Mühsam nährt sich Frankfurt
Wo bleiben die Möbelwagen aus London? Zwar wächst Frankfurt weiter um schätzungsweise 100 Menschen pro Woche – vor nicht allzu langer Zeit war die Zahl der Neuankömmlinge sogar dreimal so hoch -, doch der Ansturm der sehnsüchtig erwarteten Legionen von Brexit-Bankern scheint bisher eher Wunschdenken als Realität zu sein. Vielleicht ist es 20 Monate nach der Entscheidung der Briten für den EU-Austritt und angesichts recht ungeordnet verlaufender Verhandlungen zwischen London und Brüssel ja noch etwas früh für greifbare Ergebnisse in puncto Standortverlagerungen. So manifestiert sich die Aufbruchstimmung in der Mainmetropole denn vorerst mehr an den wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden schießenden neuen Büro-, Wohn- und Hoteltürmen als an Schlangen vor den Einwohnermeldeämtern. Mehr als ein Dutzend Hochhäuser wächst zurzeit in den Himmel über Frankfurt und bereichert die Skyline um neue architektonische Meisterwerke. In manchen haben sich durchaus auch Banken Etagen für ihre Expansion in der kontinentalen Finanzkapitale gesichert. Am nötigen Raum zum Arbeiten und, nimmt man das preiswertere Umland hinzu, auch zum bezahlbaren Leben wird Frankfurts Aufstieg in die absolute Königsklasse der globalen Finanzplätze (neben dem sich anbahnenden Vorrücken in die Champions League der Fußballclubs!) jedenfalls nicht scheitern.Es gibt also gute Gründe, die Entwicklung aus Sicht der 730 000 Einwohner und arbeitstäglich 350 000 Einpendler zählenden Eurocity zuversichtlich zu betrachten. Nach dem Urteil von Deutsche-Bank-Chef John Cryan war das Rennen eh für Frankfurt gelaufen, bevor es begonnen hatte, wie der Brite im September feststellte. Kein anderer Standort habe die Strukturen, um wirklich einen substanziellen Teil des Geschäfts aus London aufzunehmen. Die bei den diversen Frankfurt-Promotoren einlaufenden Erfolgsmeldungen scheinen diese Einschätzung zu bestätigen. Helaba-Chefvolkswirtin Gertrud Traud listet in ihrer “Brexit Map” aktuell 17 Banken von der Bank of Taiwan bis zu Südkoreas Woori Bank (aber auch namhaftere) auf, die Frankfurt auserkoren hätten und Jobs von der Themse an den Main verlagern oder hier neue Büros eröffnen wollten (vgl. Seite B 4 in der mit dieser Ausgabe erscheinenden Sonderbeilage “Finanzplatz Frankfurt”). Damit läge “Bankfurt” im Wettbewerb um die Ansiedlung von London-Abtrünnigen weit vor Konkurrenten wie Dublin oder Paris. Beim zweiten Hinsehen zeigt sich, dass viele Ankündigungen aus der Branche, soweit es überhaupt um nennenswerte Zahlen geht, äußerst vage sind, unter Vorbehalt stehen oder stark relativiert werden. Hatte Vorstandsmitglied Sylvie Matherat zuerst erklärt, bei der Deutschen Bank könnten bis zu 4 000 Stellen aus London abgezogen werden – fast die Hälfte der dortigen Belegschaft -, ließ der Kapitalmarktchef Deutschland, Stefan Hoops, nun verlauten, von einer Verlagerung wären “nicht Tausende, sondern eher Hunderte Mitarbeiter betroffen. Für den Finanzplatz Frankfurt heißt das, sich zu nähren wie das Eichhörnchen: mühsam.Erkennbar ist seitens der Banken ein Trend, Kapazitäten, die aus regulatorischen Gründen nach dem Brexit nicht in London zu halten sind, auf mehrere Stützpunkte auf dem Festland zu verteilen. Was schon insofern Sinn macht, als man ja nicht weiß, welches Land als nächstes die EU verlässt. Wer über eine Multipräsenz in Europa verfügt, muss nicht bei jedem Exit eine riesige Umzugsaktion starten. Unübersehbar ist zudem das Bemühen mancher Banken, Standorte gegeneinander auszuspielen und so Zugeständnisse herauszuholen. Die im Berliner Koalitionsvertrag vereinbarte Lockerung des Kündigungsschutzes für hoch bezahlte Risikoträger der Banken ist ein solches, in diesem Fall freilich sachlich gerechtfertigtes Entgegenkommen. Einen herben Rückschlag für Frankfurt stellt derweil die EU-Entscheidung vom November dar, die in London ansässige Regulierungsbehörde European Banking Authority (EBA) an Paris zu vergeben. Wenn auch am Schluss das Los (gegen Dublin) entschied: Hier hat die mit anderen Sondierungen beschäftigte geschäftsführende Bundesregierung durch ihren Schlendrian den deutschen Interessen geschadet. Und prompt nimmt jetzt die Diskussion über eine Entkopplung von EZB-Geldpolitik und EZB-Bankenaufsicht Fahrt auf. Wenn die neue Bundesregierung nicht mit Argusaugen aufpasst, greift sich Frankreich auch noch den Aufsichtsteil der Zentralbank. Dann fahren bald viele Möbelwagen von Frankfurt nach Paris. —-Von Bernd WittkowskiDer Brexit eröffnet Chancen für die Mainmetropole, aber viele Ankündigungen von Banken sind vage, stehen unter Vorbehalt oder werden stark relativiert.