IM GESPRÄCH: HANS JOACHIM REINKE

"Retailprodukt darf kein Elitenprodukt werden"

Union Investment kämpft für den Erhalt des offenen Immobilienfonds - Gesetzgeber soll sich bei Freibeträgen bewegen

"Retailprodukt darf kein Elitenprodukt werden"

Große deutsche Anbieter offener Immobilienfonds wie Union Investment und Deka fürchten, dass ihren bei den Anlegern überaus beliebten Produkten durch das neue Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) der Garaus gemacht wird. Das Regelwerk befindet sich in Berlin in der Endphase der parlamentarischen Beratungen. Der unvermindert am heftigsten umstrittene Knackpunkt sind die Freibeträge für Anteilsrückgaben.Von Bernd Wittkowski, Frankfurt “Der offene Immobilienfonds ist gerade aufgrund der täglichen unbeschränkten Verfügbarkeit ein Massenprodukt. Wer wie das Bundesfinanzministerium (BMF) das Produkt durch Abschaffung der Freibeträge schließen will, denaturiert ein erfolgreiches Retailprodukt zu einem Elitenprodukt”, sagte Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender von Union Investment, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.Mit “Elitenprodukt” spielt Reinke offenbar auf berühmt-berüchtigte Modelle wie KG-Beteiligungen für besonders gut verdienende Berufsgruppen an. In offenen Immobilienpublikumsfonds werden hierzulande rund 82 Mrd. Euro verwaltet (Stand Februar), auf Deka und Union Investment zusammen entfällt bei anhaltend hohen Nettomittelzuflüssen die Hälfte der Gesamtsumme, weshalb beide im eigenen Interesse, aber nicht zuletzt im Anlegerinteresse nach Kräften versuchen, die Assetklasse zu retten, die nach dem ursprünglichen Referentenentwurf aus dem BMF sogar völlig abgeschafft werden sollte. Eine Reihe von Fonds anderer Anbieter mit ungefähr einem Viertel des Volumens ist bekanntlich eingefroren oder wird abgewickelt. Lobende WorteDas KAGB, mit dem unter anderem die europäische AIFM-Richtlinie (Alternative Investment Fund Manager Directive) in deutsches Recht umgesetzt werden soll, wird am kommenden Mittwoch abschließend im Finanzausschuss des Bundestages beraten. Das Inkrafttreten ist für den 22. Juli vorgesehen.Reinke findet durchaus lobende Worte für den Gesetzgeber. Es gebe in manchen Punkten Anzeichen für Bewegung. So solle die Möglichkeit der täglichen Ausgabe und Rücknahme von Anteilen nun wohl doch erhalten bleiben. Das bedeutet, dass die im Regierungsentwurf vorgesehene und von der Fondsbranche kritisierte Beschränkung auf vier Ausgabetermine und einen Rückgabetermin pro Jahr vom Tisch wäre. Sollte sich das bestätigen, blieben Reinke zufolge gerade Anspar- und Auszahlpläne im Rahmen der Altersvorsorge weiterhin möglich. Zu begrüßen sei ferner, dass offenbar die Gleichbehandlung von direkten und indirekten Anlagen bei der Bewertung Bestand haben soll. Bisher sollten hier unterschiedliche Immobilienbewertungsregime gelten.Erfreulich sei weiterhin die Absicht des Finanzausschusses, dass Investoren mit einem Mindestanlagevolumen von 10 Mill. Euro ohne zusätzliche formale Prüfungen als semiprofessionelle Kunden anlegen können. Dies betrifft beispielsweise Stiftungen oder kirchliche Einrichtungen, also für Union Investment wichtige Kundengruppen, denen durch die sich abzeichnenden Zugeständnisse der Parlamentarier ein enormer bürokratischer Aufwand erspart bliebe.Keine Bewegung seitens des Gesetzgebers können der Union-Investment-Chef und seine Kollegen bei anderen