Neue Managementansätze bei unberechenbaren Märkten gefragt
Die Entwicklungen an den Börsen vorherzusagen, ist seit jeher ein schwieriges Unterfangen und gelingt kaum jemandem treffsicher und vor allem dauerhaft. Den Analysten kann man dafür keinen Vorwurf machen. Ihre Analysen basieren auf theoretischen Zusammenhängen, die aufgrund notwendigerweise zu setzender Annahmen die Praxis nur unzureichend widerspiegeln. Ohne diese Annahmen wären jedoch die sehr komplexen Zusammenhänge globalisierter und eng vernetzter Volkswirtschaften gar nicht in theoretischen Modellen darstellbar.Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Analyse von Kapitalmärkten und die Ableitung von Anlageentscheidungen sind die Erfahrungen der Assetmanager. Wer schon einiges erlebt hat als Analyst oder Portfoliomanager, kann versuchen, Parallelen zu entdecken und aus vergangenen Entwicklungen Rückschlüsse für die Zukunft zu ziehen.Die letzten Jahre haben jedoch sowohl der Theorie als auch dem Erfahrungsschatz deutliche Grenzen aufgezeigt. Zeiten von ultraexpansiver Geldpolitik mit daraus resultierenden Null- und Negativzinsen und einem gleichzeitig überbordenden Einfluss politischer Themen auf die Börsen sind eben beispiellos. Wesentliche Faktoren der theoretischen Kapitalmarktanalyse sind die Existenz eines positiven risikolosen Zinssatzes und das Treffen von Anlageentscheidungen unter rein rationalen Gesichtspunkten (Homo oeconomicus). Auch die unter dem Begriff “Behavioral Finance” erarbeiteten Ansätze der Berücksichtigung verhaltenspsychologischer Aspekte können die Börsenentwicklungen nicht ausreichend erklären.Ein Beispiel: Wer hätte im Jahr 2016 gedacht, dass der Dax per saldo ein Plus von knapp 7 % aufzuweisen hat, nachdem der Index in den ersten sechs Wochen den schlechtesten Jahresstart seines Bestehens zu verzeichnen hatte? Und das obwohl der Brexit und Donald Trump als neuer US-Präsident Realität wurden. Auch die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe bei – 0,2 % p. a. im Sommer 2016 war wohl kaum erwartet worden. 2017 ähnliche DiskrepanzenDas Börsenjahr 2017 zeigt ähnliche Diskrepanzen zwischen der Prognosefähigkeit und den tatsächlichen Entwicklungen an den Börsen auf. Vor dem Hintergrund des Amtsbeginns des neuen US-Präsidenten Donald Trump im Januar, den in Europa anstehenden Wahlen in einigen Euro-Staaten und der Umsetzung des EU-Austrittsgesuchs Großbritanniens waren Kapitalmarktexperten nur verhalten optimistisch für Aktien und erwarteten einen schwachen Euro.Tatsächlich konnten jedoch sowohl globale Aktien als auch der Euro gegenüber dem US-Dollar in den letzten Monaten deutlich zulegen. Die Aussichten auf sinkende Unternehmenssteuern und staatlich finanzierte Ausgabenprogramme in den USA haben die Stimmungslage von Konsumenten und Unternehmen beflügelt und treiben damit die Dynamik der US-Ökonomie an. Die befürchteten negativen Auswirkungen auf die Schwellenländer durch protektionistische Tendenzen sind bisher nicht eingetreten. Auch in Europa deuten viele Frühindikatoren eine dynamische konjunkturelle Entwicklung an. Vor allem solche überzeugenden fundamentalen Nachrichten haben zum guten Jahresstart beigetragen. Hinzu kommt, dass die befürchteten politisch induzierten Turbulenzen in Europa bisher ausgeblieben sind. Noch mehr UnsicherheitSicher ist, dass uns der starke Einfluss (geld)politischer Aspekte vorerst erhalten bleibt. Global bestehen erhebliche geopolitische und aus protektionistischen Tendenzen resultierende Risiken. In Europa ist die Staatsschuldenkrise noch nicht gelöst. Trotzdem muss die ultraexpansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB ) früher oder später revidiert werden, womit ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor entsteht.Der Kapitalmarkt bleibt für viele Anleger – egal ob privat oder institutionell – unübersichtlich. Ausgerechnet in diesem Umfeld müssen sich risikosensitive Investoren aufgrund der Null- und Negativzinsen nun aber nach Diversifikationsmöglichkeiten und Alternativen zu verzinslichen Anlagen umschauen.Hier kommen aktive Vermögensverwalter ins Spiel. Sie ermöglichen zahlreichen Anlegern erst den Zugang zu risikoreicheren Investments wie Aktien, Rohstoffe oder Währungen. Aufgrund der diesen Anlagen inhärenten