LEITARTIKEL

Marketingobjekt Bilanztest

Objekte wirken gewöhnlich umso größer, je stärker man die Distanz zu ihnen verkürzt - nur der Bilanztest der EZB scheint zu schrumpfen, je näher der 4. November rückt, an dem die Europäische Zentralbank (EZB) nach der Übung die Aufsicht über die...

Marketingobjekt Bilanztest

Objekte wirken gewöhnlich umso größer, je stärker man die Distanz zu ihnen verkürzt – nur der Bilanztest der EZB scheint zu schrumpfen, je näher der 4. November rückt, an dem die Europäische Zentralbank (EZB) nach der Übung die Aufsicht über die wichtigsten Banken Eurolands übernimmt. Man backt mittlerweile überschaubarere Brötchen. Hatte EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio zunächst von “Balance Sheet Assessments” geredet, so firmiert die Übung inzwischen nur mehr als “Asset Quality Review”, also Analyse der Aktiva – die Passiva der Bilanz bleiben außen vor. Rückstellungen blendet der Test damit ebenso aus wie das Aktiv-Passiv-Management und auch die Refinanzierung der Banken. War es nicht gerade eine allzu kurzfristige Refinanzierung, die Institute wie Lehman Brothers und Hypo Real Estate in der Krise kollabieren ließ? Angesichts des knappen Zeitplans gilt auch nicht mehr das anfangs beschriebene Prozedere einer Risikoanalyse, der eine Bilanzüberprüfung folgen soll, welcher sich ein Stresstest anschließt. Tatsächlich laufen Aktiva-Analyse und Stresstest weitenteils parallel, mit entsprechenden Problemen bei der Zusammenführung der Resultate. Tiefer hängen müssten die Bilanztester folglich auch den Anspruch, man werde “unbekannte Risiken” in den Bilanzen der Banken zutage fördern. Nachdem schon das Untersuchungsdesign begradigt wurde und zudem bekannt wurde, dass die EZB anstelle originärer Bankdaten vielfach pauschale Annahmen zur Beurteilung heranziehen wird, wäre es ehrlicher zu postulieren, man wolle sich nur einmal die Aktiva der Banken anschauen, bevor die EZB die Bankenaufsicht übernehme.Hat die Notenbank mit Worten stark begonnen, um in der Praxis dann stark nachzulassen? Mag sein. Auch die Aktiva-Analyse samt Stresstest fällt freilich noch immer umfangreich genug aus, um die Kräfte weiter Teile des Bankensektors zu binden. Und sie hat ihre Verdienste: Mit Hilfe eines entsprechenden Standards der European Banking Authority (EBA) setzt sie eine einheitliche Definition für notleidende Kredite durch, schafft damit vergleichbare Bilanzen und, ab November dann, Gleichheit in der Aufsicht – auch in deren Fehlern – zumindest unter den wichtigsten Banken Eurolands. Eine weitere Funktion hat die Aktiva-Analyse schon erfüllt, bevor die EZB überhaupt die Chance dazu bekommt, als Aufsicht ihre ersten Fehler zu machen: ein Großreinemachen in den Bilanzen anzustoßen, und zwar nicht nur in ökonomisch heiklen Regionen wie Italien und Griechenland, wo Unicredit Abschreibungen und Rückstellungen über knapp 14 Mrd. Euro stemmte und sich die vier hellenischen unter den EZB-Aufsichtsschirm rutschenden Banken gut 8 Mrd. besorgten. So hat die Deutsche Bank 8 Mrd. Euro Eigenkapital hereingeholt, und auch im genossenschaftlichen Lager, dessen Banken ja, wie sie immer wieder betonen, die Krise nicht verursacht haben, hatten es DZ Bank, WGZ Bank und Münchener Hypothekenbank doch recht eilig, in vorauseilendem Gehorsam ihr Kapital zu erhöhen, bevor die EZB übernimmt.Auch wenn sich die EZB-Übung mitsamt ihren Befunden dereinst als fehlerhaft erweisen sollte, ihren Zweck erfüllt sie: Anlegern Vertrauen einzuflößen und über eine Angleichung der Bewertung in den Bilanzen grenzüberschreitenden Übernahmen und einer europäischen Integration des Finanzsektors den Weg zu ebnen. Der Rest des Tests sind Erwartungsmanagement und Marketing. Und der Sinn des gemeinsam mit der EBA unternommenen Stresstests? Aufseher würden es öffentlich bestätigen, wenn sie dürften: Was sie brauchen, um neue Erkenntnisse zu erlangen, sind Stresstests unter Ausschluss der Öffentlichkeit und damit die Freiheit, auch abwegige Szenarien rechnen zu lassen. Was sie nicht brauchen, sind öffentliche, von verschiedener Seite kommentierte Übungen, welche die wahrhaft interessanten Fragen ausklammern müssen, weil sonst alle Welt in Panik gerät im Glauben, die Aufsicht wisse von potenziellen Gefahren wieder einmal mehr als der Markt.Die Öffentlichkeit wird die rund zwölf Monate währende Übung letztlich auf die Frage reduzieren, ob und, wenn ja, welchen Kapitalbedarf eine Bank hat. Dabei dürfte von den Instituten nach immensem Kapitalauf- und Aktiva-Abbau sowie dank der regen Aufmerksamkeit der Aufseher derzeit so wenig Gefahr ausgehen wie schon lange nicht mehr. Die EZB muss die Zeit, die ihr dies verschafft, ab November nutzen, etwa um die internen Modelle der Banken zur Berechnung des Eigenkapitalbedarfs zu durchleuchten und ein gescheites europaweites Meldewesen aufzubauen. Die eigentliche Arbeit steht ihr noch bevor.——–Von Bernd NeubacherAuch wenn die Ansprüche an den Bilanztest der Europäischen Zentralbank zu reduzieren sind: Er erfüllt seinen Zweck.——-