Nachhaltigkeit als neue Kompetenz für Aufsichtsräte

Jeder Aufsichtsrat sollte zumindest um die Bedeutung des Themas wissen und die Grundzüge verstehen - Fester "Sustainability Expert" wäre wünschenswert

Nachhaltigkeit als neue Kompetenz für Aufsichtsräte

Die turbulente 2019er Hauptversammlung von Bayer hatte historische Dimensionen. Sie steht für einen Wendepunkt in der Aktionärskultur: Über die Hälfte der Anteilseigner ver-weigerte dem Vorstand um Werner Baumann die Entlastung. Zwar wurde der Aufsichtsrat entlastet, allerdings hatte ihm ein Drittel der Aktionäre das Misstrauen ausgesprochen. Ungewohnte Ergebnisse – nie zuvor hatte ein Dax-Konzern ein solches Misstrauensvotum hinnehmen müssen. Die Aktionäre brachten klar zum Ausdruck, dass sie mit der Übernahme des umstrittenen Saatgutherstellers Monsanto nicht einverstanden waren. Unüberhörbarer WarnschussZwar hatte das Votum zunächst einmal keine direkten Konsequenzen, trotzdem war es ein unüberhörbarer Warnschuss. Mit dem Monsanto-Desaster und dem daraus resultierenden Vertrauensverlust der Kapitalmärkte ist Bayer sicherlich ein Sonderfall. Nachhaltigkeitsaspekte wurden nicht ausreichend berücksichtigt und die Reputation von Bayer dadurch in Mitleidenschaft gezogen.Der Fall Bayer zeigt, dass die Kritik und das schlechte Abstimmungsverhalten nicht beim Vorstand Halt machen. Aufsichtsräte stehen ebenfalls zunehmend in der Kritik. Sie sind aufgefordert, stärker an den Vorstand heranzurücken und auch aktiver zu werden. Nicht nur beim Dialog mit Aktionären müssen Aufsichtsräte Farbe bekennen, sondern auch bei neueren Themen wie Nachhaltigkeit. Die besondere Herausforderung liegt in der mangelnden Erfahrung der meisten Aufsichtsräte. Für viele Aufsichtsräte liegt die aktive Managementzeit mehr oder weniger weit zurück. Zeiten, in denen weder nachhaltige Treiber diskutiert wurden, noch das Thema überhaupt eine Rolle spielte. Daher findet sich Nachhaltigkeit bisher in kaum einem Kompetenzprofil eines Aufsichtsrats wieder, ist aber in den meisten Unternehmen nicht mehr wegzudenken.Aufgrund der Vorgaben der CSR-Richtlinie (Corporate Social Responsibility), die seit dem Geschäftsjahr 2017 für die börsennotierten Unternehmen Anwendung findet, muss eine “nichtfinanzielle Erklärung” im Jahresabschluss auf Nachhaltigkeitsaspekte referenzieren. Bei den meisten Unternehmen befasst sich der Prüfungsausschuss im Aufsichtsrat damit. Der Aufsichtsrat ist gut beraten, zumindest eine “limited Assurance” seitens des Wirtschaftsprüfers über die Auswahl von Key Performance Indikatoren (KPIs) einzufordern, um die Haftungsfragen einzugrenzen. Aus Sicht von Investoren wäre die höherwertige Prüfung mit “reasonable Assurance” wünschenswert und würde ein positives Signal an den Kapitalmarkt senden, dass Nachhaltigkeit auch von diesem Kontrollgremium ernst genommen wird.Um der steigenden Bedeutung des Zukunftsthemas Nachhaltigkeit gerecht zu werden, sollte der Aufsichtsrat die Ressortverantwortlichkeit direkt beim Vorstandsvorsitzenden oder CEO ansiedeln. Nur wenn dieser die Inhalte kennt und verantwortet, werden Nachhaltigkeitsprozesse im Unternehmen angestoßen und umgesetzt. Nachhaltigkeit ist Führungsaufgabe und gehört klar kommuniziert: “Tone from the Top”. Dabei sollte der Vorstand die grundlegenden nachhaltigen KPIs definieren, die Zukunftsrelevanz für das Unternehmen haben. In den Auf-sichtsratssitzungen sollten diese KPIs in turnusgemäßer Abfolge hinterfragt und besprochen werden. Auch in den internen Kontrollsystemen muss Nachhaltigkeit ein fester Bestandteil werden und sich daher auch einer Qualitätssicherung durch Dritte unterziehen.Solange es noch keinen “nachhaltigen” Rechnungslegungsstandard gibt, ist eine integrierte Berichterstattung – also die Kombination aus Nachhaltigkeitsbetrachtung und Finanzberichterstattung – zu begrüßen. Aktionäre können durch diese integrierte Berichterstattung schnell einen Überblick über die finanziellen Folgen von nicht beachteten Nachhaltigkeitsaspekten gewinnen. Dabei wird schnell deutlich, wie sich eine steigende Anzahl von Betriebsunfällen auf die Personalkosten im Unternehmen auswirkt oder erhöhte Co2-Emissionen auf die Gewinn- und Verlustrechnung, wenn Co2-Rechte gekauft werden oder