großen Anbietern indes beim heftig umstrittenen Thema Freibeträge erkennen. Berlin hatte vor zwei Jahren mit dem “Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes” (AnsFuG) nicht zuletzt auf Liquiditätsprobleme einiger offener Immobilienfonds reagiert. Damit wurden unter anderem Freibeträge für Auszahlungen bis zu 30 000 Euro pro Kalenderhalbjahr – unabhängig von allen Fristen – eingeführt, ferner eine zwölfmonatige Kündigungsfrist für Bestands- und Neuanleger sowie eine Ersthaltefrist von 24 Monaten für Neuanleger. Die einschlägigen Regelungen für offene Immobilienfonds mussten erst (spätestens) Anfang dieses Jahres umgesetzt werden. Im Unterschied zu den anderen damaligen Neuerungen sieht der KAGB-Entwurf die Freibeträge nicht mehr vor. “AnsFuG für alle”Freibeträge seien für die Anleger, gerade für die Kunden der Genossenschaftsbanken und der Sparkassen, jedoch essenziell, sagt Reinke. Liquidität in gewissem Rahmen sei ein relevantes Bedürfnis. Deshalb sollte für Neu- wie für Altanleger weiter einheitlich der halbjährliche Freibetrag von 30 000 Euro gelten. Eine Differenzierung zwischen beiden Gruppen würde den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Anleger eines Fonds verletzen und sei daher abzulehnen.”AnsFuG für alle” lautet deshalb die Forderung von Union Investment. Reinke weist wie auch zahlreiche andere Repräsentanten der Fondsbranche darauf hin, dass dieses Paragraphenwerk – insoweit gerade einmal dreieinhalb Monate in Kraft – seine volle Wirkung noch längst nicht habe entfalten können. Doch sei offensichtlich, dass durch diese Regelungen, auch in Verbindung mit der Reduktion des Kredithebels auf 30 %, die Schockresistenz der offenen Immobilienfonds deutlich erhöht werde. Die Freibeträge nach dem AnsFuG dämpften die Rückgabevolumina um bis zu ein Drittel, wie Simulationsrechnungen von Union Investment in Verbindung mit empirischen Belegen aus früheren Krisensituationen zeigten.Unter dem AnsFuG würde die Liquidität betroffener Fonds selbst dann noch reichen, wenn die Krise eines Immobilienfonds neunmal länger dauerte, als es bisher jemals der Fall gewesen sei. Würde man, was Reinke für denkbar hält, bei den Freibeträgen von 30 000 Euro pro Halbjahr auf 15 000 Euro pro Quartal übergehen, dann würden unter Geltung des AnsFuG ceteris paribus sogar 45 % der zu erwartenden Rückflüsse abgeschnitten.Gleichzeitig könnte man für offene Immobilienfonds mit Freibeträgen spezifisch vorschreiben, dass die freie Liquidität bei 10 %, also doppelt so hoch wie jetzt, liegen müsse, um das Produkt auch insoweit noch sicherer zu machen. “Union Investment ist immer gesprächsbereit”, sagt Reinke. Kein HandlungsbedarfIm Ergebnis seien erkannte Schwächen der vorherigen Regulierung offener Immobilienfonds durch die 2011 beschlossenen Reformen ausreichend beseitigt worden. Die durch das AnsFuG geförderte Marktbereinigung auf der Anbieterseite habe bei den Immobilienpublikumsfonds zum Rückzug der institutionellen Anleger aus dem Produkt geführt. Deren Anteilsrückgaben hatten entscheidend zu den Liquiditätsproblemen einiger Fonds beigetragen und damit destabilisierend gewirkt.Heute aber, so Reinke, habe das Produkt wieder die seinem ursprünglichen gesetzlichen Leitbild entsprechende Struktur mit langfristig investierten Kleinanlegern. Die verbliebenen Anbieter hätten ihre Stressresistenz bewiesen und könnten unter dem AnsFuG erst recht die tägliche