GASTBEITRAG

Notenbank und Aufsicht - Totengräber der deutschen Banken

Börsen-Zeitung, 12.9.2015 Wurde nach der Finanzkrise 2007/2008 die Stabilität des deutschen Universalbanksystems hoch gelobt und auch von der Aufsicht eine besondere Krisenfestigkeit konstatiert, so äußert sich die Aufsicht heute sehr besorgt...

Notenbank und Aufsicht - Totengräber der deutschen Banken

Wurde nach der Finanzkrise 2007/2008 die Stabilität des deutschen Universalbanksystems hoch gelobt und auch von der Aufsicht eine besondere Krisenfestigkeit konstatiert, so äußert sich die Aufsicht heute sehr besorgt hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit der Geschäftsmodelle. Und je länger die Niedrigzinspolitik der EZB anhält, desto deutlicher zeigt sich die dramatische Gefährdung der Existenz von Kreditinstituten.Es könnte argumentiert werden, es gehöre nun einmal zum Strukturwandel einer Wettbewerbswirtschaft, dass Branchen, deren Produkte und Leistungen nicht mehr nachgefragt und durch neue ersetzt werden, vom Markt verschwinden müssen. Allerdings muss dem zum einen entgegengehalten werden, dass nicht die Gefährdung der Branche aus Wettbewerbsgründen betrachtet wird – die natürlich in besonderer Weise auch besteht -, sondern nachstehend diejenige, welche durch den wirtschaftspolitischen Eingriff über die Geldpolitik verursacht wird. Schließlich wurde bisher in Theorie und Praxis der Bankenbranche eine besondere Rolle in einer Volkswirtschaft zugeschrieben (vgl. auch die Argumentation für die Bankenrettung durch staatliche Maßnahmen im Rahmen der Bankenkrise). Unverzichtbare FunktionenTrotz dramatischer Fehlentwicklungen in den Banken nahezu aller westlichen Länder, die in der sogenannten Finanzkrise 2007/2008 sichtbar wurden, erfüllen Kreditinstitute in Volkswirtschaften unbestritten wichtige Funktionen. So bieten sie die Abwicklung eines nationalen und internationalen Zahlungsverkehrs an, erfüllen die sogenannten Transformationsfunktionen bei Laufzeiten, Größenklassen und unterschiedlichen Risikokategorien. Sie ermöglichen dem Sparer eine Wertaufbewahrung kleiner Beträge mit von ihm präferierten kurzen Laufzeiten und geringstem Risiko und bündeln diese Beträge zu größeren Summen, um sie Kreditnachfragern in längeren Laufzeiten und mit anderen Risiken zur Verfügung zu stellen.Wie für alle Wirtschaftsunternehmen, so gilt auch für Banken, dass sie diese Leistungen dauerhaft nur anbieten können, wenn sie entsprechende Erlöse dafür erzielen können. Diese sind für viele Bankleistungen offensichtlich, so z. B. für die Zurverfügungstellung des Zahlungsverkehrs als Kontoführungsgebühr oder auch Buchungspostengebühr, bei Krediten eine je nach Risiko variierende Risikoprämie sowie Bearbeitungsgebühren oder sogenannte Provisionen für die Durchführung von Wertpapiertransaktionen. Als Provisionsergebnis macht diese Erfolgsquelle allerdings nur etwas mehr als 20 % des Zinsüberschusses als wichtigster Ertragsgröße aus, und knapp die Hälfte des Provisionsergebnisses kommt aus dem Zahlungsverkehr. Ergebnismechanik verstehenIm Unterschied zur Entstehung des Provisionsergebnisses wird die Erfüllung der Laufzeiten-, Größenklassen- und Risikotransformation nicht nach Einzeltransaktionen vergütet, sondern sie findet sich als Differenz zwischen den Zinserträgen und Zinsaufwendungen der Banken im Zinsüberschuss wieder. Während die transaktionsbezogenen Erlöse weitgehend als unabhängig von der Höhe des Zinsniveaus angesehen werden können, liegt die Annahme nahe, dass der Zinsüberschuss mit der Höhe des Zinsniveaus schwankt. Deswegen stellt sich die Frage, was mit der wichtigsten Erfolgsquelle – immerhin rund 75 % der Gesamterträge – der deutschen Kreditinstitute geschieht, wenn die Zentralbank eine Niedrigzins- bzw. Nullzinspolitik über lange Zeit betreibt.Auch wenn sich die Deutsche Bundesbank jährlich einmal intensiv mit der Ergebnisentwicklung der deutschen Kreditinstitute in einer Veröffentlichung beschäftigt, ist über die Erfolgsquellen innerhalb des Zinsüberschusses wenig bekannt. Eine Sonderveröffentlichung aus dem Forschungszentrum der Bundesbank gibt hinsichtlich der Frage der Zinsniveauabhängigkeit der Bestandteile des Zinsüberschusses gleichfalls keine Aufklärung.Sie beruht nicht auf langen Datenreihen der Kreditwirtschaft, sondern beinhaltet in großen Teilen nur Schätzungen über die Ergebniszusammensetzung. Interessant ist allerdings, dass diese Forschungsgruppe es für plausibel hält, dass rund 47 % des Zinsüberschusses aus der Erfüllung