Neue Basel-Regeln: Mehr Stabilität, weniger Kredite?
Ein Kernpunkt der kürzlich vorgestellten Pläne für das Basel-III-Regelwerk sind die gestiegenen Eigenkapitalanforderungen. Die Erhöhung des Eigenkapitals ist grundsätzlich gut. Dadurch können Banken Risiken besser absorbieren. Zudem haben Bankeigentümer nun schlichtweg mehr zu verlieren. Deswegen sinken für sie die Anreize, Risiken überhaupt einzugehen. Allerdings haben zwei Studien am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) gezeigt, dass bei der Umsetzung der schärferen Regeln mindestens zwei Probleme auftauchen können, die die gewünschten Effekte der Reformen konterkarieren könnten: Das erste Problem besteht darin, dass die Eigenkapitalanforderungen als Relation zwischen dem regulatorischen Eigenkapital und den risikogewichteten Vermögenswerten berechnet werden.
Die Idee der Reformen ist es, den Zähler dieser Relation zu erhöhen. Die Forschung zeigt jedoch, dass Banken es oft vorziehen, den Nenner zu reduzieren. Dies steigert ebenfalls die Eigenkapitalrelation. Die Bank erfüllt die Kapitalanforderungen so auch. Den Nenner der Relation zu reduzieren, heißt allerdings, das Kreditangebot zu verringern – insbesondere das Kreditangebot an risikoreichere Kreditnehmer. Diese müssen generell mit einem höheren zu unterlegenden Kapital versehen werden.
Kreditvergabe verknappt
In diesem Zusammenhang spielt auch der Umgang mit Krediten an Unternehmen, die kein Rating haben, eine große Rolle. Das betrifft mehr als 90% der Unternehmen in Deutschland und damit über 60% der Arbeitsplätze. Es ist zu erwarten, dass die Banken die verschärften Eigenkapitalanforderungen zumindest zum Teil über eine Abnahme des Kreditangebotes an kleinere und mittlere Unternehmen erfüllen werden. Schätzungen, die auf einer früheren Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen beruhen, ergeben Folgendes: Bei einer Erhöhung der Kapitalanforderungen von 1,9 Prozentpunkten haben die Banken ihre Kredite um 16% zurückgefahren, was zu weniger Beschäftigung, Investitionen und Wachstum der betroffenen Unternehmen geführt hat. Zudem fangen andere Banken das gesunkene Kreditangebot nicht auf. Insofern sind die Befürchtungen der Finanzbranche, dass durch die Reformen der dringend benötigte Finanzierungsrahmen für die Transformation der Wirtschaft und den europäischen Green Deal erheblich eingeschränkt werden könnte, berechtigt.
Die strengeren Regeln für interne Risikomodelle bei der Kalkulation des Eigenkapitalbedarfs würden diesen Effekt noch verstärken. Für die Risikokalkulation können Banken entweder Standardmodelle der Bankenaufseher nutzen oder eigene Modelle. Allerdings erlauben interne Modelle den Banken, ihre Risiken kleinzurechnen. Die Reform sieht deshalb vor, dass der Nutzen dieser internen Risikomodelle beschränkt werden soll: Der mit ihnen errechnete Kapitalbedarf darf maximal 27,5% unter dem Kapitalbedarf liegen (Output Floor), den das Standardverfahren vorhersieht. Dadurch steigen die effektiven Kapitalanforderungen noch mehr, insbesondere für große Banken. Insgesamt würde die Kombination von höheren Eigenkapitalanforderungen und strengeren Regeln bei der Risikoberechnung womöglich sogar zu einer noch stärkeren Reduktion des Kreditangebots führen.
Kommen wir zum zweiten Problem. Eine aktuelle IWH-Studie hat untersucht, inwieweit Banken ihr Eigenkapital manipulieren können und das auch tun, wenn sie mit höheren Eigenkapitalanforderungen konfrontiert werden. Die von der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) 2011 initiierten Kapitalerhöhungen bieten einen einzigartigen empirischen Rahmen, um das Zusammenspiel zwischen supranationalen Vorschriften und nationalem Ermessen zu untersuchen.