Verfügbarkeit der Anteile gewährleisten. Mangels neuer Erkenntnisse bestehe insoweit folglich kein regulatorischer Handlungsbedarf. Im Gegenteil würde die stabilisierende Wirkung des AnsFuG auf offene Immobilienfonds durch den aktuellen KAGB-Entwurf und namentlich durch das Fehlen von Freibeträgen “ohne Not konterkariert”, meint der Chef von Union Investment, die alles in allem nahezu 200 Mrd. Euro verwaltet, davon 120 Mrd. Euro in Publikumsfonds, und rund 4,2 Millionen private sowie mehr als 1 400 institutionelle Kunden zählt.Reinke plädiert dafür, den Wettbewerb entscheiden zu lassen, welche Produkte die Anleger präferieren. Die privaten Kunden von Union Investment wollten eindeutig nicht auf Freibeträge verzichten, weil es immer wieder individuelle Bedürfnisse gebe, die die tägliche Verfügbarkeit erforderlich machten. Dies stehe nicht im Widerspruch zu der Tatsache, dass die Immobilie grundsätzlich immobil ist. “Individuelle Ereignisse stellen nicht die kollektiven langen Haltedauern in Frage.” Liquidität oder RenditeDoch wollten die genossenschaftliche Fondsgesellschaft und – da ist sich Reinke sicher – auch die von den Sparkassen getragene Deka kein gesetzlich geschütztes Oligopol. Damit weist er in der Branche unterschwellig kursierende Verdächtigungen zurück. “Jeder Anbieter soll Freibeträge vorsehen können.” Mache eine Kapitalanlagegesellschaft davon keinen Gebrauch, könne sie den offenen Immobilienfonds mit geringeren Liquiditätsquoten managen, was sich positiv mit 1,5 bis 2 Prozentpunkten auf die Performance auswirken könne. Es gebe mithin einen Trade-off zwischen Verfügbarkeit bzw. Liquidität im Rahmen der Freibeträge und höherer Rendite. “Der Wettbewerb wird zeigen, ob die Anleger zugunsten der Rendite auf die Verfügbarkeit verzichten.”Von einer Härtefallregelung, wie sie in der Branche zeitweise als Alternative zu allgemeinen Freibeträgen diskutiert wurde, hält Reinke gar nichts. Auch wenn er es nicht so deutlich sagt: Die großen Fondsanbieter fürchten offenbar, dann in die Rolle einer Art Sozialamt gedrängt zu werden und entscheiden zu müssen, ob Anleger in Fällen wie Arbeitslosigkeit, Ehescheidung oder schwerer Krankheit ihre Anteile vorzeitig zurückgeben dürfen oder nicht. Auch die Härtefallregelung wäre für Reinke folglich eine Scheinlösung, der sich – wie er hofft – die Mitglieder des Finanzausschusses “entziehen und stattdessen zu einer sachgerechten Lösung im Interesse der Millionen Anleger kommen werden”.——Gegen das “Ausbluten” offener Immobilienfonds- Tägliche Ausgabe und Rückgabe sind essenzielle Ausstattungsmerkmale offener Immobilienfonds (OIF) und müssen deshalb bestehen bleiben.- Die im Regierungsentwurf vorgesehene Anteilscheinausgabe viermal jährlich und -rückgabe einmal jährlich gefährdet offene Immobilienfonds akut in ihrem Bestand und in ihrer Zukunftsfähigkeit.- Es besteht das Risiko einer massiven Einschränkung der Produktwahrnehmbarkeit und von Ausweichreaktionen der Kleinsparer auf andere Produkte.- “Organischen” Rückflüssen fehlt eine Kompensation durch Zuflüsse.- Das Abschmelzen eines Portfolios zur Bedienung von Rückflüssen bei gleichzeitig fehlender Auffrischung des Bestandes führt zum “Ausbluten” der bestehenden Fonds bzw. der ganzen Assetklasse.- Komplexe Prozesse für Sparpläne (Vermögensaufbau) und Entsparen im Alter (Vermögensnutzung) machen das Produkt für Kleinanleger unattraktiv. (Quelle: Union Investment)——