ITALIEN WICKELT VENETISCHE VOLKSBANKEN AB

Reichlich Hausaufgaben für Europas Banken

Independent Credit View: Mangelnde Stressresistenz bei unausgewogenen Geschäftsmodellen - Bei italienischen Schuldtiteln nur besicherte Kurzläufer zeichnen

Reichlich Hausaufgaben für Europas Banken

Die Sanierung des europäischen Bankensektors schreitet schleppend voran. Das uneinheitliche Vorgehen bei Bankenrettungen in Spanien und Italien trägt dabei nicht zur Beruhigung von Investoren der Schuldtitel von Banken bei. Die werden sich das Risiko bei den neuen Tier-3-Anleihen für bail-in-fähige Papiere gut bezahlen lassen.Von Björn Godenrath, FrankfurtDie Bonität europäischer Banken hat sich im vergangenen Jahr trotz schleppend verlaufender Sanierung des Sektors dank zyklisch niedriger Risikokosten verhalten positiv entwickelt. Allerdings verlangsamt eine Kombination aus schwachem Wirtschaftswachstum, politischer Unsicherheit, unklarer Regulierungsumsetzung sowie institutsindividuellen Herausforderungen die weitere Sanierung des EU-Bankensektors, was Potenzial für Rückschläge berge, so das Fazit der aktuellen Bankenstudie von Independent Credit View. Schwache AbsicherungDabei ergab sich dank verbesserter Risikotragfähigkeit ein deutlich freundlicheres Bild als in den Vorjahren, konnten die operativen Ergebnisse vor Risikovorsorge doch trotz Drucks auf das Zinsergebnis als wichtigste Einnahmequelle robust gehalten oder sogar verbessert werden, so die auf Credit Research spezialisierten Schweizer. Allerdings haben einige Institute noch reichlich Wegstrecke zu absolvieren, bevor sie wieder die Absicherungsquoten des Vorkrisenniveaus erreicht haben. So würdeIntesa Sanpaolo auf Basis des 2016er Vorsteuergewinns 5,8 Jahre benötigen, um die Wertberichtigungsquote auf das Vorkrisenniveau von 70 % zu erhöhen. Unicredit als weitere italienische Großbank würde 3,7 Jahre benötigen, obwohl sie die Erhöhung der Absicherungsquote bereits energisch angegangen ist. Trotz leichter Besserung bleibt die Lage der italienischen Banken angespannt, haben Regierung und Regulator doch noch keine klare Linie für den Umgang mit Problemkrediten gefunden. Das Konzept der staatlich erzwungenen “freiwilligen” Unterstützung von in Not geratenen Instituten des Sektors durch die Atlante-Fonds geht nur auf Kosten der beiden Großbanken, die sich selbst nach der Decke strecken müssen – Independent Credit View (ICV) spricht von “Tricksereien zu Lasten der Großbanken”. Auch ansonsten ist bei der jüngst durch eine Kapitalerhöhung von 13 Mrd. Euro gestärkten Unicredit noch nicht alles eitel Sonnenschein. So sei der gezeigte Rückgang der Problemkredite allein durch Umklassifizierung ins Handelsbuch (Held for Sale) begründet, Verkauf und Konditionen der NPL (Non-Performing Loans) blieben abzuwarten, merkt ICV an. Veränderte HaftungskaskadeDen Berechnungen der Analysten zufolge müssten die italienischen Banken noch einige Milliarden auftreiben, um die Absicherungsquote auf ein für Bankinvestoren akzeptables Niveau zu hieven (siehe Grafik) – für die Rettung der venetischen Volksbanken gibt der italienische Steuerzahler allein 4,5 Mrd. Euro, die der Wertberichtigung von faulen Krediten dienen, und stellt darüber hinaus Garantien. Und die Krisenbank Monte dei Paschi di Siena müsste den Projektionen von ICV zufolge NPL von knapp 22 Mrd. Euro loswerden, die bislang im Schnitt zu 25 % wertberichtigt sind. Da weiß man dann auch, was man davon zu halten hat, dass die EZB-Bankenaufsicht einen Kapitalbedarf von 8,8 Mrd. Euro attestierte: Für Monte dei Paschi wäre die Rettung durch den Staat in dieser Größenordnung nur eine Brückenlösung. Independent Credit View weist darauf hin, dass EU-Beihilfenormen und Bail-in-Richtlinie eine “zügige und umfassende Sanierung des italienischen Bankensystems verhindern”.Die referierten Zahlen zur Abbaulücke der NPL machen jedenfalls deutlich, dass italienische Banken derzeit kein “Investment Case” sind, da systemweite Probleme ungelöst sind. ICV empfiehlt Bankeninvestoren, Engagements in Italien weiter nur auf besicherter und kurzfristiger Basis zu tätigen – dasselbe gilt für Schuldtitel von portugiesischen Banken. Fokussieren sollte man in der Kapitalstruktur auf neue Tier-3-Instrumente sowie selektiv Tier 2 ungeachtet ihrer Nachrangigkeit. Senior-Unsecured-Emissionen alter Prägung dürften aufgrund ihrer Angebotsknappheit teurer