Mensch gegen Maschine an der Wall Street
Die Aktienanalysten der Investmentbanken bekommen digitale Konkurrenz. Denn Software-Programme, die Aktien empfehlen, erwirtschaften höhere Renditen als traditionellen Analysten, zeigt eine Studie in den USA. Und das ist längst nicht der einzige Vorteil der neuen Robo-Analysten.Von Norbert Kuls, New YorkAn der Wall Street schreitet die Automatisierung des Geschäfts stetig voran. Privatanleger vertrauen von Computerprogrammen gesteuerten Vermögensverwaltern, den sogenannten Robo-Advisors, bereits Milliardensummen an. Auch automatische Aktienberichte sind längst üblich. Dazu nutzen einige Banken für ihre Analyseabteilungen Schreibsoftware, die Quartalszahlen von Unternehmen in lesbare Texte umwandelt. Analysten soll damit die Arbeit erleichtert werden.Aber auch die Aktienanalysten selbst bekommen Konkurrenz von Software-Programmen. Relativ junge Analysefirmen wie New Constructs, Price Target oder Rapid Ratings nutzen Computerlinguistik, maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz, um selbst Analysen und Empfehlungen zu Aktien zu erstellen. Im Jargon der Wall Street heißen diese Firmen Robo-Analysts.Menschliche Analysten müssen sich auf lange Sicht womöglich um ihre berufliche Zukunft Sorgen machen. Denn nach Erkenntnissen von Wirtschaftswissenschaftlern der Indiana University waren die Kaufempfehlungen der Analyse-Roboter in der Vergangenheit weitaus profitabler als die der menschlichen Konkurrenz. “Portfolios, die auf Basis der Kaufempfehlungen von Robo-Analysten geformt wurden, verdienten abnormale Renditen, die statistisch und wirtschaftlich relevant sind”, schreibt Kenneth Merkley, Professor für Rechnungswesen an der Indiana University in einer der ersten Studien, die Empfehlungen der Computer und der traditionellen Analysten vergleicht. Die Studie basierte auf rund 75 000 Empfehlungen, die in den vergangenen 15 Jahren von sieben prominenten Robo-Analysefirmen veröffentlicht wurden. Renditen klaffen auseinanderDie annualisierten Renditen der Robo-Empfehlungen beliefen sich demnach auf 6,4 % bis 6,9 %. Die Anlage-Portfolios klassischer Analysten entwickelten sich mit einer annualisierten Rendite von 1,2 % bis 1,7 % deutlich schwächer. Im Fall der Verkaufsempfehlungen gebe es allerdings keine Belege, dass die Ratschläge der Robos profitabler seien.Der Gründer von New Constructs, David Trainer, selbst ein ehemaliger Wall-Street-Analyst, hält die meisten traditionellen Analysen für zu oberflächlich, weil sie auf Schlagzeilen und Quartalsberichte fokussiert seien. Um die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens fundiert zu bewerten, müsse man die jährlichen und vierteljährlichen Finanzdokumente, die Unternehmen bei der Börsenaufsicht einreichen, “rigoros” untersuchen – inklusive der Fußnoten. “Die können bis zu 1 900 Seiten lang sein und sind gefüllt mit komplexer Buchhaltung und Juristenjargon”, sagt Trainer. Regulären Analysten fehle die Zeit, aber die Computerprogramme der Robos könnten in “die dunklen Ecken der Finanzdokumente” leuchten.Das führt nach Erkenntnissen von Merkley und seinen Mitautoren Braiden Coleman und Joseph Pacelli nicht nur zu unterschiedlichen Renditen. Die von Computerprogrammen erstellten Analysen werden häufiger überarbeitet und zudem ist die Verteilung der Empfehlungen – “Kaufen”, “Halten”, “Verkaufen” – bei den Robo-Analysten wesentlich ausgeglichener (siehe Grafik). “Das legt nahe, dass sie weniger von Verhaltensverzerrungen oder Interessenkonflikten abhängen”, schreiben die Autoren. Vor allem dürften Robo-Analysten weniger dem menschlichen “Hang zum Optimismus” unterliegen.Trotz der scharfen Regeln, die eine Unabhängigkeit von Analysten bei Wall-Street-Banken gewährleisten soll, steht immer die Gefahr von Interessenkonflikten im Raum. Die Branche ist für Interessenkonflikte sensibilisiert, seit Wall-Street-Häuser vor 15 Jahren deswegen ins Visier der Aufseher geraten waren und Milliardenstrafen zahlen mussten. Analysten war damals vorgeworfen worden, Anleger mit geschönten Aktienempfehlungen getäuscht zu haben, um für ihre Arbeitgeber Aufträge für Börsengänge oder Fusionsberatung zu generieren. Seither sind das Investment Banking und Analysesparte streng getrennt.Allzu kritische Analysten hatten aber auch nach dieser Reform immer wieder Schwierigkeiten, den als wichtig erachteten Zugang zur Geschäftsführung von Unternehmen zu bekommen. Bei Robo-Analysten stellt sich das Problem selbstredend nicht. Andererseits liegt nach Erkenntnissen der Studie darin auch ein potenzieller Nachteil der Software-Programme. “Robo-Analysten können wahrscheinlich weniger nichtfinanzielle oder subjektive Informationen in ihre Analyse aufnehmen”, schreiben die Autoren. Dazu gehören Informationen von Telefonkonferenzen oder persönliche Gespräche mit der Geschäftsführung. Außerdem können Robo-Analysten nicht so einfach spezialisierte Investorenkonferenzen organisieren oder für die institutionellen Anleger einen direkten Zugang zur Geschäftsführung der bewerteten Unternehmen vermitteln.Merkley rechnet daher nicht damit, dass traditionelle Analysten bei Wertpapierhäusern völlig aussterben werden. “Aber Aspekte ihrer Arbeit werden sich ändern. Ich glaube, dass selbst traditionelle Analysegesellschaften beginnen, eigene Formen von Robo-Analyse in ihr Geschäft zu integrieren”, sagte Merkley der Börsen-Zeitung.