Strafzahlungen wegen zu hoher Co2-Werte geleistet werden müssen. Silodenken beseitigenEine integrierte Berichterstattung stellte die Verknüpfung von Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung her und würde das Silodenken in Unternehmen beseitigen. Viele Unternehmen stehen hier jedoch noch am Anfang. Denn um glaubwürdig zu sein und zielgerichtetes Handeln zu befördern, sollten nachhaltige KPIs zum Beispiel auch bei der Managementvergütung berücksichtigt werden, idealerweise als Teil der langfristigen Vergütung, da Nachhaltigkeit ihre volle Wirkung nicht nach Monaten, sondern eher nach Jahren entfaltet.Derzeit zeichnen sich eine Modellierung von Klimarisiken als nächste Stufe der Nachhaltigkeitsdebatte im Assetmanagement und damit Forderungen gegenüber den Unternehmen ab. Der regulatorische Druck auf Investoren und die nächste vermeintliche Regulierungswelle bei Unternehmen forcieren dies. Die 2015 gegründete “Task Force on Climate-related Financial Disclosure” (TCFD) hat Empfehlungen für die freiwillige klimabezogene Offenlegung finanzieller Risiken entwickelt, die von Unternehmen, Banken und Investoren zur Information ihrer jeweiligen Interessengruppen verwendet werden können.Die TCFD zielt auf eine zukunftsgerichtete Betrachtung mit einer dynamischen Komponente ab. TCFD kommt als Initiative aus dem G20 Financial Stability Board (FSB) nicht gerade überraschend. Die Mitursache ist die Trägheit der Unternehmensvertreter im Hinblick auf klimarelevante Fragen und entsprechende Anpassungen an das Geschäftsmodell. Diese Laissez-faire-Haltung der Vorstände und Aufsichtsräte wird zukünftig nicht mehr möglich sein. Zwar sind die TCFD-Vorgaben nicht verbindlich, aber Investoren werden über die Integration von Nachhaltigkeit in die Investmentprozesse diese zunehmend einfordern. Dabei werden nicht nur die besonders dem Klimawandel exponierten Branchen betrachtet, sondern alle Sektoren.Wie brisant das Co2-Thema ist, zeigt nicht zuletzt die massive Preisentwicklung bei Emissionsrechten, die zuletzt deutlich angezogen haben. Die Klimawandelrisiken weiterhin zu ignorieren, wäre unverantwortlich. Es ist vielmehr abzusehen, dass sich die diesbezügliche Regulierung in den kommenden Jahren deutlich verschärfen wird und die Unternehmen damit vor große Herausforderungen und hohe Implementierungskosten stellt. Daher werden Investoren zunehmend darauf achten, ob und wie TCFD, und damit auch für das Unternehmen materielle Klimaszenarien im Prüfungs-, Risiko-, oder Strategieausschuss, diskutiert werden.Wertschöpfungsketten, und damit Geschäftsmodelle, werden sich verändern oder obsolet werden. Dabei divergieren die Risikotypen. In den meisten Branchen dominieren die “Transitionsrisiken”, also klimabedingte Veränderungen auf Angebot und Nachfrage. Der besagte schleichende Veränderungsprozess und die Trägheit des Managements führen dabei häufig zu Kritik von Investoren und stellen ein großes Risiko dar. Aber auch die sogenannten “Physical Risks”, also der klimabedingte Einfluss auf Vermögenswerte, die Zuliefererkette oder den laufenden Betrieb von Anlagen, können Unternehmenserträge beeinflussen. Angesichts der Materialität von Klimarisiken und zunehmendem Regulierungsdruck werden Investoren sehr viel stärker Nachhaltigkeit in der Anlageentscheidung berücksichtigen. Zukünftig werden ganze Branchen abgestraft und andere aufgewertet, wenn sich durch den Klimawandel die Wertschöpfung verschiebt. Kritische Unternehmen werden künftig gemieden, und so wird Druck auf den Aktienkurs ausgeübt.Leider ist der Nachholbedarf beim Thema Nachhaltigkeit auf Aufsichtsratsebene immer noch immens: Die meisten Aufsichtsräte und viele Vorstände sind hier aktuell noch nicht auskunftsfähig. Doch Nachhaltigkeitsexpertise gehört unbedingt in den Aufsichtsrat, um eine sinnvolle Überwachung sicherzustellen und dem Vorstand ein adäquater Sparringspartner zu sein. Jeder Aufsichtsrat sollte daher zumindest um die Bedeutung des Themas wissen und die Grundzüge der Nachhaltigkeit verstehen. Wünschenswert wäre zudem ein fester “Sustainability Expert” ähnlich dem “Financial Expert”, um demnächst nicht nur auskunfts- sondern vor allem zukunftsfähig zu sein. Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment