FINANZEN UND TECHNIK - SERIE: FINANZPLATZ FRANKFURT (4)

Mehr öffentliche Gelder für Start-ups

CFS-Geschäftsführer Brühl sieht im Interview Fintech-Standort Deutschland international im Hintertreffen

Mehr öffentliche Gelder für Start-ups

Volker Brühl, Geschäftsführer des Center for Financial Studies der Goethe-Universität Frankfurt, äußert sich im Interview der Börsen-Zeitung kritisch zu Lage und Perspektiven des Fintech-Standorts Deutschland. Damit der Anschluss nicht verloren geht, fordert er unter anderem, dass mehr öffentliche Gelder in die Hand genommen werden.- Herr Prof. Brühl, wie steht es um den deutschen Fintech-Markt?Zunächst ist es erfreulich, dass das Investitionsvolumen in deutsche Fintechs in den letzten beiden Jahren deutlich zugenommen hat. Auch hat sich die regionale Verteilung der deutschen Start-up-Aktivitäten verändert. Berlin ist für Jungunternehmen zwar immer noch der interessanteste Hub. Dort gibt es derzeit mehr als 200 Fintechs, in Frankfurt nicht einmal die Hälfte. Aber Frankfurt hat seit der Gründung des TechQuartiers deutlich aufgeholt. Wesentlicher Treiber dürfte zum einen die räumliche Nähe zu den Finanzmarktakteuren sein, denn viele Fintechs setzen nun auf Kooperationen mit etablierten Banken, Versicherungen oder Assetmanagern. Zudem wird ein enger Austausch mit der Finanzaufsicht immer wichtiger.- Und wie sieht es im internationalen Vergleich aus?Das geschätzte Investitionsvolumen in deutsche Fintechs liegt durchschnittlich bei circa 5 Mill. Euro pro Finanzierungsrunde. Darunter gibt es auch große Finanzierungen wie die von N26 mit ca. 130 Mill. Euro. Und die Solarisbank und Scalable Capital konnten Beträge im zweistelligen Millionenbereich einsammeln. Aber im internationalen Vergleich ist das doch sehr bescheiden. Denken Sie nur an Ant Financial Services, eine Tochtergesellschaft von Alibaba. Die haben kürzlich 14 Mrd. Dollar eingesammelt. Auch wenn dies der Spitzenwert ist, so liegen in den USA viele Finanzierungsrunden im dreistelligen Millionenbereich, was hierzulande doch die Ausnahme ist.- Woran liegt das?In Deutschland setzen die meisten Fintechs auf B2C-Lösungen. Die zum Einsatz kommenden Technologien sind vergleichsweise “Low Tech”, Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) spielen – wenn überhaupt – keine wesentliche Rolle. Die Markteintrittsbarrieren sind oft relativ niedrig, dies trifft etwa die sogenannten Robo-Advisor. Diese suggerieren zwar ein sophistiziertes Anlagemanagement, doch die meisten arbeiten mit sehr einfachen Algorithmen, die nicht auf echten KI-Technologien wie dem maschinellen Lernen basieren. Auch in anderen Segmenten wie dem P2P-Lending, Crowd-funding oder bei diversen Vergleichsportalen können die bestehenden Konzepte rasch nachgeahmt werden, so dass ein Alleinstellungsmerkmal kaum dauerhaft zu erzielen ist. Das Disruptionspotenzial ist niedrig, es fällt den etablierten Finanzmarktakteuren nicht schwer, interessante Features in das eigene Lösungsportfolio zu integrieren. Sie finden doch heute bei jeder Sparkasse oder VR Bank Mobile-Banking-Apps. Sogar Instant Payments werden gerade eingeführt und auch ohne Blockchain in den kommenden 12 bis 18 Monaten zum Standardangebot bei den etablierten Banken gehören, zumindest bei großen Überweisungen.- Woran mangelt es denn?Es fehlt im deutschen Fintech-Markt an Ideen für den B2B-Bereich, die Disruptionen gehen häufig mit der Nutzung innovativer Technologien einher. Als Beispiele möchte ich die Unternehmen Kyriba, die cloudbasierte Treasury- und Risk-Management-Lösungen anbieten, Trade-shift, ein webbasiertes soziales Netzwerk für Unternehmen zum Austausch digitaler Rechnungen, oder Sentient, Entwickler von KI-gestützten Investmentalgorithmen, erwähnen. Die sitzen alle in den USA und haben bereits Methoden der KI erfolgreich in Lösungen umgesetzt. Oder man denke an die Blockchain oder Distributed-Ledgers-Technologie. Auch hier spielen deutsche Fintechs bislang keine Rolle.