanzmarktkrise des Jahres 2008 gelitten hat. Galt der deutsche Immobilienmarkt vor der Finanzmarktkrise als langweilig, weil sich die Preise kaum nach oben bewegten, so gilt er heute als sexy, weil er sich lange Zeit so verhalten entwickelt hatte. Zudem dürften auch wieder Sorgen um die Stabilität des Euro die Investitionsbereitschaft in Immobilien befördert haben.Die wohl wesentlichste Ursache dürfte jedoch in der reichlich vorhandenen Liquidität liegen. Dafür haben zum einen die Maßnahmen der führenden Notenbanken gesorgt. Seit Ausbruch der Finanzmarktkrise haben sie die Banken mit Liquidität geflutet. Gepaart mit fehlenden Anlagealternativen von Banken führt dies zu einem bedeutenden Kreditangebot. Zum anderen verfügen professionelle Investoren in mehr als reichem Maße über Liquidität, sei es aus Liquiditätszufuhren von Kunden oder aus der Fälligkeit von Anlagen.Mangels alternativer als sicher erachteter Anlagemöglichkeiten wird ein wesentlicher Teil dieser Liquidität derzeit in Immobilien investiert. Betrachtet man die Immobilienquote bedeutender Investoren, so hat diese sich in den vergangenen Jahren erhöht. Beispielsweise erhöhte sich im vergangenen Jahr laut EY bei Versicherungen vor allem durch Zukäufe der Wert des durchschnittlich gehaltenen Immobilienbestandes um deutlich über 10 %. Das breiter werdende Interesse spiegelt sich zudem in einer recht breiten Streuung der Investoren wider. Nach einer Studie von BNP Paribas gab es 2014 keine dominierende Investorengruppe am deutschen Gewerbeimmobilienmarkt, vielmehr eine Vielzahl von Anlegern mit recht unterschiedlichen Risikoprofilen und Anlageschwerpunkten. 2014 kam rund die Hälfte aller Investoren in deutsche Immobilien aus dem Ausland. Bei Bieterverfahren waren es bereits drei Viertel. Für dieses Jahr erwarten die Experten einen mindestens ebenso großen Anteil, wenn nicht sogar einen noch höheren. Keine Alternativen in SichtBislang konzentrierte sich das Interesse dabei auf die Objekte in Top-Lagen. Das Angebot dieser sogenannten Core-Immobilien wird jedoch immer knapper. Dennoch wird dies die hohe Nachfrage nicht drosseln. Vielmehr scheinen die Investoren sogar zunehmend bereit, höhere Risiken in Kauf zu nehmen. Darauf deuten stärker wachsende Preise in Nebenlagen hin. Denn Alternativen für die Kapitalanlage in Immobilien zeichnen sich derzeit nicht ab, da diese weiterhin eine deutlich höhere Rendite aufweisen als viele andere als sicher geltende Asset-Klassen.Wie sieht es auf der Finanzierungsseite aus? Die Finanzierungsbereitschaft von Banken und anderen Finanzierern ist ungebrochen. Das Neugeschäft an gewerblichen Immobilienfinanzierungen steigt nicht nur in Deutschland seit Jahren. So kommt Cushman Wakefield zu dem Ergebnis, dass europaweit die Neukreditvergabe einschließlich Prolongationen 2013 um 31 % und 2014 um 55 % gestiegen ist. Flankiert wird diese Entwicklung von sinkenden Kreditkonditionen und einer steigenden Risikobereitschaft vieler Finanzierer. So hat sich die Zahl der Anbieter erhöht. Und auch die Anzahl der sogenannten “Alternative Lender” ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Hierzu zählen neben Versicherungen unter anderem auch Kreditfonds und Pensionskassen.Eine Folge des größeren Finanzierungsangebotes ist ein steigender Wettbewerb. Und dieser wird nicht mehr nur über den Preis geführt, sondern immer deutlicher über Komplexität und Risiko. Somit kann sich der gesamte Markt bei gleichen Margen in Richtung höherer Risiken verschieben. Dies lässt sich schon seit einiger Zeit an steigenden Ausläufen zum Marktwert beobachten. Es ist zwar nicht ganz so deutlich zu erkennen wie in den letzten Jahren vor der Lehman-Pleite, aber bei genauer Betrachtung ist dieser Trend unübersehbar.Deutlich wird dies darin, dass sich der Abstand zwischen Markt- und Beleihungswert erhöht. Während der Marktwert mit seinem Stichtagsbezug die aktuelle Einengung der Renditen widerspiegelt, sind bei der Berechnung des Beleihungswertes gesetzliche Untergrenzen des anzuwendenden Kapitalisierungszinses im Ertragswertverfahren gesetzt. Darüber hinaus müssen auch Mindestbewirtschaftungskosten berücksichtigt werden. Der Beleihungswert kann also ab einem bestimmten Marktniveau eine weitere Reduzierung der Renditen nicht mehr abbilden, weil diese auf Basis des langfristigen Liegenschaftszinses als spekulativ gelten. Markt- und Beleihungswert driften folglich auseinander.Das führt