Online-Plattformen für Aktionäre - Pflicht oder Kür?

Die "Abzocker-Initiative" der Schweiz liefert einen klaren Anreiz, mögliche Vorteile elektronischer Aktionärsplattformen zu erkunden

Online-Plattformen für Aktionäre - Pflicht oder Kür?

Die direkte Demokratie der Schweiz führt gelegentlich zu überraschenden Ergebnissen. Und manchmal betreffen diese Ergebnisse sogar die Investor Relations (IR). So im Fall der sogenannten “Abzocker-Initiative”, 2005 durch den Schaffhauser Kleinunternehmer und heutigen Ständerat Thomas Minder angestoßen und nach langwierigen parlamentarischen Debatten schließlich Anfang 2013 mit knapp 68 % durch das Volk gutgeheißen.Die Initiative umfasst ein ganzes Bündel an Forderungen – etwa die obligatorische Abstimmung über die Vorstandsvergütungen im Rahmen der Generalversammlung (GV), eine Pflicht für Pensionskassen, an Generalversammlungen ihre Stimmen abzugeben, ein Verbot “goldener Fallschirme” und schließlich auch die Pflicht für Unternehmen, den Aktionären im Rahmen der GV eine elektronische Abstimmung zu ermöglichen.Tatsächlich war das “e-Voting” bis anhin mehr Ausnahme als Regel. Mit der aktuell laufenden GV-Saison unternehmen daher zahlreiche Schweizer Aktiengesellschaften erste Geh-versuche – mit der Einladung zur Generalversammlung erhalten die Aktionäre nun auch die Möglichkeit, sich im Vorfeld bei einer elektronischen Plattform anzumelden und ihre Stimmen abzugeben.Wie das so bei ersten Gehversuchen ist, revolutionäre Veränderungen sind bisher nicht zu vermelden. Ziel der Abzocker-Initiative war es, die Aktionärsdemokratie zu stärken und die aktive Beteiligung der Aktionäre an der Governance ihrer Unternehmen zu fördern. Andernfalls drohe das Management außer Rand und Band zu geraten – und sich schamlos in Form exzessiver Boni und weiterer Ausschüttungen zu bereichern.Dieser Impuls erscheint auf den ersten Blick sympathisch. Aktiengesellschaften sind mächtige Akteure in unserer Gesellschaft, sie sollten einer strengen Kontrolle durch ihre Eigentümer unterworfen werden. Gleichzeitig ist die Initiative jedoch zweifellos naiv, denn es besteht kein empirischer Zusammenhang zwischen dem Grad der Beteiligung der Aktionäre an Generalversammlungen und der Höhe der Managementvergütung. Die Erfahrung lehrt, dass Investoren kein Problem mit hohen Managerlöhnen haben, solange sie vom Erfolg ebenfalls profitieren.Und überhaupt: Was heißt bei einer modernen Aktiengesellschaft schon Aktionärsdemokratie? Wenn ein institutioneller Investor 5 % der Anteile auf sich vereinigen kann, ist das schon viel. Meist handelt es sich dabei um Fonds, die ihren Sitz im Ausland haben. Tausende von Kleinaktionären bringen es hingegen gemeinsam auf vielleicht 10 % des Kapitals. Ohne starke Eigentümerfamilie im Rücken ist das Aktionariat heutiger AGs also fast unvermeidlich zersplittert und schlecht koordiniert.Kann eine elektronische Abstimmung im Rahmen der General- beziehungsweise Hauptversammlung (HV) hieran etwas ändern? Auf den ersten Blick kaum. Das e-Voting der Aktiengesellschaften richtet sich heute vor allem an Privataktionäre. Diese sind tatsächlich bei Hauptversammlungen notorisch abstinent – wenn sie nicht gerade in der Nähe des Veranstaltungsorts wohnen, viel Zeit haben und sich von einem Mittagessen sowie einigen Mitbringseln anlocken lassen. Selbst wenn sie jedoch allesamt abstimmen würden, wäre ihr Stimmgewicht überschaubar.Elektronisch stimmen heute nur wenige Privataktionäre ab – nicht zuletzt auch, weil sich unter ihnen viele Pensionäre finden, die neuen Medien eher skeptisch gegenüberstehen. Dies zumindest kann sich in absehbarer Zeit ändern. Für die U30-Generationen ist das Internet bekanntlich das mit Abstand wichtigste Medium, sie nutzen es viele Stunden am Tag – nicht wenige sind durch mobile Geräte praktisch ständig im Netz. Persönlicherer AustauschDiese Erkenntnis lässt vermuten, dass der elektronische Austausch mit den Aktionären in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird. Vielleicht auch im Rahmen der Hauptversammlung. Denn den Unternehmen bieten elektronische Plattformen zur Beteiligung an der HV einen Vorzug: Die Aktionäre müssen sich dort anmelden, sie sind also identifizier- und