IM BLICKFELD

Mit den Risikomodellen bohrt die EZB ein sehr dickes Brett

Von Bernd Neubacher, Frankfurt Börsen-Zeitung, 27.8.2015 Mit ihrer Ankündigung, die bankinternen Risikomodelle der Banken zu durchleuchten und zu harmonisieren, haben sich die Aufseher der Europäischen Zentralbank (EZB) ein äußerst dickes Brett auf...

Mit den Risikomodellen bohrt die EZB ein sehr dickes Brett

Von Bernd Neubacher, FrankfurtMit ihrer Ankündigung, die bankinternen Risikomodelle der Banken zu durchleuchten und zu harmonisieren, haben sich die Aufseher der Europäischen Zentralbank (EZB) ein äußerst dickes Brett auf den Bohrtisch gelegt, wie sich immer deutlicher abzeichnet. Vor wenigen Tagen tauchten in der britischen Presse Ausschreibungsunterlagen auf, in welchen der bei der Notenbank angesiedelte einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM) für das Vorhaben eine Frist von vier Jahren nennt. Zunächst habe man die Überprüfung in ein oder zwei Jahren abschließen wollen, hieß es in der “Financial Times”.Da muss der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen sein. Im Interview der Börsen-Zeitung hatte EZB-Generaldirektor Korbinian Ibel schon Anfang Juni auf die Frage, wann dieser Prozess abgeschlossen sein werde, erklärt: “Es ist noch zu früh, einen Zeitpunkt zu nennen. Sicherlich handelt es sich um einen Prozess, der mehrere Jahre dauern wird.” Ehrgeiziges VorhabenAbseits der laufenden Aufsicht ist die Harmonisierung der bankinternen Modelle zur Berechnung von Risikoaktiva das wohl ehrgeizigste Vorhaben der europäischen Bankenaufseher. Anders als beim sogenannten Standardansatz, bei welchem Banken auch Bewertungen von Ratingagenturen einsetzen können, ermitteln sie beim Einsatz bankinterner Modelle die unterschiedlichen Risiko-Parameter zum Teil (Basis-IRB-Ansatz) oder vollständig (fortgeschrittener IRB-Ansatz) selbst. Die interne Kalkulation ist für Außenstehende intransparent, was Banken Anreize gibt, Risiken möglichst kleinzurechnen und damit Eigenkapital, mit dem diese Risiken zu unterlegen sind, zu sparen. Vor allem aber divergieren die Eigenkapitalunterlegungen für identische Risiken von Bank zu Bank deutlich, wie der Baseler Ausschuss der Bankenaufseher Ende 2013 nach vertiefter Prüfung der Handels- und Bankenbücher von 17 international aktiven Großbanken festgestellt hatte.Laut Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) besitzen derzeit 19 deutsche Institute die Erlaubnis, im Zuge des fortgeschrittenen IRB-Ansatzes Ausfallwahrscheinlichkeiten, Verlustquoten und Umrechnungsfaktoren für Risikopositionen gegenüber Zentralstaaten, Zentralbanken, Instituten und Unternehmen aufgrund bankinterner Beurteilungen zu schätzen (siehe Tabelle). Als systemrelevante Institute oder Tochter eines solchen stehen sie mit Ausnahme der BMW Bank, der Deutschen Pfandbriefbank, der KfW-Ipex, der Oldenburgischen Landesbank sowie der Toyota Kreditbank allesamt unter direkter Aufsicht der EZB. Schon die Baseler Aufseher empfahlen seinerzeit, die Bandbreite der Banken bei der Auswahl von Modellen einzuschränken und die aufsichtliche Praxis hinsichtlich der Genehmigung von Modellen weiter zu harmonisieren.Harmonisierung aber dauert. Derzeit vereinheitlichen Europas Bankenaufseher, nach welchen Kriterien interne Modelle genehmigt werden sollen. Auch wurden erste Modelle bereits geprüft. Nach Einschätzung der EZB hat ein Modell dabei umso mehr Sinn, je mehr Daten und Ausfallpunkte ihm zugrunde liegen. Dies spricht dafür, dass Retail-Modelle grundsätzlich Zukunft haben, Staatenmodelle mangels Ausfallpunkten wohl weniger. Eine hohe Anzahl von Datenpunkten spricht demnach grundsätzlich auch für Marktrisikomodelle, die bei deutschen Aufsehern schon einmal als anfällig für Fingereien gescholten wurden – so lange es nicht um exotische Produkte geht, für welche es an Input für das Schätzmodell mangelt. Der Blick geht nach BaselEine längere Dauer des Verfahrens soll dabei auch den Banken gerecht werden. Da die Kriterien für die Genehmigung bankinterner Modelle in den einzelnen Ländern nun einmal unterschiedlich seien, würde die EZB, falls sie alles nach den Kriterien eines Landes ausrichten würde, die Modelle aller anderen Länder zugleich automatisch abschalten, argumentiert ein Aufseher: “Das heißt, es muss einen Transmissionsmechanismus geben, eine Zeit, in welcher die Banken wissen, wohin die Kriterien gehen, und sich darauf vorbereiten, bevor sie scharf geschaltet werden. Deswegen gehen wir Stück für Stück vor und versuchen nicht, in einer Art Big Bang alles auf einmal zu lösen.”Nicht zuletzt gilt es, den Baseler Ausschuss im Blick zu behalten, der seinerseits gerade untersucht, welche Modelle Sinn haben und welche nicht. Warum soll die EZB sich mit Modellen herumschlagen, die Basel womöglich ohnehin abklemmt? Dabei verfolgen EZB und Basel unterschiedliche Ansätze, wie die Analysten von Barclays zu bedenken geben: Während die EZB die Situation durch eine Verbesserung der Risikomodelle zu lösen versuche, wolle der Baseler Ansatz die Anreize für Banken reduzieren, überhaupt interne Modelle einzusetzen. So arbeitet man in der Schweiz derzeit daran, den Standardansatz risikoempfindlicher zu gestalten sowie Untergrenzen für die Eigenkapitalunterlegung in bankinternen Modellen zu definieren. Würde das Baseler Konzept wie entworfen umgesetzt, könnte dies die harte Kernkapitalquote des Bankensektors Barclays zufolge um rund 290 Basispunkte verringern.Jede Verzögerung der Harmonisierung durch die EZB könnte, für Banken positiv interpretiert, dafür sorgen, dass sich auch die Baseler Initiative in die Länge ziehe, schreiben die Analysten. Vor allem französischen Banken käme dies zugute. Die vorsichtigere Deutung sei, dass Verzögerungen bei der EZB bloß bestätigten, wie nötig die Einführung von Untergrenzen für Risikogewichte sei.