IM GESPRÄCH: CHRISTIAN OSSIG, KLAUS WIENER UND THOMAS RICHTER

Mehr Finanzexpertise für Nachhaltigkeit

Verbandsvertreter dringen auf Partizipation bei der Sustainable-Finance-Strategie der Bundesregierung - Kritik am Beirat

Mehr Finanzexpertise für Nachhaltigkeit

Kreditwirtschaft, Assekuranz und Fondsbranche sind besorgt über die Art und Weise der Entwicklung einer Sustainable-Finance-Strategie der Bundesregierung. Im Expertenbeirat sind die Verbände nur Beobachter, sie entscheiden nicht mit. Expertise der Finanzbranche fließt damit nicht ausreichend ein, obwohl sich der Sektor in der Schlüsselrolle sieht, Kapitalströme zugunsten des Klimaschutzes zu lenken.Von Angela Wefers, Berlin “Hier läuft etwas am Finanzmarkt vorbei”, sagte Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, der Börsen-Zeitung im Gespräch. “Kreditwirtschaft, Asset-Manager und Versicherer sind nicht so eingebunden, wie es für den Projekterfolg notwendig wäre”, hielt Ossig fest. Er spricht derzeit als Federführer für die gesamte Deutsche Kreditwirtschaft (DK). Auch Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Fondsverbands BVI, hält die Besetzung des Beirats für verfehlt. “Es ist bedauerlich, dass wir im Sustainable-Finance-Beirat nur beobachten”, monierte er. Auch für die Assekuranz laufen die Dinge im Expertengremium in die falsche Richtung. “Im Beirat gibt es hinsichtlich der Geschäftsmodelle von Unternehmen in der Finanzdienstleistungsbranche sehr unterschiedliche Kenntnisstände zwischen Finanzvertretern und denen, die aus der Welt der Nichtregierungsorganisationen kommen”, erklärte Klaus Wiener, Mitglied in der Geschäftsführung des Versicherungsverbands GDV. “Wenn man Deutschland zu einem führenden Finanzstandort für Nachhaltigkeit ausbauen will, kann man das doch nicht an Expertise vorbei tun.”Die Verbände befürchten, dass die Diskussion über die finanzielle Nachhaltigkeitsstrategie durch das Fehlen der Verbände Schlagseite bekommt. “In die Debatte muss mehr Finanzierungsexpertise eingebracht werden – neben der Nachhaltigkeitsexpertise”, verlangte Ossig. Richter sprang ihm bei: “Es geht darum, die Aktionsstränge zusammenzuführen. Ich befürchte, dass der Beirat nicht alle unterschiedlichen Aspekte für das Gesamtbild berücksichtigt.” Nur an der SeitenlinieDer Sustainable-Finance-Beirat hatte Anfang Juni seine Arbeit aufgenommen. Das große Expertengremium soll für die Bundesregierung dabei beraten, eine Strategie für nachhaltige Finanzen aufzubauen. Deutschland soll zum führenden Standort aufsteigen. Die Verbände der Finanzbranche haben im Beirat indessen nur einen Beobachterstatus. “Wir wollen nicht nur passiv an der Seitenlinie stehen, wir wollen den Prozess aktiv mitgestalten”, bekannte Ossig. Die Verbände sehen ihre Mitgliedsinstitute in der Schlüsselrolle, wenn es darum geht, Kapital- und Finanzströme so umzulenken, damit die Klimawende gelingt. “Versicherer, Assetmanager sowie Banken und Sparkassen sind ganz entscheidend für diesen Übergang”, sagte Ossig. “Wir wollen den Prozess erfolgreich mitgestalten.” Auch der Investmentsektor zeigt sich aufgeschlossen. “Die Fondsbranche ist prädestiniert, bei der Lenkung von Kapitalströmen in nachhaltige Investments eine entscheidende Rolle zu spielen”, sagte Richter. “Wir beurteilen, selektieren und entscheiden über einzelne Vermögenswerte. Schon heute lassen wir Nachhaltigkeitskriterien in diesen Prozess einfließen.” Wiener rief die Rolle der Assekuranz in Erinnerung: “Versicherer sind Langfristinvestoren. Für Investitionen in Infrastruktur und nachhaltige Projekte wären wir so etwas wie ein natürlicher Partner”, sagte der GDV-Geschäftsführer. “Wir