Milde Strafen im Cum-ex-Prozess

M.M.Warburg muss 177 Mill. Euro zahlen - Verfahren nach 44 Verhandlungstagen im Eiltempo beendet

Milde Strafen im Cum-ex-Prozess

Der erste Cum-ex-Strafprozess ist wegen der Coronakrise abrupt zu Ende gegangen. Für die angeklagten ehemaligen Aktienhändler gab es angesichts ihrer umfassenden Aussagen und Hilfe bei der Aufklärung milde Strafen. Viele weitere Verfahren dürften folgen. Es gibt Hunderte Beschuldigte aus der gesamten Bankbranche.ak Bonn – Im ersten Strafprozess in Sachen Cum-ex ist das Urteil gefallen. Das Landgericht Bonn hat die beiden angeklagten früheren Händler der HypoVereinsbank zu Bewährungsstrafen verurteilt. Es befand den späteren Mitgründer der auf Cum-ex-Geschäfte spezialisierten Ballance-Gruppe Martin S. der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall für schuldig und verhängte ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung. Der ehemalige angestellte Trader Nick D. wurde wegen Beihilfe verurteilt. Beim Strafmaß folgte die 12. Strafkammer dem Antrag von Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, bei Nick D. ging sie mit einem Jahr auf Bewährung sogar um zwei Monate über die Forderung der Anklägerin hinaus. Martin S. muss außerdem 14 Mill. Euro an Cum-ex-Gewinnen zurückzahlen.Die Privatbank M.M.Warburg wird wegen ihrer Beteiligung an Cum-ex-Geschäften zur Kasse gebeten. Das Gericht setzte den Betrag, der wegen Eigenhandelsgeschäften in den Jahren 2007 bis 2011 eingezogen werden soll, auf fast 177 Mill. Euro fest. Das entspricht der maximal möglichen Summe.Warburg-Anwalt Christian Jehke hatte in seinem Plädoyer eine Einziehung abgelehnt und unter anderem auf Verjährung für die Geschäfte zwischen 2007 und 2009 gepocht. Allenfalls käme nach Abzug von Aufwendungen, zum Beispiel Zahlungen an Ballance Capital, höchstens eine Einziehung von rund 65 Mill. Euro in Betracht. Anfang der Woche waren die vier übrigen bisher am Verfahren beteiligten Kapitalanlagegesellschaften und Finanzinstitute Warburg Invest, Hansainvest, BNY Mellon und Société Générale aus dem Prozess entlassen worden, um das Verfahren zügig zu Ende zu bringen. Im Hauruck-VerfahrenDer viel beachtete Cum-ex-Prozess, der als richtungsweisend für viele noch anhängige Verfahren angesehen wird, ist damit im Galopp zu Ende gegangen. An einem einzigen Tag zog die 12. Strafkammer des Landgerichts Bonn die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigern sowie die Urteilsverkündung durch. Der Vorsitzende Richter Roland Zickler hatte eine Unterbrechung des Verfahrens angesichts der Coronakrise mit aller Macht verhindern wollen – obwohl das Bundesjustizministerium noch am Dienstag verlängerte Unterbrechungsfristen für Prozesse aufgrund der Pandemie angekündigt hatte. Der Abschluss des Verfahrens wurde damit zur Marathonsitzung. Mehr als zwölf Stunden – mit Pausen – tagte die Kammer am Mittwoch unter strengen Sicherheitsvorkehrungen mit beschränkter Zuschauerzahl und mit Sitzabständen.In ihrem Plädoyer hatte auch die Anklägerin, die Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, Bewährungsstrafen für die beiden Angeklagten gefordert. Martin S. als einer der zentralen Organisatoren habe sich der Steuerhinterziehung in 33 besonders schweren Fällen schuldig gemacht. Den gesamten Steuerschaden durch die Geschäfte hatte die Anklage auf rund 400 Mill. Euro beziffert. Für Nick D. sah sie Beihilfe zur schweren Steuerhinterziehung in neun Fällen als gegeben.Die gemessen am Steuerschaden milde Forderung begründete sie mit der umfassenden Aufklärungshilfe der Angeklagten. “Der größte Steuerraub der deutschen Geschichte war nicht nur die Sache von zwei Personen”, sagte Brorhilker. Sie sprach von einer “Hinterziehungsindustrie”. Ziel sei es, das System zu ermitteln und offenzulegen. Da bringe es nichts, zwei kooperative Täter als Sündenböcke abzustempeln und stellvertretend für andere zu verurteilen. Nicht ohne Grund gebe es die Kronzeugenregelung. Der Prozess und das Urteil seien Auftakt zur Aufarbeitung eines komplexen Problems. “Und dieses Problem ist noch lange nicht gelöst.”Die Verteidigung von S. hatte auf eine konkrete Strafforderung verzichtet. Beide Angeklagten betonten in ihren Schlussworten, dass sie sich mit ihrem heutigen Wissen niemals auf Cum-ex-Geschäfte eingelassen hätten. Die starke Medienpräsenz habe sie und ihre Familien sehr belastet. Für Martin S. und Nick D. ist das Kapitel Cum-ex mit dem Bonner Urteil aber noch nicht abgeschlossen. Auch in einem Verfahren vor dem Landgericht Wiesbaden gehörten sie zu den Beschuldigten. Der Prozess sollte eigentlich in diesen Wochen starten.Die strafrechtliche Aufarbeitung der jahrelangen Cum-ex-Geschäfte steht ohnehin erst am Anfang. Bei mindestens fünf Staatsanwaltschaften in Deutschland laufen Ermittlungsverfahren wegen der Aktienkreisgeschäfte rund um den Dividendenstichtag, bei denen die Rendite nicht aus Kursgewinnen, sondern durch die doppelte Rückerstattung nur einmal abgeführter Kapitalertragsteuer erzielt wurde. Es gibt Dutzende Verfahren und Hunderte Beschuldigte.