zu der Situation, dass eine auf den ersten Blick konservativ anmutende Finanzierung mit einem Auslauf zum Marktwert von 50 % (Loan to Value oder LTV) aus Beleihungswertperspektive aggressiver wirkt. Während in der Vergangenheit der Abstand zwischen Markt- (LTV) und Beleihungswertauslauf (Loan to Mortgage, Lending Value oder LTMV) typischerweise 20 bis 30 Prozentpunkte nicht überschritt, wurden in jüngerer Zeit Finanzierungen mit einem LTV von 50 % und einem LTMV von 100 % bereits häufiger gesichtet.Ausgehend von der Grundüberlegung des Beleihungswertes, der zufolge der Beleihungswert ein langfristiger Wert ist, der auf Basis langfristig beobachteter Werte berechnet wird, signalisiert eine Vergrößerung des Abstands von Markt- und Beleihungswert für aktuell gehandelte Immobilien eine Entfernung ihrer Kaufpreise und Renditen von ihrem langfristigen Wert. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass eine Korrektur unter veränderten Marktbedingungen, wie zum Beispiel höheren Zinsen, stärker ausfallen kann als noch vor ein paar Jahren.Es ist aus heutiger Sicht nicht zu erwarten, dass im Euroraum japanische Verhältnisse eintreten. Vielmehr ist durch den erwarteten Zinsanstieg in den USA auch im Euroraum mit steigenden Zinsen zu rechnen. Was aber geschieht, wenn es eines Tages doch wieder ernsthafte Anlagealternativen gibt – weil die Zinsen wieder signifikant steigen? Das Ausmaß dessen, was sich ereignen kann, ist natürlich abhängig davon, wie stark die Zinsen steigen und über welchen Zeitraum. Grundsätzlich ist aber zu erwarten, dass sich die Investoren sehr bald wieder anderen Asset-Klassen zuwenden werden. Das gilt insbesondere für jene, die “notgedrungen” in Immobilieninvestitionen eingestiegen sind. Selbst wenn Immobilien noch akzeptable Renditen erwirtschaften, sind sie doch deutlich anspruchsvoller im Management. Viele Investoren werden deshalb wieder weniger aufwendige Anlagen vorziehen.Die Nachfrage nach Immobilien wird folglich zurückgehen. Viele Investoren werden versuchen, insbesondere ihre zu hohen Kaufpreisen getätigten Investitionen in Immobilien vor einem zu erwartenden Rückgang der Marktwerte zu schützen. In der Folge ist mit einem vermehrten Angebot an Immobilien zu rechnen, was zu einem Rückgang der Preise führen kann.Vor dem Hintergrund der vergleichsweise stabilen inländischen Entwicklung über die letzten Krisen hinweg erscheint dieses Szenario sehr verhalten, denn auch der deutsche Markt wird sich den fundamentalen Marktmechanismen nicht entziehen können. Unrealistisch ist es nicht. Andere Länder aber mussten in und nach den letzten Krisen zum Teil sehr schwere Wertverluste bei gewerblichen Immobilien verkraften. Je länger das Niedrigzinsumfeld anhält, desto stärker verharren die niedrigen Renditen auf den Immobilienmärkten und desto unausweichlicher wird eine Wertkorrektur bei steigenden Zinsen.Die Tatsache, dass die hohe Nachfrage nach Immobilien maßgeblich von der reichlich vorhandenen Liquidität getragen wird, sollte für Investoren und Immobilienfinanzierer Anlass sein, die Cash-flow-Stabilität und die Lage der Objekte sehr genau im Blick zu behalten. Die konservative, auf dem Beleihungswert basierende Finanzierungspraxis ist dabei ein stabilisierendes Element. Denn grundsätzlich wirkt sie allzu spekulativem Verhalten entgegen. Noch kein Grund zur SorgeSolange Investoren und Finanzierer noch auf andere unterversorgte Märkte ausweichen können, um ihre Renditen zu erzielen, ist noch keine allzu große Sorge angebracht, dass das beschriebene Szenario bald eintritt. Positiv stimmt auch, dass spekulative Developments derzeit noch selten sind. Gebaut wird überwiegend in vernünftiger Relation zum Bedarf, so dass auch noch nicht von sinkenden Mieten auszugehen ist. Dass sich die Marktpreise für gewerbliche Immobilien derzeit schneller erhöhen als die Mieten, ist zwar langfristig betrachtet keine gesunde Entwicklung, aber Investoren können sich vor den Folgen durchaus schützen. Die Lösung heißt: die niedrigen Zinsen möglichst lange sichern und nicht spekulativ investieren. Denn mit den aktuell günstigen Zinsen wachsen bei möglichst langer Kreditlaufzeit auch anfänglich renditeschwache Immobilien bei steigenden Mieten im Zeitablauf in immer attraktivere Renditeregionen.—Louis Hagen, Sprecher des Vorstands der Münchener Hypothekenbank und Jan Peter Annecke, Leiter Gewerbliche Immobilienfinanzierung, Münchener Hypothekenbank