- Fehlt es hier an Venture Capital?Deutsche VCs spielen in der Tat global keine Rolle. Ohne die Aktivitäten der KfW und der landeseigenen Förderbanken würde die deutsche Start-up-Landschaft sehr dürftig aussehen. Zu erwähnen sind allerdings die Corporate-Venture-Capital-Gesellschaften, die zu Großkonzernen gehörenden Beteiligungsgesellschaften. Diese investieren im Non-Finance-Bereich etwa bei Industrie 4.0 viel Geld. Das spielt aber im hiesigen Finanzsektor bislang keine Rolle.- Wieso ist das so?Was in Deutschland wirklich fehlt, sind VCs mit Fondsvolumina, die auch große Finanzierungsrunden stemmen können. Es gibt US-Investoren wie Ribbit Capital, QED Investors oder Andreessen Horowitz, die schon mal einen dreistelligen Millionenbetrag in Fintechs investieren können. Leider findet man solche Investoren derzeit nicht in Deutschland.- Was hat das für Folgen?Nun, fehlendes Wagniskapital kann dazu führen, dass die Marktführer von morgen anderswo entstehen, insbesondere in den US-amerikanischen Tech-Zentren, aber auch in Asien. Außerdem verlieren wir Talente. Ambitionierte junge Unternehmen gehen dorthin, wo man ein offenes Ohr für ihre Ideen hat. Bereits heute gibt es viele IT-Professionals deutschen Ursprungs, die ihr Glück in den USA gesucht und gefunden haben. Das kann perspektivisch unseren Fachkräftemangel in Schlüsselbranchen weiter verschärfen. Und in Deutschland gibt es bislang kein einziges Fintech-Unicorn, also junge Technologieunternehmen mit einer Bewertung von mindestens 1 Mrd. Dollar. Wir sind in Deutschland zuweilen schlicht zu langsam im Erkennen von Trends und der Bereitschaft, in neue Technologien zu investieren. Solche zeitlichen Nachteile kann man dann nicht mehr aufholen.- Wo sehen Sie noch Chancen?Es gibt einige Bereiche, in denen wir derzeit am Anfang der Entwicklung stehen, in denen es auch vielversprechende deutsche Fintechs gibt, dazu gehört das Segment Regtech. Interessant finde ich hier etwa die Unternehmen Alyne und Actico. Oder auch das Unternehmen Figo, das die Neuerungen im Zusammenhang mit PSD2 nutzt und ermöglicht, Daten von Finanzdienstleistern zu aggregieren und in neue Apps zu integrieren. Ein weiteres Feld ist das Thema Cyber-Security, das für den Finanzsektor von besonderer Bedeutung ist. Auch hier verfügen wir über exzellentes Technologie-Know-how an den Universitäten.- Was ist zu tun?Auch wenn es vielleicht unpopulär erscheint: Ich bin davon überzeugt, dass wir viel mehr öffentliche Gelder zur Förderung der Grundlagenforschung in Schlüsseltechnologien und zur Förderung junger Technologieunternehmen in die Hand nehmen müssen. Da bei uns die großen VCs fehlen, müssen wir über andere Wege nachdenken. Es gibt zwar vielfältige Förderprogramme, die Forschungen rund um die Themen KI, Industrie 4.0 etc. fördern, aber die Volumina sind zu niedrig. Auch der Hightech-Gründerfonds könnte hier ein Baustein sein, wenn man seine Förderstrategie erweitert und ihn mit erheblich mehr Geld ausstattet.- Ist hier also der Staat gefordert?In der am 18. Juli vorgestellten Strategie der Bundesregierung zur KI sind wichtige Eckpunkte enthalten, die man nun schnell mit Leben füllen muss. Da ist unter anderem die Rede von der Einrichtung eines Tech Growth Fund. Dieser müsste mit einem Volumen von mehreren Milliarden Euro ausgestattet werden. Zudem bedarf es einer engeren Verzahnung von Forschungseinrichtungen und Industrie, um durch Ausgründungen Ideen schneller in marktfähige Produkte umzusetzen. Denn dass Deutschlands Nachwuchskräfte in den MINT-Bereichen international mehr als wettbewerbsfähig sind, steht außer Frage: Es fehlt an konsequenter Förderung und Finanzierung von Firmengründungen vor allem in den Bereichen, die die Arbeitswelt von morgen bestimmen werden – und das geht weit über den Finanzdienstleistungssektor hinaus.—-Das Interview führte Franz Công Bùi.Zuletzt erschienen: – Aufsichtsmetropole Frankfurt (1. August)- “Frankfurt ist nun mal eine hippe Stadt” (26. Juli)