wollen uns einbringen.”Richter sieht zudem in der Besetzung des Beirats einen grundsätzlichen Webfehler. “Dem Sustainable-Finance-Beirat fehlt die Repräsentativität”, konstatierte er. Man könne die Meinung der Wirtschaft nicht über einige wenige Individuen einholen. Umso wichtiger sei es, darauf hinzuweisen, dass die Thesen oder Positionspapiere des Beirats auch nur die Meinung der Beiratsmitglieder und nicht die Position der deutschen Wirtschaft widerspiegelten. Schule machen dürfe das Beispiel deshalb nicht, stellte Richter klar. “Damit würde auf Repräsentativität auf Seiten der Finanzindustrie kein Wert mehr gelegt.”Richter wies auch den indirekten Vorwurf zurück, die Verbände würden in der Debatte bremsen. “Genau das Gegenteil ist der Fall: Wir arbeiten konstruktiv an Rechtsetzungsprozessen mit und helfen dabei, praktikable Lösungen für politische Vorgaben zu finden”, untermauerte er. Der BVI bringe sich maßgeblich in die europäische Gesetzgebung ein. “In Berlin gibt es einen Sustainable-Finance-Beirat, der glaubt, auf den Input der Fondswirtschaft verzichten zu können”, monierte Richter. Deutschland werde keine eigene Offenlegungsverordnung verabschieden und keine eigene Taxonomie, die derzeit in Brüssel beraten werden. “Der Beirat kann nur dort sinnstiftend agieren, wo keine verbindlichen Regeln aus Brüssel in Kürze zu erwarten sind”, zeigte sich der BVI-Hauptgeschäftsführer überzeugt. “Die Relevanz der EU-Initiativen für die Gestaltungsmöglichkeiten des Beirats sind noch nicht umfassend erkannt worden. Die EU wird die Regeln für nachhaltiges Investieren festlegen.” Viel privates Kapital nötig Einig sind sich die Verbände darin, dass die Branche vor einer enormen Aufgabe steht, wenn Finanzströme umgelenkt werden sollen. “Wenn wir den Klimawandel abwenden wollen, werden wir sehr viel privates Kapital mobilisieren müssen. Die öffentlichen Haushalte allein wären damit überfordert”, sagte Wiener. Zum Sustainable-Finance-Gipfel am 16. Oktober sind erste Entwürfe zur Strategie nachhaltiger Finanzen zu erwarten. Konkretes ist dazu bislang nicht öffentlich. Gleichwohl befürchten die Verbände eine Entwicklung, die aus ihrer Sicht in die falsche Richtung laufen könnte. Die Spanne der Möglichkeiten zur Lenkung von Finanzströmen erstreckt sich zwischen der regulatorischen Belastung von braunen Investments bis zur Begünstigung von grünen Finanzierungen. “Mit Sanktionen mobilisieren wir nicht einen Euro neues Kapital”, stellte Ossig dazu fest und verlangte zugleich eine offene Debatte über Ideen, neues Kapital zu mobilisieren. “Wir müssen darüber diskutieren, wie Banken und Sparkassen mehr nachhaltige Finanzierungen zur Verfügung stellen können”, regte er an. Die EU-Kommission schätzt den Bedarf auf mindestens 180 Mrd. Euro pro Jahr für die nächste Dekade, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Zugleich zeigte sich Ossig ernüchtert: “Der Dialog im Beirat geht leider noch viel zu wenig in diese Richtung.”Für bedenklich hält die Deutsche Kreditwirtschaft es deshalb auch, dass der Beirat vor allem Kapitalmarktfragen diskutiert, obwohl in Deutschland und Europa die Kreditfinanzierung deutlich dominiert. “Das geht an der europäischen Realität vorbei”, mahnte Ossig, “Viele der Konzepte für den Kapitalmarkt funktionieren für das Kreditgeschäft nicht.”Der GDV sieht die Debatte im Sustainable-Finance-Beirat in eine gefährliche Richtung driften. “Wir müssen den Wandel richtig gestalten. Risikobasierte Aufsichtssysteme dürfen nicht verwässert werden”, warnte Wiener. In Europa gebe es den Konsens: keine Eingriffe in die erste Säule, also die Eigenkapitalregulierung. “Sonst bekommen wir Probleme