"Ökosystem" London in Gefahr
Mit Elisabeth Corley, Douglas Flint und Alex Wilmot-Sitwell haben gleich drei Vertreter weltweit tätiger Finanzdienstleister vor einer Fragmentierung des europäischen Markts nach dem Brexit gewarnt. Es drohten höhere Kosten, mehr Komplexität und größere Risiken – nicht für die Banken, sondern für die Kunden.Von Andreas Hippin, LondonFührende Vertreter der globalen Finanzindustrie haben in einer Anhörung des britischen Oberhauses ihrer Sorge um den Erhalt ihres Londoner “Ökosystems” nach dem Austritt aus der EU Ausdruck verliehen. “Im Moment profitieren die Kunden davon, alles an einem Ort zusammenführen zu können”, sagte Douglas Flint, Group Chairman von HSBC. Die Konzentration von Risiken ermögliche deren Verrechnung. “Gäbe es Restriktionen, wie etwa, dass man europäische Gelder nicht mehr verwalten kann, wenn man in London sitzt, wäre das so ziemlich die Umkehr dessen, wohin sich die weltweiten Finanzmärkte in den vergangenen 30 Jahren entwickelt haben”, sagte Elisabeth Corley, Vice Chair von Allianz Global Investors.”Die Infrastruktur steht im Zentrum des Finanzsystems”, sagte Flint. Komme es zu einer Fragmentierung, werde eine weitere Ebene eingezogen, die Kosten, Komplexität und Risiko des Geschäfts erhöhe. “Das würde alles hinfällig machen, woran man in den acht Jahren seit Beginn der Finanzkrise gearbeitet hat”, sagte Flint. Man könne die City of London an keinem anderen Ort replizieren. “Wenn man sicherstellen will, dass es während der Übergangszeit in Europa weder in Sachen Beschäftigung noch bei der wirtschaftlichen Aktivität zu Verwerfungen kommt, muss es eine sehr offene Diskussion geben.” Er hoffe, dass sich seine Kunden in dieser Debatte zu Wort melden. “Kein Lego-Modell”Der Finanzmarkt sei “kein Lego-Modell”, wo man an einer Stelle ein paar Steine wegnehmen und anderenorts wieder aufbauen könne, sagte Alex Wilmot-Sitwell, der für Europa, Afrika und Nahost zuständige Präsident von BoA Merrill Lynch International. Eine der größten Herausforderungen für Europa sei, dass es mit globalen Märkten im Wettbewerb stehe. Natürlich könne man Euro-Clearing auch woanders machen. Aber das sei weniger effizient und bringe höhere Kosten und Risiken. Das Devisengeschäft sei “wie Wal-Mart”. Es gehe darum, so viel Masse wie möglich durch die Pipeline zu drücken. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Euro-Handel in Großbritannien mehr als verfünffacht. Er macht gut zwei Fünftel des weltweiten Handels mit der Währung aus.Die Branche hofft, dass ihr eine möglichst breite Brücke in die Zukunft jenseits der EU gebaut wird. Für einen erfolgreichen Übergang sei von entscheidender Bedeutung, dass “die Brücke lang genug ist”, sagte Wilmot-Sitwell, der einst mit Carsten Kengeter die Investmentbank der UBS führte. Wenn sie das nicht sei, drohten enorme Risiken. “Atommüll verlagert man auch nicht in großer Eile.” Wenn man richtig damit umgehe, sei er aber völlig sicher. Die vorgesehenen zwei Jahre vom Zeitpunkt der Inanspruchnahme von Artikel 50 des Vertrags von Lissabon bis zum Verlassen der Staatengemeinschaft seien “einfach nicht lang genug”. Nach Abschluss der Verhandlungen bedürfe es weiterer zwei oder drei Jahre, um die Ergebnisse umzusetzen. Corley sprach gleich von mehreren Übergangszeiträumen. Äquivalenz der Finanzaufsicht sei ein schwieriges Konzept, wenn man nicht wisse, wie künftig mit Veränderungen umgegangen werden soll, sagte Flint. Wilmot-Sitwell hofft, dass es in irgendeiner Form eine gemeinsame Verantwortung für die Weiterentwicklung der Regulierung geben wird. “Business as usual”Nachdem sich die Mehrheit der britischen Wahlberechtigten am 23. Juni für den Ausstieg aus der EU entschieden hatte, waren die unmittelbaren Auswirkungen begrenzt. “Viele unserer Kunden sind gelassen”, sagte Corley. “Sie sehen sich an, wie die Folgen aussehen könnten. Es ist ,Business as usual`.” Er habe “keine wesentliche Abkühlung” beobachtet, sagte Wilmot-Sitwell. Die Aktivität am Markt entspreche der in einem normalen Marktumfeld. Bis man wisse, wohin die Reise gehe, könne man sich auch nur schwer positionieren. “Bislang hat es keine dramatischen Auswirkungen auf die Aktivität gegeben”, sagte auch Flint. Corley sprach von “anekdotischen” Hinweisen darauf, dass sich Unternehmen bei den Investitionen zurückhielten. “Wenn wir mit Firmen sprechen, in die wir investieren, ist da definitiv mehr Vorsicht”, sagte sie, auch wenn sich das nicht unmittelbar an den Kapitalmärkten bemerkbar mache. Stimmungsindikatoren zeigten unmittelbar nach dem Referendum nach unten.