Risiken sind Buy-and-Hold-Strategien oftmals mit zu großen Schwankungen verbunden. Vorgegebene Risikobudgets würden schnell an ihre Grenzen stoßen. Private Anleger kämen in Situationen, in denen sie aufgrund der aufgelaufenen Buchverluste und gleichzeitig extrem negativer Berichterstattung der Medien im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr ruhig schlafen könnten. Wenn in dieser Situation Verluste realisiert werden, können diese in kommenden positiven Phasen nur schwer wieder aufgeholt werden.Daher bedarf es professioneller Anlagestrategien, die Risiken deutlich abmildern und trotzdem die Renditechancen nutzen, wenn sie sich ergeben. Allerdings müssen sich auch Assetmanager den veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Gefragt sind auf mehrere Anlageklassen anwendbare, schnell agierende, prognoseunabhängige und vor allem gegenüber veränderten Wirkungszusammenhängen an den Börsen sehr robuste Investmentprozesse. Nicht immer reproduzierbarSinnvolle Unterstützungen sind dabei Modelle und Regelwerke beziehungsweise quantitative Ansätze. Diese entsprechen jedoch nicht notwendigerweise den genannten Anforderungen. Neu entwickelte Strategien überzeugen oftmals durch gute Ergebnisse aus Rückrechnungen. In der Praxis sind diese jedoch nicht immer reproduzierbar. Fallstricke können beispielsweise höher als erwartete Handelskosten oder Strukturbrüche an den Kapitalmärkten sein.Ein gelungenes Beispiel für die Weiterentwicklung eines robusten und in der Praxis erprobten Managementansatzes ist die für ein Multi-Asset-Portfolio weiterentwickelte Best-of-Two-Strategie. Der Ansatz basiert auf der Ende der 70er-Jahre durch William Margrabe wissenschaftlich beschriebenen Austauschoption. Der Inhaber der Option hat am Ende des Betrachtungszeitraums die Auswahl zwischen der Wertentwicklung zweier zugrunde liegender Anlageklassen – in der Regel einem Aktien- und einem Renteninvestment. Zwar ist diese Option in der Praxis nicht erwerbbar, allerdings kann deren Auszahlungsprofil durch die Anwendung einer prozyklischen, auf der Optionsberechnung basierenden Strategie dupliziert werden.Der Vorteil der Strategie liegt in der deutlichen Begrenzung von größeren Verlustphasen bei gleichzeitiger Partizipation an positiven Kapitalmarktentwicklungen. Damit ist sie grundsätzlich ein geeigneter Lösungsansatz, um risikosensitiven Anlegern ein dauerhaftes Investment in risikoreicheren Anlageklassen zu ermöglichen. Eine weitere AdjustierungDie Anwendung des Ansatzes auf ein Multi-Asset-Portfolio bedarf jedoch einer weiteren Adjustierung. Eine Möglichkeit ist die Verbindung der praxiserprobten Best-of-Two-Strategie mit der Portfoliotheorie von Harry Markowitz. Für diese sind erwartete Renditen sowie die Varianz-/Kovarianz-Matrix zur Ermittlung des Risikoverhaltens der Anlagen untereinander notwendige Eingangsparameter. Um der Vorgabe der Prognoseunabhängigkeit gerecht zu werden, kann die erwartete Rendite durch die aus der Best-of-Two-Strategie ermittelte relative Attraktivität der betrachteten Anlagen ersetzt werden. Diesem ersten Optimierungsschritt folgt unter Zuhilfenahme der Risikokennzahlen die Berechnung optimaler Portfolien.Durch die ausschließlich quantitative Berechnung mit einer schon lange in der Praxis erfolgreich angewandten Strategie ist die notwendige Robustheit gegeben. Der prozyklische Charakter der Strategie schützt vor Strukturbrüchen. Sie basiert nicht auf Zusammenhängen zwischen verschiedenen Variablen, die möglicherweise zukünftig nicht mehr gelten, sondern betrachtet als Input ausschließlich die Wertentwicklung und die Risiken der Vergangenheit.Ein weiterer Vorteil ist, dass die Portfolien gemäß individueller Risikotragfähigkeiten adjustiert werden können. Beispielsweise kann man sich bei der Kalibrierung eines risikosensitiven Mandates an der Volatilität einer zehnjährigen Bundesanleihe orientieren (im langfristigen Mittel ca. 5 %). Abhängig davon kann ein breit über Anleihen, Aktien, Rohstoffe und Währungen diversifiziertes Portfolio eine Rendite in Höhe von ca. 3 % p. a. nach Kosten erreichen. Erste praktische Erfahrungen bestätigen die Ergebnisse der umfänglichen Rückrechnungen.—Carsten Mumm, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Privatbank Donner & Reuschel