GASTBEITRAG

Nur wenige Versicherer weisen systemische Risiken auf

Börsen-Zeitung, 17.12.2016 In der Finanzmarktkrise stand neben vielen Banken auch eine große Versicherungsgesellschaft im Zentrum des Bebens. Daher rückte eine mögliche systemische Bedeutung des Versicherungssektors in den Fokus der...

Nur wenige Versicherer weisen systemische Risiken auf

In der Finanzmarktkrise stand neben vielen Banken auch eine große Versicherungsgesellschaft im Zentrum des Bebens. Daher rückte eine mögliche systemische Bedeutung des Versicherungssektors in den Fokus der Regulierungsbehörden. Entsprechend hat der Financial Stability Board (FSB) bereits 2013 eine erste Liste global systemrelevanter Versicherungen (G-SIIs) publiziert. Auf der aktuellen Liste befindet sich beispielsweise die Allianz, nicht aber die Munich Re, wie auch bislang keine andere Rückversicherung. G-SIIs sollen höhere Kapitalanforderungen und die Verpflichtung zur Aufstellung von Sanierungs- und Abwicklungsplänen erfüllen. Umstrittene FrageDie Frage, ob Versicherungen tatsächlich ein nennenswertes systemisches Risiko darstellen, ist umstritten. Man kann zunächst die Analogie zum Bankensektor betrachten. Banken stellen aus drei miteinander verknüpften Gründen ein systemisches Risiko dar. Erstens betreiben sie Liquiditäts- und Fristentransformation, wodurch sie im Krisenfall ihre Finanzierungsbasis verlieren können (Run-Problematik). Zweitens kann der Zusammenbruch einer Bank wegen der wechselseitigen Abhängigkeiten über den Interbanken- und Derivatemarkt (Interkonnektivität) zu einem Dominoeffekt führen. Und drittens würde die dann auftretende Bankenkrise die Finanzierung des realen Sektors erheblich beeinträchtigen (Externalität) und damit einen kräftigen wirtschaftlichen Abschwung einleiten.Es ist keineswegs offensichtlich, dass sich für Versicherungen eine ähnlich stringente Argumentationskette aufbauen lässt. So sind die Verbindlichkeiten von Versicherungen weit weniger liquide und viel langfristiger als bei Banken. Einen Run auf Versicherungen kann man sich kaum vorstellen, und er wäre, wenn überhaupt, wohl nur bei Lebensversicherungen denkbar. Auch Interkonnektivität ist bei weitem weniger evident. Entstehen kann diese allenfalls durch das Rückversicherungsgeschäft und die Anlageverwaltung oder durch den Einsatz von Derivaten. Letzteres dürfte vor allem bei Anleiheversicherungen (Monolinern) auftreten.Hingegen kann die Problematik negativer Externalitäten einer Krise des Versicherungssektors nicht von der Hand gewiesen werden. Dies liegt vor allem an jenem Teil des Versicherungssektors, der eine wichtige Rolle in der Finanzierung des realen Sektors übernimmt. Hierzu gehören die Lebens- und Anleiheversicherungen sowie in gewissem Umfang auch die Rückversicherungen. Dabei spielt es nur eine sekundäre Rolle, dass diese Finanzierungsfunktion teilweise direkt, über die Anleihe- und Aktienmärkte, und teilweise indirekt, über die Finanzierung des Banken- und Staatssektors, ausgeübt wird. Hinzu kommt, dass mit dem Vordringen der Versicherungen in traditionelles Bankgeschäft diese Finanzierungsfunktion an Bedeutung gewinnt.Kurzum: Diese theoretischen Überlegungen zeigen, dass es gute Gründe gibt, den Versicherungen eine geringere systemische Bedeutung beizumessen als den Banken. Gleichzeitig kann sie aber auch nicht völlig bestritten werden. Daher muss man letztlich unter empirischen Gesichtspunkten entscheiden, ob, und falls ja, in welchem Umfang und aus welchen Gründen eine solche systemische Bedeutung vorliegt. Erkenntnisse übertragenHierzu gibt es in der akademischen Literatur auch erste Ansätze. Ein wichtiger Literaturstrang übernimmt dabei Ansätze, die bei der Messung des systemischen Risikos von Banken eingesetzt werden, und überträgt diese auf den Versicherungssektor.Im Kern geht es um die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein systemisches Ereignis eintritt und welchen erwarteten Vermögensverlust für die Gläubiger dieses verursacht. Ein kondensiertes Maß für beide Größen ist die Höhe der Versicherungsprämie, die der Finanzsektor bezahlen müsste, um sich gegen diesen Vermögensverlust abzusichern.Der systemische Risikobeitrag eines einzelnen Finanzinstituts kann dann durch die von ihm zu zahlende Versicherungsprämie gemessen werden. Diese hypothetischen Versicherungsprämien können durch Verwendung der Spreads von Credit Default Swaps, in denen sowohl die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Finanzinstituts als auch dessen Abhängigkeit vom gesamten Finanzsektor zum Ausdruck kommt, bewertet werden.In einer von uns auf dieser methodischen Grundlage durchgeführten Studie* kommen wir zu dem Ergebnis, dass der weltweite Versicherungssektor selbst während der Finanzmarkt- und Staatsverschuldungskrise im Durchschnitt für weniger als ein Zehntel des systemischen Risikos des Finanzsektors verantwortlich war.Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass es einzelne Versicherungen gibt, deren systemisches Risiko durchaus mit jenem von großen Banken vergleichbar ist. Jedenfalls finden wir unter den Finanzinstituten mit dem höchsten systemischen Risiko neben zahlreichen Banken auch einige wenige Lebens- und Globalversicherungen und in seltenen Fällen auch Rückversicherungen.Die Ergebnisse decken sich mit der Einschätzung, dass das systemische Risiko des Versicherungssektors keineswegs offensichtlich ist. Bei vielen typischen Geschäftsfeldern von Versicherungen, etwa Sach- oder Unfallversicherungen, ist ein systemisches Risiko kaum denkbar. Dies dürfte auch der Grund sein, warum vom Versicherungssektor als Ganzes nur ein geringes systemisches Risiko ausgeht. Bei jenen Versicherungsaktivitäten allerdings, bei denen Interkonnektivität und Externalitäten hoch sein könnten, wie Lebens- und zum Teil auch Rückversicherungen, ist durchaus ein nennenswertes systemisches Risiko festzustellen. Geschäftliche AktivitätenUnter diesem Gesichtspunkt müsste ein differenzierender regulatorischer Ansatz weniger einzelne Versicherungsgruppen an sich als vielmehr die jeweiligen geschäftlichen Aktivitäten im Auge haben. Dort, wo diese Aktivitäten systemische Risiken erzeugen, mag ein regulatorischer Eingriff gerechtfertigt sein. Für jenen Teil der Aktivitäten, für die sich ein solches Risiko nicht begründen lässt, ist er es aber nicht. Die jüngste Untersuchung eines aktivitätsbasierten Ansatzes durch die International Association of Insurance Supervisors (IAIS) ist daher zu begrüßen.Die Fokussierung auf neun sogenannte G-SIIs, wie sie derzeit vom FSB angewandt wird, ist hingegen wenig überzeugend.—-Kaserer/Klein (2016): Systemic Risk in Financial Markets: How systemically important are Insurers? Working Paper, Technische Universität München, verfügbar unter https://ssrn.com/abstract=2786947. —-Christoph Kaserer, Inhaber Lehrstuhl für Finanzmanagement und Kapitalmärkte an der TU München —-Christian Klein, Doktorand am Lehrstuhl für Finanzmanagement und Kapitalmärkte an der TU München