ESG

Ohne Nachhaltigkeits­richtlinie geht nichts mehr

Laut einer Umfrage dürften es nicht nachhaltige Emittenten bald schwer haben, in Europa Wertpapiere zu platzieren: Neun von zehn Institutionellen auf dem Kontinent haben sich inzwischen ESG-Vorgaben gegeben.

Ohne Nachhaltigkeits­richtlinie geht nichts mehr

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

In Europa dürften nicht nachhaltige Emittenten es künftig schwer haben, ihre Wertpapiere noch unter die Anleger zu bringen. Denn nach einer Umfrage von HSBC haben sich inzwischen 91% der europäischen Investoren Richtlinien für verantwortliche Anlagen oder für Themen rund um Umwelt, Soziales und Governance (ESG) gegeben. Dies ist rund das Doppelte des Vorjahreswertes von 46%. Von den verbliebenen 9% der Befragten in Europa ohne Richtlinie gibt wiederum eine breite Mehrheit an, entsprechende Vorgaben erarbeiten zu wollen. Damit liegt Europa an der Spitze beim Megatrend Nachhaltigkeit. In Amerika, in Asien sowie im Nahen Osten und der Türkei spielen ESG-Aspekte jeweils eine deutlich kleinere Rolle bei Anlageentscheidungen von Investoren (siehe Grafik).

Europa liegt weit vorne

Im globalen Vergleich vorne liegen in Sachen ESG zugleich auch die Emittenten Europas: 24% der hier ansässigen Unternehmen, die sich auf den globalen Kapitalmärkten finanzieren, haben sich mit Blick auf ihren Ausstoß an CO2 bereits dem Nettonullziel verpflichtet, weltweit sind es erst 16%. Bei den Investoren sind es europaweit 39% und global 17%, wie die jährliche Umfrage „HSBC Sustainable Financing and Investing Survey“ 2021 zeigt.  Zudem geben der weltweiten Erhebung unter je 1000 Emittenten und institutionellen Anlegern zufolge 71% der Emittenten in Europa an, dass sie eine Reduktion von bzw. einen Rückzug aus einigen Ge­schäfts­akti­vitäten erwägen, die anfällig für die Folgen des Klimawandels sein könnten. Nirgends auf der Erde sei dieser Prozentsatz höher, berichtet HSBC.

Allerdings sind Nachhaltigkeit und ESG nach wie vor dehnbare Begriffe, die Interpretationen zulassen und Veränderungen größer erscheinen lassen können, als sie sind. So zeigte vor wenigen Tagen eine von der Pariser Elite-Wirtschaftshochschule Ed­hec erarbeitete Studie, dass die überwiegende Mehrheit der Fonds, die sich eine Netto-Nullemissions-Anlagestrategie auf die Fahnen ge­schrieben haben, sich von gängigen Benchmarks wie dem S&P 500 kaum unterscheiden – 88% der Faktoren, von denen sich ein Klimafonds leiten lässt, sind demnach die gleichen, die hinter jeder nicht grünen Anlage stehen (vgl. BZ vom 13. September).

Zugleich bestätigt auch die Untersuchung im Auftrag von HSBC, dass der auf ESG-Belangen liegende Fokus umso schneller abnimmt, je kleiner ein Emittent oder Investor ist. So bezeichnen unter den Investoren mit einem verwalteten Vermögen von jeweils über umgerechnet 25 Mrd. Dollar und von den Emittenten mit einem Umsatz ab 10 Mrd. Dollar weltweit jeweils gut 70% Umwelt- und soziale Aspekte als „sehr wichtig“ – bei den Befragten mit weniger als 1 Mrd. Dollar an verwalteten Mitteln bzw. mit bis zu 250 Mill. Dollar Umsatz ist es gerade einmal jeweils die Hälfte. In der Erhebung von HSBC machten Unternehmen mit Um­sätzen unter 250 Mill. Dollar nur 12,5% der Befragten aus.

Wie die weltweite Untersuchung ferner zutage fördert, ist in Amerika der Anteil jener Anleger am höchsten, die Greenwashing als ein ernstes Problem betrachten. Dies könnte daran liegen, dass in Europa stärker reguliert worden ist als andernorts. Auch wenn sich EU-weit noch kein Konsens gebildet hat, wie eine Taxonomie nachhaltiger Anlagen mit Blick auf den Klimawandel aussehen soll, sind die Arbeiten in Europa doch schon weiter vorangeschritten als in den USA, deren US-Wertpapieraufsichtsbehörde SEC erst eine Konsultation gestartet hat, die bis Jahresende in einer Einführung neuer klimarelevanter Publikationspflichten münden dürfte. „In der Regulierung hat die EU den Goldstandard ge­schaffen“, sagte kürzlich Chuka Umunna, ESG-Head bei J.P. Morgan in Europa, dem Nahen Osten und Afrika (vgl. BZ vom 9. September).

Weltweiter Konsens

Konsens besteht derweil bei Emittenten weltweit in der Ankündigung, in den kommenden fünf Jahren das Geschäftsmodell zu transformieren und Abstand von ökologisch und sozial problematischen Aktivitäten zu nehmen. Zugleich bekunden 68% der in die Studie einbezogenen europäischen Unternehmen, sie könnten sich vorstellen, Geschäftsbereiche zu schaffen oder auszubauen, die vom Klimawandel profitieren. 

Die Untersuchung lässt auch darauf schließen, dass sich die oft als mangelhaft beklagte ESG-Datenlage allmählich verbessert. Denn im Vergleich zu 2020 hat der Anteil jener Befragten abgenommen, die in einem mangelnden Datenbestand ein Hemmnis für ein stärkeres ESG-Engagement sehen. Als in ihrem Ausmaß gewachsene Hürden erachten sie nun vielmehr verstärkt die Regulierung sowie einen Engpass an entsprechender ESG-Expertise und -Personal.