Matthias Voelkel

„Märkte muss man bauen und gestalten“

Zum einen treibt die Börse Stuttgart den Handel mit Bitcoin Co. weiter voran. Zum anderen soll der Handelsplatz zu einer führenden europäischen Kryptoplattform für institutionelle Kunden entwickelt werden – inklusive Verwahrgeschäft.

„Märkte muss man bauen und gestalten“

Thomas Spengler.

Herr Voelkel, was hat Sie denn angetrieben, von McKinsey zur Börse Stuttgart zu wechseln?

Ich fand es von Anfang an beeindruckend, wie es die Gruppe Börse Stuttgart – übrigens als einzige etablierte Börsengruppe in Europa – geschafft hat, in nennenswertem Umfang Geschäft mit Kryptowährungen zu generieren und sich so eine Vorreiterrolle zu erarbeiten. Dies betrifft sowohl Transaktionsvolumina als auch Erträge – wir machen richtiges Geschäft.

Welche Themenbereiche sind Sie in Ihren ersten knapp 100 Tagen in Stuttgart mit höchster Priorität angegangen?

An allererster Stelle steht für mich der Ausbau des Kryptogeschäfts, das eine hohe Wachstumsdynamik aufweist. Dies lässt sich zum einen an der inzwischen auf 460 000 gestiegenen Zahl der aktiven Nutzer unserer „Bison“-App ablesen, mit der die fünf Kryptowährungen Bitcoin, Ethereum, Litecoin, Bitcoin Cash und Ripple gehandelt werden können. Hier werden in den nächsten Wochen die Kryptowährungen Uniswap und Chainlink hinzukommen, weitere werden folgen. Dieses Jahr belief sich das Handelsvolumen bei Bison per Ende August auf 4,3 Mrd. Euro. Zum anderen haben wir mit der Börse Stuttgart Digital Exchange (BSDEX) Deutschlands ersten regulierten Handelsplatz für digitale Vermögenswerte. Die BSDEX wird als reguliertes multilaterales Handelssystem (MTF) von der Baden-Württembergischen Wertpapierbörse betrieben und kam in den ersten acht Monaten des Jahres auf ein Handelsvolumen von mehr als 1,5 Mrd. Euro. Hier sind 55 000 Nutzer registriert – Tendenz stark steigend. Damit sind wir im Übrigen auch die einzige Börsengruppe in Europa, die in nennenswertem Umfang eigene Endkunden hat.

Wie wollen Sie weitere Kunden locken?

Wir werden die Funktionalitäten unserer Angebote weiter ausbauen. Seit kurzem etwa sind im Kryptohandel bei Bison auch Limit-Orders möglich. Zum anderen treiben wir die Internationalisierung von Bison voran. Bereits im zweiten Quartal erfolgte der aktive Markteintritt in Österreich; bis Jahresende soll die Schweiz hinzukommen. Wir exportieren damit unser Wertversprechen eines einfachen und verlässlichen Handels für Kryptowährungen.

Wie unterscheiden sich denn die Kundenzielgruppen von Bison und der BSDEX?

Bison bietet insbesondere eine niedrige Eintrittsschwelle für Anleger, die unkompliziert mit Bitcoin und Co. handeln wollen. Dagegen richtet sich die BSDEX nicht nur an Retailkunden, sondern auch an institutionelle Akteure mit Wachstumsambitionen im Kryptobereich. Tatsächlich wollen wir die BSDEX zu einem der führenden Handelsplätze inklusive Verwahrung für Institutionelle in Europa aufbauen. In Kürze werden wir die erste Bank an die BSDEX anschließen, die auf diese Weise das Kryptogeschäft ihren eigenen Kunden anbieten möchte. Weitere Teilnehmer sind in der Pipeline, das Interesse institutioneller Akteure an unserem Angebot ist stark.

Welche Rolle spielt Blocknox, die Kryptoverwahrgesellschaft der Gruppe Börse Stuttgart?

Die Blocknox, die aktuell Kryptowährungen im Wert von mehr als einer Milliarde Euro under Custody hat, stellt zum einen die Verwahrlösung für Bison- und BSDEX-Retailkunden dar: Wer Kunde von Bison oder der BSDEX ist, dessen Kryptowährungen verwahren wir treuhänderisch bei Blocknox. Zudem bieten wir auch institutionellen Akteuren wie Banken oder Brokern eine Möglichkeit der Verwahrung für ihre Kunden. Der damit verbundene Sicherheitsaspekt, den wir hier als verlässlicher Partner bieten, ist für viele Marktteilnehmer sehr wichtig. Uns gibt es immerhin schon seit 160 Jahren.

Nach dem Start von Bison und der BSDEX stellte die Börse Stuttgart immer wieder die Ausweitung der handelbaren Assets auf Security Tokens, also die Umwandlung realer Assets wie Wertpapiere oder Maschinennutzungszeiten, in Aussicht. Inzwischen ist nichts mehr davon zu hören.

