GASTBEITRAG

Plädoyer für eine vertrauensbildende Regulatorik

Börsen-Zeitung, 31.5.2016 Die Nähe zu unseren Kunden und ihren Bedürfnissen ist das, was uns als Sparkassen seit rund 200 Jahren auszeichnet und deshalb die wesentliche Antriebskraft unseres Handelns sein sollte. Anstatt unsere Gestaltungskraft...

Plädoyer für eine vertrauensbildende Regulatorik

Die Nähe zu unseren Kunden und ihren Bedürfnissen ist das, was uns als Sparkassen seit rund 200 Jahren auszeichnet und deshalb die wesentliche Antriebskraft unseres Handelns sein sollte. Anstatt unsere Gestaltungskraft jedoch darauf richten zu können, Antworten auf das durch die Digitalisierung fundamental veränderte Verhalten unserer Kunden zu entwickeln und unsere Strukturen konsequent darauf auszurichten, stehen leider allzu oft immer wieder neue regulatorische Anforderungen ganz oben auf der Agenda: 5. MaRisk-Novelle, CRD IV, SREP, ICAAP, Mifid II, PSD II, Anacredit und andere – die Liste der Abkürzungen, die Vorständen und Fachverantwortlichen in Sparkassen und Banken graue Haare wachsen lassen, ließe sich noch beliebig fortsetzen.Allein im vergangenen Jahr hat die europäische Aufsichtsbehörde EBA mehr als 400 regulatorische Einzelvorhaben auf den Weg gebracht. Dazu kommen aufsichtsrechtliche Vorgaben der BaFin, der EZB und der Bundesbank sowie weitere neue Regelungen der europäischen wie nationalen Gesetzgeber, die mit immer kürzeren Vorlaufzeiten umzusetzen sind. Und genau das ist das Problem: Die immer weiter steigende Zahl regulatorischer Auflagen und deren scheinbar immer kürzer werdende Halbwertzeiten binden wertvolle Ressourcen zu Lasten solider, bislang erfolgreicher Geschäftsmodelle und damit letztlich zu Lasten der Kunden.Dennoch soll hier nicht die Sinnhaftigkeit der Regulierung des Bankensystems als solche in Abrede gestellt werden – sie hat nach den Erfahrungen der Finanzmarktkrise nach wie vor ihre Berechtigung. Vielmehr ist dies ein Appell für mehr Augenmaß, für ein konstruktives Miteinander von Regulierenden und Regulierten und für eine inhaltliche Neuausrichtung der Regulatorik, in deren Mittelpunkt die Kunden stehen sollten. Die Freiräume werden kleinerDenn eines steht fest: Eine exzessive Flut aufsichtsrechtlicher Vorgaben, ein ausuferndes Meldewesen und zum Teil absurde Dokumentationspflichten produzieren zwar riesige Datenmengen – die notwendigen Freiräume aber für wichtige und zukunftsweisende Innovationen werden immer kleiner. Diese benötigen gerade mittlere und kleine Banken ebenso wie Sparkassen, um wettbewerbsfähig und kundennah zu bleiben. Voraussetzung für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Regulierung ist es deshalb, die vielschichtigen und zum Teil gegensätzlichen Interessenlagen in ein Gleichgewicht aus einer differenzierten, proportional angemessenen Einflussnahme einerseits sowie der notwendigen Handlungs- und Gestaltungsfreiheit für die Institute andererseits zu bringen.Dies bedeutet: Wir brauchen dringend ein “Mehr an Wir” unter allen Beteiligten, denn Regulierung geht alle an – die einzelne Sparkasse genauso wie die Sparkassenorganisation oder die gesamte Finanzbranche mitsamt ihren Aufsichtsbehörden.Technische Anpassungen, unmittelbare finanzielle Belastungen und der erforderliche Einsatz zusätzlicher personeller Kapazitäten in Folge steigender Regulierungsauflagen verursachen höhere Aufwände auf Seiten der Banken. Diese Kostensteigerungen treffen dabei auf eine durch die Niedrigzinsphase geprägte Marktsituation und ein Wettbewerbsumfeld, das eine Weitergabe dieser Kosten an die Kunden erschwert. Da der Implementierungsaufwand für neue Regelungen nicht proportional zur Institutsgröße steigt, werden kleine und mittlere Institute wie Sparkassen und Genossenschaftsbanken durch die zunehmende Komplexität der Regulatorik überproportional belastet.Dadurch geraten ihre Ergebnisse besonders unter Druck – unabhängig davon, ob sie wirtschaftlich gesund sind oder nicht. Allein für unser Haus etwa beziffern wir den Mehraufwand, der auf regulatorische Vorgaben zurückgeht, auf circa 4 Mill. bis 5 Mill. Euro pro Jahr. Wenn wir verhindern wollen, dass schon bald solide wirtschaftende Institute unverschuldet in Schieflage geraten, brauchen wir dringend eine europäische Proportionalitätsdiskussion, die die Besonderheiten deutscher Regionalbanken berücksichtigt und Faktoren wie der Institutsgröße, der Art des Geschäftsmodells und der damit verbundenen Risikoanfälligkeit Rechnung trägt.Gleichzeitig gibt es für die Institute selbst keinen Grund, sich zurückzulehnen oder eine kategorische Anti- oder Selbstmitleidshaltung in Sachen Regulatorik einzunehmen. Vielmehr muss die Devise lauten: managen statt maulen – sprich: Wir als Banken und Sparkassen sind aufgefordert, der Regulierungsdebatte konstruktiv zu begegnen und die Dinge da zu gestalten, wo wir es selbst können. So ist jedes Institut zunächst selbst dafür verantwortlich, sich im Interesse seiner Kunden mit Blick auf die eigenen Prozesse, Strukturen und Mitarbeiter auf die Herausforderungen der Regulierung einzustellen.Wo dies allein nicht ausreicht, kann die Suche nach strategischen Partnern ein sinnvoller Weg sein, um bei der Bewältigung steigender Regulierungsauflagen Synergien zu heben. Gerade in der Arbeitsteilung liegt eine große Chance für dezentral aufgestellte Bankenverbünde wie die Sparkassen-Finanzgruppe. Dabei können Institutskooperationen genauso eine Lösung sein wie die Übertragung spezieller regulatorikbedingter Spezialistenaufgaben auf organisationsinterne Dienstleister oder in letzter Konsequenz auch die Fusion zu größeren Einheiten. Ein Stück vorangekommenEbenso wichtig ist, dass der Verbund seinen Mitgliedsinstituten mit der Etablierung einheitlicher Prozessstandards, der Entwicklung adaptierbarer Strategiebausteine, der Bereitstellung moderner IT-Lösungen und mit effektiven Reporting- und Risikocontrollinginstrumenten den Rücken freihält. Nur dann haben die einzelnen Sparkassen die Chance, sich auf das zu fokussieren, was wirklich wichtig ist: ihre Kunden. Insgesamt ist die Sparkassenorganisation in den vergangenen Jahren in puncto Arbeitsteilung ein gutes Stück vorangekommen. Diesen Weg gilt es konsequent weiterzugehen.Gleichzeitig birgt das Dezentralitätsprinzip des Sparkassenverbundes mit der systemimmanenten Heterogenität seiner über 400 eigenständigen Mitglieder auch ein Risiko. Denn nie war es so wichtig, dass die deutschen Sparkassen dem Unverständnis der Regulierer für die Spezifika der Sparkassenorganisation mit einer einheitlichen und starken Stimme entgegentreten und für die Belange ihrer Kunden werben. Doch die Vielschichtigkeit der Interessen innerhalb der Organisation erfordert eine effiziente Diskussionskultur, da sie ansonsten eine effektive gemeinsame Suche nach den besten Lösungen erschwert.In Reinform ließ sich dies unlängst an der verbandsinternen Debatte um die Umsetzung der europäischen Einlagensicherungsrichtlinie beobachten. Die hier entstandenen internen Reibungen haben ganz sicher nicht zu einer Stärkung der Sparkassenposition in der externen Wahrnehmung beigetragen. Für die Zukunft braucht es hier eine zielorientiertere Meinungsbildung, die weniger von Eigeninteressen und dem Ziel des Privilegienerhalts dominiert ist. Unsicherheit greift um sichDie Vereinheitlichung der europaweiten Einlagensicherung ist zugleich ein Paradebeispiel für ein anderes Phänomen: die Regelmäßigkeit, mit der die Aufsichtsbehörden selbst die Verlässlichkeit der Regulatorik in Frage stellen. Beispielsweise war die Tinte unter dem deutschen Gesetz zur nationalen Umsetzung der Einlagensicherungsrichtlinie im vergangenen Sommer noch nicht ganz trocken, da preschte die EU-Kommission bereits mit der Idee der Schaffung eines einheitlichen europäischen Einlagensicherungsfonds vor. Die damit einhergehende Vergemeinschaftung von länderspezifischen Risiken ist – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – eine Fehlentwicklung, der sich die gesamte deutsche Kreditwirtschaft im Schulterschluss mit dem deutschen Gesetzgeber und der Bundesregierung zu Recht entgegengestellt hat.Unabhängig vom Ausgang offenbart diese Debatte jedoch das grundsätzliche Problem, dass die Regulatorik durch die Fließbandproduktion immer neuer Regulationsideen nicht zur Schaffung von Verlässlichkeit und Vertrauen, sondern zu Unsicherheit bei Banken und Sparkassen führt. Die immer wieder notwendigen Anpassungen an neue Regulierungsstandards sorgen für zusätzlichen Druck auf die unter der derzeitigen Niedrigzinsphase leidenden Betriebsergebnisse. Damit lässt sich ebenfalls die zentrale Frage nicht verlässlich beantworten, ob die Kunden, die eigentlich von einem engmaschigeren Regulierungsnetz profitieren sollten, am Ende zu den Gewinnern zählen.—-Markus Schabel, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Münsterland Ost