Manipulation denkbar
Die Möglichkeit der Manipulation entsteht aus der Tatsache, dass unter den Basel-III-Regeln einige Bestandteile des bilanzierten Eigenkapitals nicht als regulatorisches Kapital gelten dürfen. Das betrifft zum Beispiel die Goodwill-Positionen einer Bank. Diese Bestandteile werden vom bilanzierten Eigenkapital abgezogen, um das regulatorische Kapital zu berechnen. Banken nutzen diese Möglichkeit dazu, ihr regulatorisches Kapital zu erhöhen, ohne tatsächlich ihre Risikoabsorptionsfähigkeit zu erhöhen oder die Anreize der Eigentümer der Bank zu verändern. Banken „inflationieren“ also ihr regulatorisches Kapital, statt es tatsächlich zu erhöhen.
Diese Manipulation von regulatorischem Kapital geschieht mit dem stillschweigenden Einverständnis der Aufsichtsbehörde und ist dann stärker, wenn Banken in einem Umfeld operieren, das von einer unzureichenden Versorgung der Wirtschaft mit Krediten gekennzeichnet ist. Denn die nationalen Behörden könnten sich aus verschiedenen Gründen für eine nachsichtige Haltung gegenüber ihren inländischen Banken entscheiden und handeln aus einer anderen Motivation heraus als die übergeordnete Ebene: Sie könnten anfällig für regulatorische Vereinnahmung sein und dazu neigen, ihre nationalen Spitzenbanken zu sehr zu schonen. Sie könnten bestrebt sein, durch Bankenzusammenbrüche verursachte Störungen des Finanzsystems und der Realwirtschaft zu minimieren. Ihr Handeln könnte durch politische Erwägungen und den Wahlzyklus eingeschränkt sein, oder staatliche Eingriffe in den Bankensektor könnten aufgrund von Haushaltszwängen nicht durchführbar sein.
Die Bankenaufsicht hat trotz der internationalen Regeln noch immer einen großen Einfluss darauf, wie hoch das regulatorische Kapital, das Banken gegen Risiken vorhalten müssen, am Ende ist. Auch die überarbeiteten Regeln lassen noch großen Spielraum für diskretionäres Verhalten der Aufsicht. In den neuen Regeln wird zum Beispiel die Aufsicht dazu verpflichtet, zu prüfen, ob sie bestimmte individuelle Kapitalpuffer der Banken wieder senken können, weil andere Teile des Rahmenwerks für größere Sicherheit sorgen. Damit liegt es in der Verantwortung von Bankenaufsehern wie dem gemeinsamen Aufsichtsmechanismus bei der EZB, ob es im Gegenzug für die Verschärfungen an anderer Stelle Erleichterungen geben kann.
Erfolg des Regelwerks
Insgesamt ist es unstrittig, dass höhere Kapitalanforderungen im Prinzip zu einem stabileren Bankensystem führen. Allerdings ist der Widerstand der Banken gegen echte Erhöhungen des Eigenkapitals stark, da die Kosten – zum Beispiel durch Verwässerung der existierenden Aktionäre – hoch sind. Das führt dazu, dass die Banken versuchen, ohne Eigenkapitalerhöhungen die Anforderungen zu erfüllen. Dies wird oftmals von nationalen Aufsichtsbehörden unterstützt. Das führt einerseits dazu, dass die Sorge um ein reduziertes Kreditangebot gerade in Zeiten des strukturellen Umbruchs wahrscheinlich berechtigt ist. Andererseits führt es möglicherweise auch dazu, dass das Eigenkapital der Banken und damit die Stabilität des Bankensystems nicht in dem Maße zunimmt wie beabsichtigt. Trotzdem haben Banken im Vergleich mit der Zeit vor der Finanzkrise 2008/09 ihr Eigenkapital bereits deutlich erhöht, was man als Erfolg des Basel-Regelwerks bezeichnen kann.