GastbeitragWolfgang Wiest, Hauptgeschäftsführer des Verbands öffentlicher Versicherer

Pflichtversicherung greift zu kurz

Statt nach einem Hochwasser stets eine Pflichtversicherung zu fordern, sollten die Ministerpräsidenten sich für einen nationalen Präventionsplan starkmachen. Dafür tritt Wolfgang Wiest, Hauptgeschäftsführer des Verbands öffentlicher Versicherer, ein.

Pflichtversicherung greift zu kurz

Pflichtversicherung greift zu kurz

Wolfgang Wiest

Hauptgeschäftsführer des Verbands öffentlicher Versicherer

Am 20. Juni tagt die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit dem Bundeskanzler, und erneut wird es um das Thema einer Elementarschaden-Pflichtversicherung gehen. Seit der Hochwasserkatastrophe „Bernd“ im Juli 2021 fordern einige Länder vehement von der Bundesregierung die Einführung einer solchen Pflichtversicherung. Dahinter steht die Hoffnung, bei zukünftigen Hochwassern oder Überschwemmungen keine staatlichen Hilfsleistungen mehr an Betroffene zahlen zu müssen, deren Wohngebäudeversicherung zwar Feuer- und Sturm-/Hagelrisiken abdeckt, aber keine weiteren Elementarrisiken wie etwa Hochwasser.

„Samariter-Dilemma“ droht

Obwohl prinzipiell alle Gebäude bei entsprechender Ausgestaltung von Prämie, Selbstbehalt und individuellen Präventionsmaßnahmen der Immobilienbesitzer versicherbar sind, sehen sich die Länder aus politischen Erwägungen regelmäßig zu Hilfszahlungen an Nichtversicherte gezwungen. Dies wird auch „Samariter-Dilemma“ genannt.

Eine Elementarschaden-Pflichtversicherung greift jedoch aus mehreren Gründen zu kurz. Erstens wäre sie für die über 19 Millionen privaten Wohnimmobilien in Deutschland schwer zu kontrollieren. Weder die Kommunen, die bereits an der Belastungsgrenze operieren, noch die Finanzämter, die mit der Reform der Grundsteuer ausgelastet sind, könnten diese Aufgabe übernehmen. Eine Versicherungspflicht ohne effektive Kontrolle würde jedoch ins Leere laufen und den Staat kaum vom Samariter-Dilemma befreien. Außerdem müsste der Bund den Ländern den Aufwand für die Kontrolle finanzieren.

Zweitens stößt eine Elementarschaden-Pflichtversicherung an enge verfassungsrechtliche Grenzen. Im Gegensatz zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die Schäden Dritter abdeckt, dient eine Elementarversicherung dem Schutz des eigenen Eigentums. Eine Pflichtversicherung dieser Art würde eine „paternalistische“ Gesetzgebung darstellen, vergleichbar mit einer verpflichtenden Vollkasko-Versicherung für Autos, die niemand ernsthaft fordert.

Die Landesjustizministerkonferenz hat bereits festgestellt, dass eine Pflichtversicherung mit sehr hohen Selbstbehalten einhergehen müsste, weil der Staat die Immobilienbesitzer lediglich zur Absicherung gegen existenzvernichtende Risiken verpflichten kann. Was die Betroffenen bei nichtexistenziellen Schäden erneut zum Ruf nach staatlichen Hilfen veranlassen würde.

Die Versicherungswirtschaft schlägt stattdessen eine Versichererpflicht vor. Versicherungen würden verpflichtet, einmalig alle Bestandskunden ohne Elementarabsicherung anzuschreiben und ihnen eine Absicherung dagegen anzubieten. Verstärken könnte man die Wirkung mit einem „Opt-out“: Die Versicherung würde automatisch auf Elementarrisiken erweitert, es sei denn, der Kunde widerspricht aktiv. Diese Methode wäre grundrechtskonformer und könnte mit niedrigeren Selbstbehalten agieren, sodass auch nichtexistenzielle Schäden abgesichert wären.

Der dritte Aspekt, der in der Diskussion zur Pflichtversicherung regelmäßig viel zu kurz kommt, betrifft die kollektive Prävention gegen Hochwasser und Überschwemmung. Es ist eine alte Erfahrung, dass Schadenvermeidung besser ist als Schadenregulierung! Versicherungen fordern bereits individuelle Präventionsmaßnahmen von Kunden mit hohen Elementarrisiken. Diese müssen jedoch durch Präventionsmaßnahmen auf Kommunal- und Länderebene ergänzt werden, um Versicherungsprämien bezahlbar und Risiken versicherbar zu halten.

Schutz von Infrastruktur

Kollektive Prävention schützt nicht nur private Wohngebäude, sondern auch öffentliche Gebäude und Infrastruktur und rettet Leben. Die Flutkatastrophe „Bernd“ kostete über 180 Menschen das Leben – keine Versicherung kann dies verhindern. Und mit über 14 Mrd. Euro übertrafen bei „Bernd“ die Schäden an öffentlichen Gebäuden, Straßen, Schienen oder Brücken deutlich die Schäden an Privatgebäuden. Wer die Steuerzahler schonen will, sollte erst am besseren Schutz dieses gesellschaftlichen Gemeineigentums ansetzen.

Themen wie der Wiederaufbau an sicheren Standorten, Neubauten oder Ausweisung von Bauland nur in überschwemmungsfreien Gebieten, ein bundesweites Naturgefahrenportal, Entsiegelung von Flächen, Schaffung von Wasserrückhalteflächen und Verbesserungen der Frühwarnsysteme sind entscheidend.

Es wäre sinnvoll, wenn sich die Ministerpräsidenten, anstatt nach jedem neuen Hochwasser eine Pflichtversicherung zu fordern, für einen nationalen Präventionsplan einsetzen würden. Das wäre ein zukunftsweisendes Thema, das Menschenleben retten, wirtschaftliche Schäden reduzieren und Versicherungen bezahlbar halten würde.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.