Vor drei Jahren schien tatsächlich eine schnellere Umsetzung derartiger Pläne in der Breite möglich. Unser Tokenisierungsprojekt im vergangenen Jahr mit Daimler, Bosch und 51nodes hat aber auch gezeigt, dass die Entwicklung eines aktiv genutzten Marktplatzes für Token, inklusive Aufbau eines Sekundärmarkts, ihre Zeit braucht. Dennoch bleibt das Thema Token – sowohl Security Token als auch Utility Token – für uns von großer strategischer Bedeutung, weshalb wir die Entwicklung weiter genau beobachten.

Das heißt, die Börse Stuttgart treibt die Entwicklung nicht mehr aktiv voran?

Die Gruppe Börse Stuttgart ist kein Konzern, der über fünf Jahre in ein Thema investieren kann, ohne einen konkreten Markt vor Augen zu haben. Auch 2021 werden wir auf diesem Feld insgesamt keine großen Umsatzzahlen sehen. Märkte muss man bauen und gestalten, was durchaus zu unserer DNA gehört. Was dagegen nicht funktioniert, ist, eine technische Infrastruktur hinzustellen und darauf zu warten, dass sich das Geschäft von alleine ergibt. Das hat die Gruppe Börse Stuttgart auch nicht gemacht – es wurden keine Investitionen im luftleeren Raum getätigt. Wir verfügen heute bereits über eine funktionierende Tokenisierungsinfrastruktur und überlegen uns sehr genau, wofür wir sie nutzen werden. Insbesondere haben wir allerdings stark in den Handel und die Verwahrung von Kryptowährungen investiert – genau dort, wo jetzt die Musik spielt. Unsere Ambitionen sind groß, sie werden aber immer markt- und kundenorientiert umgesetzt.

Bereits Ende 2019 ist die japanische SBI mit 10 % bei der BSDEX eingestiegen. Ziel war es, eine einheitliche technische Basis für digitale Assets aufzubauen. Außer der Ankündigung eines Pilotprojekts ist aber nichts passiert.

Die SBI ist weiterhin bei der BSDEX investiert. Wir sind im engen Austausch und haben konkrete gemeinsame Pläne. Das ist auch konsequent. Die Weiterentwicklung von Kryptohandel und -verwahrung, die über eine strukturelle Wachstumsdynamik verfügen, ist für uns kein Abenteuer. Vielmehr ist das digitale Geschäft rasch und signifikant profitabel geworden. So konnte unsere Tochter Euwax durch Bison zum Halbjahr 2021 bereits Erträge in Höhe von 29 Mill. Euro generieren. Bis in drei, vier Jahren streben wir an, dass das digitale Geschäft gleich stark ist wie das klassische Börsengeschäft. Dafür planen wir, bis Mitte 2022 den digitalen Bereich um 100 Mitarbeiter aufzustocken.

Sowohl im klassischen Börsenhandel als auch im Kryptogeschäft nimmt der Wettbewerb durch neue Player und neue Börsenmodelle stetig zu. Wie ist die Börse Stuttgart auf der digitalen Seite darauf vorbereitet?

Mit Bison und der BSDEX stellen wir ein breites, reguliertes Angebot zur Verfügung, inklusive der Verwahrung über Blocknox. Es gibt viele Privatanleger, die ein solches An­gebot in genau dieser Form haben wollen und auch intensiv nutzen. Unsere starken Wachstumszahlen zeigen das. Gleichzeitig sind wir ein attraktiver Infrastrukturanbieter für institutionelle Akteure – ein Gebiet, auf dem das Wachstum noch schneller sein wird als im Endkundensegment und auf dem wir über ein einzigartiges Wertversprechen verfügen.

Wann werden nicht mehr nur Kryptowährungen, sondern auch andere Assetklassen wie etwa Aktien über Bison handelbar?

Um es sportlich zu formulieren: Wir schauen uns genau an, was auf dem Spielfeld passiert, und sind bereits dabei, uns aufzuwärmen.

Aufgrund personeller Rochaden ging in den vergangenen anderthalb Jahren viel Zeit verloren. Hat die Börse Stuttgart dadurch ihre Pionierrolle eingebüßt?

Wir betrachten uns weiterhin als Vorreiter in den Bereichen Kryptohandel und -verwahrung, die wir, stark am Kunden orientiert, weiter vorantreiben werden. Dasselbe gilt für die Tokenisierung, bei der es gilt, zusammen mit den unterschiedlichen institutionellen Kunden Märkte aufzubauen. Dass dabei dicke Bretter gebohrt werden müssen, ist uns klar, schreckt uns aber nicht.

Das Interview führte

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