der Zahlungsverkehrs- und Liquiditätsfunktion, circa 35 % aus der Übernahme der Fristentransformation und “nur” 16 % aus der Übernahme des Kreditrisikos kommen. Ohne eine Kenntnis der tatsächlichen Ergebnistreiber ist aber eine Aussage über die Auswirkungen einer lang anhaltenden Nullzinspolitik nicht möglich. Gefährdung durch NullzinsAuskunft darüber geben die von den Banken selbst entwickelten Informationssysteme zur Steuerung des Bankgeschäftes. Zwar finden sich dazu in den Jahresabschlüssen der Banken und in offiziellen Statistiken kaum Informationen, so dass auf einzelne Studien und Schätzungen zurückgegriffen werden muss, jedoch dürften folgende Aussagen als ziemlich zuverlässig gelten: In vielen Banken erwirtschaftet das Kundengeschäft nach Abzug der Kosten keinen positiven Deckungsbeitrag, sondern ein insgesamt positives Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit kann nur durch andere Erfolgsquellen erreicht werden. Andere Erfolgsquellen der Banken sind eine bewusst erhöhte Fristentransformation, die über die mit dem Kundengeschäft verbundene hinausgeht und die nichts anderes als eine “makroökonomische Wette auf den Zins” ist. Deshalb ist die Wissenschaft auch der Meinung, dass diese Zinsänderungsrisiken von den Banken zur Erfüllung ihrer volkswirtschaftlichen Aufgaben gar nicht zu übernehmen wären.Weiterhin legen Banken im Eigengeschäft ihr eigenes Vermögen in Investitionen am Geld- und Kapitalmarkt an und generieren daraus zusätzliche Erträge.Die Bedrohung des Ergebnisses der Branche wird somit deutlich:- Da Nullzinsniveau und fehlende Unterschiede in den Zinssätzen unterschiedlicher Laufzeiten kaum noch die bisher im Zinsüberschuss liegenden Erträge zulassen, wird dieser stark abnehmen. Es fällt auch der Vorteil der unverzinslichen Guthaben auf den Girokonten weg, da eine Verwendung dieser Mittel im Nullzinsumfeld kaum zinsbringend möglich ist. Dieser heute noch vorhandene Ertragsanteil am Zinsüberschuss in Höhe von circa 40 % dürfte bei anhaltender Niedrigzinspolitik bis zum Jahr 2018 verschwunden sein!- In den übrigen Erfolgsquellen wie der über das Kundengeschäft hinausgehenden Fristentransformation und der Anlage des eigenen Vermögens wird mit Auslaufen der höher verzinslichen Anlagen die Performance auf dieser Position gleichfalls gegen null gehen. Auch hier dürfte ein Ertragsbeitrag zum Zinsüberschuss von circa 25 % verloren gehen.Dies würde bedeuten, dass circa die Hälfte des gesamten Zinsergebnisses in den nächsten drei bis fünf Jahren verloren geht. Eine Kompensation eines Ertragsausfalls in dieser Größenordnung ist durch Volumenausweitung und Margenverbesserung im Kreditgeschäft sowie noch so ehrgeizige Kostensenkungsprogramme nicht zu erreichen. Eine Verbesserung der Performance der Eigeneinlagen lässt sich nur durch das Eingehen von Investitionen mit deutlich höheren Risiken realisieren, dem das Aufsichtsrecht durch risikoabhängige Eigenkapitalanforderungen jedoch enge Grenzen gesetzt hat. Falsches ParadigmaKonsequenz wird sein, dass die von der Politik immer wieder als Stabilitätsfaktor und unverzichtbarer Wirtschaftssektor gelobte Drei-Säulen-Struktur des deutschen Bankensystems allein durch den Einfluss der Geldpolitik der Vergangenheit angehören wird. Vor diesem Hintergrund klingen die Aussagen der Aufsicht in den Ohren der Betroffenen wie Hohn: In einer von der Notenbank mit ihrer Geldpolitik herbeigeführten Niedrig- oder besser Nullzinsphase stellt die gleiche Institution – nun als Aufsichtsbehörde – die Frage, ob die Geschäftsmodelle der bisher in einer Wettbewerbswirtschaft agierenden Banken noch angemessen sind, wenn der Zins als Preismechanismus durch ebendiese Politik außer Kraft gesetzt ist. Und die Aussage der Chefin des Einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus (SSM), Danièle Nouy (“Allein wegen niedriger Zinsen ist keine Bank in Not”) zeugt entweder von einer Unkenntnis der Erfolgsquellen des Bankgeschäfts und der Wirkung der Geldpolitik auf die Erfolgsquellen der Banken oder von einer verdeckten Agenda zur Strukturpolitik im Bankensystem durch Geldpolitik und Aufsicht – die ja heute durch eine Institution betrieben werden. Insgesamt ist dies eine säkulare Bedrohung für das Bankensystem, da es hier nicht um eine starke Ergebnisreduktion geht, sondern um eine Gefährdung von 50 % der Erträge im Zinsüberschuss. Der Einbruch der Ergebnisse wird weit dramatischer sein.—-Johann Rudolf Flesch, Geschäftsführer Die Einfache Bank – Beratungsgesellschaft, Hannover