werden. Angesichts der Schlechterstellung institutioneller Gläubiger stünde die fundamentale Bonität einer Bank unverändert im Zentrum der Analysen, sagen die Analysten mit Bezug auf (noch nicht finalisierte) Änderungen in der Haftungskaskade.Denn im Bail-in-Regime hat sich ein Flickenteppich ergeben, nachdem Frankreich und Spanien die Option einer neuen Haftungsklasse Tier 3 zogen, während Deutschland, Italien und Österreich bereits emittierte Schuldtitel gesetzlich anrechenbar machten. Und in Großbritannien, Irland und der Schweiz erfolgt die Emission von bail-in-fähigen Papieren über eine Bankholding – das macht es für die Zeichner von Bankenschuldtiteln unübersichtlich abzuschätzen, welchen Schutz ihr Investment genießt. Und die Banken müssen Investoren von der Attraktivität solcher bail-in-fähiger Papiere überzeugen, gilt es doch, die TLAC-Puffer zu füllen. Das uneinheitliche Vorgehen bei Bankenrettungen in Spanien und Italien trägt dabei nicht zur Beruhigung von Investoren der Schuldtitel von Banken bei. Die werden sich das Risiko bei den neuen Tier-3-Anleihen für bail-in-fähige Papiere gut bezahlen lassen.Die Risiken solcher Papiere wurden beim Kollaps des Banco Popular offensichtlich, als mit Greifen des EU-Abwicklungsmechanismus (BRRD) Aktionäre und Nachranggläubiger voll zur Verlustbeteiligung herangezogen wurden – während diese Anlageklassen bei der Rettung von Monte dei Paschi di Siena teilweise im Rahmen eines “burden sharing” geschont wurden und nun bei den venetischen Banken eine volle Entschädigung der Retail-Tranchen stattfinden soll. Diese unterschiedliche Behandlung “ökonomisch sehr ähnlicher Situationen” reflektiere Opportunismus und erhöhe Unsicherheit und Risiko für Investoren, bemängelt Independent Credit View.TLAC und sein Pendant MREL auf der Passivseite sollen 2019 in Kraft treten. Allerdings stünden wichtige Beschlüsse wie für eine einheitliche Definition der TLAC/MREL-Instrumente, die Gläubigerhierarchie sowie für Übergangsregelungen immer noch aus. Seit 2016 bewegen sich Bankeninvestoren sowieso in einem stark veränderten Umfeld, gilt doch seitdem eine rechtliche und wirtschaftliche Schlechterstellung unbesicherter vorrangiger Gläubiger. “Senior Unsecured ist nicht mehr Senior.” Minderwertiges EigenkapitalVor welchen Hausaufgaben einige europäische Großbanken noch stehen, das demonstriert eine Auflistung zur Eigenkapitalqualität. Das ist für einige Adressen ein historisch gewachsenes Problem, besteht bei diesen doch ein Großteil des anrechenbaren Kapitals aus aktivierten latenten Steuern (ALS) und Goodwill. Bei Santander besteht mehr als die Hälfte des Kapitals aus minderwertigen Komponenten: 29 % sind Goodwill, 21 % sind latente Steuern, deren Wert stark von künftigen Gewinnen und stabilen Steuergesetzen abhängt. Zudem endet 2018 in Teilen die Anerkennung von ALS-Komponenten als regulatorisches Kapital, d. h., die Banken müssen diese Lücken mit Anleiheemissionen auffüllen. So erscheint es fragwürdig, dass ausgerechnet Santander aufnehmende Gesellschaft für den Krisenfall Banco Popular ist. Offenbar war auch hier eine nationale Lösung bevorzugt, beklagte sich doch die eine oder andere europäische Großbank, dass ihr Banco Popular nicht angeboten wurde – was vor dem Hintergrund, dass die EU-Institutionen grenzüberschreitende Bankenfusionen anregen, einen schalen Beigeschmack hat.Neben Santander (52 %) weisen BBVA (47 %), Unicredit (38 %), Intesa (38 %) und UBS (34 %) einen hohen Anteil an minderwertigem Eigenkapital auf – es ist also ein Thema, dem sich die Bankenaufseher verstärkt widmen müssen. Bei der Deutschen Bank hat sich das Bild aufgehellt: Nur noch 6 % sind Goodwill, 13 % latente Steuern – doch besteht das Kapital bei der zur Integration bestimmten Postbank zu 22 % aus Goodwill. Die Commerzbank hat 10 % bei ALS und Goodwill. Independent Credit View zufolge lauern weitere Gefahren in strukturell unausgewogenen Geschäftsmodellen. Beispielhaft aufgeführt werden Schwächen bei Privatkunden und KMU/Corporate Banking (HVB, LBBW), hohe Risikokosten (Intesa, Unicredit) und schwache Effizienz (Commerzbank). Um die Stressresistenz solcher Banken zu testen, haben die Analysten bei einzelnen Instituten mal durchgespielt, wie sich ein Rückgang des Nettozinsertrages um 5 % auf das Ergebnis vor Steuern auswirkt. Bei der Unicredit Bank (HVB) würde der Vorsteuergewinn um 43 % zusammenschnurren.