gezielt ansprechbar. Damit ermöglichen elektronische Aktionärsplattformen einen direkteren und persönlicheren Austausch, als das bei der Unternehmenswebseite der Fall ist. Kein schlechtes GeschäftDie Abzocker-Initiative der Schweiz liefert nun einen handfesten Anreiz, mögliche Vorteile elektronischer Aktionärsplattformen zu erkunden. Unternehmen sind gezwungen, ihren Aktionären eine Plattform anzubieten. Diese kann minimalistisch gehalten sein, sie kann aber auch großen Wert auf Austausch und Nutzerfreundlichkeit legen. Eine ganze Reihe neuer und auch etablierter Dienstleister bemühen sich, attraktive Angebote zu schnüren. Mit den Funktionalitäten der Plattformen schwanken ihre Preise – zwischen 10 000 und 20 000 sfr pro Jahr. Kein schlechtes Geschäft also.Eine Herausforderung für die Anbieter ist jedoch die komplexe Marktstruktur. Denn die Aktionärsplattformen müssen auf einem doppelten Markt bestehen – sie müssen Unter-nehmen ebenso wie Aktionäre überzeugen. Sinnvoll sind zudem Schnittstellen zu weiteren Akteuren, wie den Finanzdienstleistern, Informationsdiensten und natürlich den Abstimmungsberatern oder “Proxy Advisors”. Erleichterte AbstimmungMögliche Vorteile für Unternehmen hatten wir bereits skizziert: Eine Identifikation der Aktionäre, die Beobachtung ihres Informationsverhaltens, möglicherweise auch ihrer Diskussionen auf der Plattform, die gezielte Ansprache und Verteilung von Information. Elektronische Abstimmungen senken die Transaktionskosten einer HV-Teilnahme, was die internationale Beteiligung erhöhen könnte. Nicht zuletzt könnte durch eine erleichterte Abstimmung, welche sich in die gewohnten Prozesse der Privataktionäre einfügt, doch auch deren Beteiligung gefördert werden. In der Regel sind die Kleinaktionäre schließlich treue Gefolgsleute und eine relativ sichere Bank für die Unternehmensführung.Doch wie können die Aktionäre auf eine elektronische Plattform gelockt werden? Heute lassen sich zwei Plattform-Philosophien unterscheiden: Proprietäre Systeme sind ganz auf das einzelne Unternehmen zugeschnitten, die AG ist also klar “Herr im Haus”. Plattform-Systeme versammeln dagegen mehrere AGs auf einer Webseite. Mit einem Login kann der Aktionär hier gleich mehrere Beteiligungen abarbeiten.Die Plattform-Lösung hat offenkundige Vorteile für den Aktionär – sie macht die Teilnahme einfach und unkompliziert. Sie verhindert, dass der Aktionär von Anbieter zu Anbieter springen und zahlreiche Login-Daten jonglieren muss. Für das Unternehmen bietet sich der Vorteil, dass hier auch Aktionäre angesprochen werden können, die heute noch nicht bei ihm investiert sind. Plattform-Lösungen sind lebendiger, weil vielfältiger. Es besteht die Möglichkeit für Aktionäre, sich untereinander auszutauschen. Ob das wiederum den Unternehmen gefällt, kann im Einzelfall durchaus hinterfragt werden. Vor einem Henne-Ei-ProblemWie so oft bei neuen Kommunikationssystemen stehen die elektronischen Aktionärsplattformen heute vor einem Henne-Ei-Problem: Wird die Plattform von vielen Unternehmen genutzt, macht sie das für Aktionäre interessant. Befinden sich viele Aktionäre auf der Plattform, wollen auch viele Unternehmen sie nutzen. Doch wer macht den ersten Schritt? Der Wettbewerb ist intensiv, denn Plattformen haben stets Netzwerkeffekte: Nur wenige Anbieter setzen sich durch. Erinnern Sie sich zum Beispiel noch an StudiVZ? Kaum, denn der Gewinner in dieser Nische heißt Facebook.Am Ende wird auch die Frage entscheidend sein, ob die Aktiengesellschaften Online-Plattformen wirklich als strategisches Kommunikationsinstrument einsetzen wollen. Sprich: Wollen sie nur das e-Voting möglichst effizient und kostengünstig abwickeln? Oder wollen sie einen neuen Kanal eröffnen, der einen gezielteren Austausch und eine genauere Beobachtung der Aktionäre ermöglicht? Pflicht oder Kür – das ist die Frage. Natürlich ist die Schweiz ein zu kleiner Markt, um sie abschließend klären zu können. Doch was, wenn die EU dereinst die elektronische HV-Abstimmung zur Pflicht erklärt? Dann wird sich zeigen, ob die Investor Relations ihren eigenen Mark Zuckerberg hervorbringt.—Christian P. Hoffmann, Assistenzprofessor am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen