Proportionalität in Regulierung und Aufsicht

Das Leitmodell der Finanzmarktregulierung

Proportionalität in Regulierung und Aufsicht

Von Markus FerberMitglied des Europäischen ParlamentsDie Pleite der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 mit verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft war die Initialzündung zur Schaffung neuer Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.In der Eurozone wurden in sehr kurzer Zeit mit der Bankenunion neue Strukturen und Regeln für die Aufsicht und die Abwicklung von Banken geschaffen, die die Finanzinstitute stabiler, ihre Abwicklung ohne Einsatz von Steuergeldern möglich und die Einlagen von Sparern sicherer machen. Gleichzeitig wurde mit Mifid II die Art und Weise, wie Finanzmärkte in Europa funktionieren, grundsätzlich überarbeitet. Das Ziel war, Finanzmärkte transparenter, effizienter und widerstandsfähiger zu machen. Regulierung kann das Finanzsystem stabilisieren, doch sie ist kein Selbstzweck. Heute, fast acht Jahre nach Lehman Brothers, zeigt sich, dass die Regulierungsanstrengungen der vergangenen Jahre einige Schwierigkeiten nach sich ziehen. So haben wir bei der Banken- und Finanzmarktregulierung ein grundsätzliches Problem mit der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Regeln, die eigentlich für international tätige Großbanken gedacht waren, werden am Ende auch für kleine Institute angewandt. Gleichzeitig stellt sich in der praktischen Umsetzung vieler Rechtsakte heraus, dass es an einigen Stellen ärgerliche Dopplungen, Überschneidungen und Inkonsistenzen gibt, die gerade kleinere Marktteilnehmer vor hohe Compliance-Hürden stellen. Acht Jahre nach Lehman Brothers wird es also Zeit für eine Bestandsaufnahme in der Finanzmarktregulierung. Nach den großen regulatorischen Anstrengungen und den mehr als dreißig großen Gesetzespaketen im Bereich der Finanzmarktregulierung, die auf europäischer Ebene seit der Krise verabschiedet wurden, müssen wir einen Schritt zurücktreten und uns fragen, was funktioniert und was nicht. Eines der Vorzeigeprojekte der Juncker-Kommission ist die Kapitalmarktunion, die die Vernetzung der europäischen Kapitalmärkte weiter voranbringen soll. Bevor so ein Großprojekt in die Umsetzung geht, ist es aber entscheidend, zunächst den Status quo zu erfassen. Welche Elemente der Finanzmarktregulierung funktionieren? Welche nicht? Wo gibt es noch Lücken? Wie wirken sich in sich kohärente Einzelmaßnahmen im Zusammenspiel aus? Und wie kann Finanzmarktregulierung so ausgestaltet werden, dass sie für alle Marktteilnehmer funktioniert? All das sind Fragen, auf die es Antworten braucht, bevor die nächsten Gesetzespakete auf den Weg gebracht werden.Die Europäische Kommission hat kürzlich einen sogenannten “Call for Evidence” gestartet, der Antworten auf genau diese Fragen liefern soll. Die Ergebnisse stehen noch aus, aber eines ist bereits jetzt klar: Der “Call for Evidence” darf kein einmaliges Ereignis sein, sondern sollte zu einer regelmäßigen Übung werden, damit klar ist, ob und wie Finanzmarktregulierung funktioniert und wie man möglichen unwillkommenen Nebeneffekten begegnen kann. Eine Lehre aus der Finanzmarktregulierung der vergangenen Jahre lässt sich meines Erachtens aber schon jetzt ziehen. Wir brauchen mehr Verhältnismäßigkeit und weniger “One size fits all”-Lösungen – sowohl in der Regulierung als auch in der Aufsicht. Regulierungsmaßnahmen und auch die Aufsicht müssen stärker nach Größe und Risikogehalt des Geschäftsmodells der Markteilnehmer differenziert werden. Die Regulierung muss so ausgestaltet werden, dass sie auf die jeweiligen Geschäftsmodelle passt, und darf nicht strukturverändernd wirken. Das sollte das Leitmodell der künftigen Finanzmarktregulierung werden. Dann kann die Kapitalmarktunion zum Erfolg werden.