mit der Finanzstabilität”, stellt Wiener fest. “Die NGOs versuchen, im Beirat das Thema wieder aufzubohren.” Sorgen macht sich die Assekuranz auch um die Risikobewertung in ihrem Aktivgeschäft, etwa bei der Versicherung eines Kohlekraftwerks. “Nachhaltigkeitsrisiken bei der Zeichnungspolitik sind zu berücksichtigen, aber wir appellieren, Modelle, die über Jahrzehnte gewachsen sind, nicht politisch zu verwässern”, mahnte Wiener.Die Fondsbranche fühlt sich gut gewappnet für die künftige Entwicklung, hat aber Wünsche. “Wir brauchen aber Rahmenbedingungen, die uns mehr Sicherheit geben”, sagte Richter. “Dazu gehören eindeutige Labels.” Nachhaltigkeit braucht eine klare Bezeichnung. Die Daten dazu sollen die Unternehmen selbst liefern, in die die Fondsbranche investiert. “Wir brauchen die Verbindung zur Realwirtschaft, wo die Emissionen tatsächlich entstehen”, verlangte Richter. “Es reicht nicht, allein die Finanzwirtschaft zu regulieren.” Die Fondsmanager müssten beurteilen können, welche Aktivitäten eines Unternehmens nachhaltig sind. Rückendeckung kommt vom GDV. “Die Assekuranz hält es für sehr wichtig, dass der Emittent die Einordnung seines Unternehmens nach der Taxonomie vornimmt”, sagte Wiener. “Das Unternehmen selbst kennt seine Aktivitäten um ein Vielfaches besser als jeder Portfoliomanager. Das würde auch für die Anleger die Welt einfacher machen.” Neue Ideen beflügeln Unterschiedliche Meinungen haben die Verbände darüber, welche Politik die Branche beflügeln würde, stärker in Richtung nachhaltige Finanzen zu wirken. “Wir brauchen keine zusätzlichen Anreize”, konstatierte Richter. “Die meisten Fondsgesellschaften setzen in ihren Investmentprozessen schon Nachhaltigkeitskriterien um.” Die Zahl der nachhaltigen Fonds wachse. Die Nachfrage werde weiter zunehmen. “Institutionelle Kunden verlangen in den Spezialfonds schon heute Nachhaltigkeitskriterien”, so Richter. Für den Bankenverband sprach sich Ossig für bessere Verbriefungsmöglichkeiten für grüne Finanzierungen aus. “Davon würden alle profitieren – Kreditwirtschaft, Versicherer, Assetmanager und nachhaltig agierende Kreditnehmer”, stellte er für sein Haus fest. Der Verbriefungsmarkt müsse auch im Niedrigzinsumfeld funktionieren.Eine andere Rolle wünscht sich der Bankenverband auch für den Einsatz von Fördermitteln zur Finanzierung. “Die Förderbanken sollten Banken ermöglichen, Finanzierungen selber zur Verfügung zu stellen”, sagte Ossig. Wiener bestärkt das. “Beim Juncker-Plan haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Förderbanken in Finanzierungen hineingehen, für die privates Kapital da wäre”, erläuterte er. “Besser wäre es, die Fördermittel einzusetzen, um das Risiko eines solchen Investments zu verringern und damit Investoren einen besseren Zugang zu ermöglichen.” Für die Assekuranz müsse das Investment in das Regelwerk passen. “Wenn eine Förderbank zum Beispiel über eine Juniortranche das Risiko reduziert, würde das Investitionsspektrum größer.” Der GDV regt zudem an, Projekte in einer Plattform zu bündeln und Investoren so anzubieten, sich zu beteiligen. “So bekommen wir PS auf die Straße für Stromtrassen, E-Mobilität oder ein Netz von E-Tankstellen”, ist Wiener überzeugt. Wenig Interesse der Investoren findet dagegen das Projekt grüner Bundesanleihen, das geprüft wird. Es gehe um den Prozess, braune zu grünen Investments zu transformieren, sagte Richter. “Nein, grüne Bundesanleihen brauchen wir dafür nicht”, konstatierte er. Wiener hält beim aktuellen Zinsniveau Bundesanleihen ohnehin nicht für attraktiv. “Anstelle der noch schlechter verzinsten grünen Anleihen würden wir andere grüne Investments suchen.”