Robo-Advisory: Das autonome Fahren der Vermögensanlage?

Die Zukunft der Beratung liegt in der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine

Robo-Advisory: Das autonome Fahren der Vermögensanlage?

Frederik LutterbeckBusiness Expert bei concedro GmbHNorman FalkenbergGeschäftsführer concedro GmbHDie Mobilität von Personen und Gütern wird durch das autonome Fahren tiefgreifend verändert – und mit ihr eine gesamte Branche. Selbstfahrende Fahrzeuge mit Elektroantrieb, die uns bei Bedarf durch den Großstadtverkehr oder auf der Langstrecke navigieren – dieses Zukunftsszenario erfordert die Neuausrichtung der auf Individualität ausgerichteten heutigen Geschäftsmodelle und eine digitale Transformation der Branche. Auf der Suche nach marktreifen Lösungen für ein derart hochkomplexes System verschwimmen auch die Grenzen zwischen etablierten Automobilproduzenten und IT Unternehmen. Dabei entstehen beispielsweise mit Softwareanbietern für künstliche Intelligenz neue Wettbewerber, neue Kooperationspartner oder Übernahmekandidaten.Einen ähnlich disruptiven Anspruch haben die zahlreichen deutschen Robo-Advisors. Mit digitalen End-to-End-Lösungen wollen sie die Vermögensanlage durch Automatisierung revolutionieren. Einfacher, transparenter und kostengünstiger als die klassische Anlageberatung sollen die Lösungen sein und darauf ausgerichtet, eine große Zahl Kunden mit standardisierten Investmentstrategien zu bedienen – mit Blick auf den Kapitalzufluss bei Anbietern in den USA und Großbritannien ein durchaus erfolgversprechendes Geschäftsmodell.Das Prinzip: Ob als Service für Direktkunden (B2C) oder als Tool für den Berater (B2B), der Anleger soll das Steuer für seine Investmententscheidungen einer Maschine anvertrauen. Nach kurzer Befragung zu seinen Kenntnissen, Erfahrungen und Verhaltensweisen im Finanzverkehr schlägt die Maschine das Modell und die Motorisierung für das Kundenportfolio vor. Der Kunde bestimmt nur noch Zielort und Ankunftszeit, alles Weitere übernimmt der Algorithmus. Klingt einfach, komfortabel und keine Frage: Unter den angebotenen Investment Engines ist für jeden etwas dabei. Die Bandbreite der Anlagestrategien und -portfolios reicht von klassischen Mischfonds über Buy-and-Hold-Lösung mit ETFs bis zur aktiven Vermögensverwaltung mit Risikomanagement. Der Anleger wählt, steigt ein und lehnt sich bis zur Zieleinfahrt entspannt zurück.Wir erwarten von einem selbstfahrenden Fahrzeug zu Recht ein hohes Maß an Reaktionsfähigkeit, Voraussicht und Flexibilität. Künstliche Intelligenz, hoch entwickelte Sensoren und enorme Rechenleistung werden erforderlich sein, um ein Auto in Echtzeit durch den Verkehr zu navigieren.Die Algorithmen in der digitalen Vermögensanlage haben allerdings noch einiges an Leistungsabstand, wenn sie die Qualität eines sehr guten Beraters abbilden oder gar übertreffen wollen. Gemeint ist hier nicht die fehlende Empathie und das Einfühlungsvermögen. Beides spielt eine enorme Rolle in der Kundenbeziehung – vor allem in Stresssituationen an den Finanzmärkten – und wird wohl auch zukünftig die Kommunikation zwischen Menschen nicht vollständig ersetzen, persönlich, online oder telefonisch. Auch in Bezug auf das Kundenerlebnis (neudeutsch: Customer Experience) sind die Robos vielen traditionellen Anbietern deutlich voraus: Die Kundenansprache ist klar und fokussiert auf die Zielgruppe der Digital Natives, das Eruieren von Zielen und Motivationen der Anleger wird zum Teil eindrucksvoll digital umgesetzt. Diesbezüglich machen sie vieles in der Tat einfacher. Aber vielleicht auch zu einfach?Der Optimierungsbedarf betrifft die Kernkompetenz der digitalen Beratung. Sie ist in vielen Fällen eher eine initiale Kaufempfehlung, keine Beratungsleistung, die den Anleger bis zum Ziel begleitet. Denn dazu fehlt vielen Anbietern vor allem die Möglichkeit, die gegenwärtige Position des Kundenportfolios entlang der Investmentroute zu erfassen, um die Zielerreichbarkeit fortlaufend und realistisch einzuschätzen und ggf. Änderungen vorzuschlagen – sie benötigen ein Finanz-Navigationssystem.Heutige Robo-Advisor erlauben dem Anleger zu Beginn der Investmentreise einen Blick auf die Karte: eine Einschätzung langfristig erwarteter Anlageergebnisse. Diese Erwartungsrenditen und ihre Schwankungsparameter sind in der Regel das Ergebnis von Monte-Carlo-Simulationen auf Basis historischer Renditen der letzten 10 bis 15 Jahre. Sobald der Anleger jedoch die Reise antritt, wird die Position seines Portfolios nicht mehr bestimmt, das aktuelle Kapitalmarktumfeld nicht mehr für die Zielerreichbarkeit berücksichtigt. Der Kunde bleibt im Ungewissen: Führt die Vollsperrung wegen einer Finanzkrise zu einer Verzögerung, die wieder aufgeholt werden kann? Sollte der Anleger trotz zähfließenden Verkehrs aufgrund von Nullzinsen die Route beibehalten? Kann das Ziel noch erreicht werden, wenn der Anleger einen Zwischenstopp einlegt, weil er eine unvorhersehbare Entnahme tätigen muss? Die Antwort auf diese Fragen erwartet der Anleger: in Echtzeit, in Kenntnis der aktuellen Vermögenssituation, der derzeitigen und künftig erwarteten Marktsituation sowie mit klaren Handlungsoptionen und in Anbetracht der Bedeutung für seine persönliche Zukunft auch zu Recht.Das fehlende Finanznavi der Robos ist besonders relevant für die Zielgruppe 40 plus. Deren Anlegerziele spiegeln die Lebensphase wider, in der sie sich befinden. Sie ist aufgrund familiärer Strukturen und multipler Planungshorizonte deutlich komplexer als zu Beginn eines Arbeitslebens. Die Anlegerziele lassen sich daher nicht mehr singulär betrachten und allein auf Zeitraum und Risikotoleranz reduzieren. Anleger haben bereits eine konkrete, zweckbestimmte Verwendung ihrer Vermögenswerte. Ihren künftigen finanziellen Bedürfnissen – genauer: Verbindlichkeiten – steht ein Kapitalstock zur Verfügung, der angesichts der verbleibenden Arbeitsjahre behutsam auf die Zielerreichung hin gemanagt werden muss, um den Übergang von Kapitalaufbau zu (Teil-)Verzehr zu begleiten. Dass diese Kundegruppe mehrere Ziele gleichzeitig verfolgen muss, von denen einige zwingend erreicht werden müssen, andere erwünscht oder nur nice to have sind, steigert die Komplexität für eine passende Gesamtlösung – besonders wenn auch aktuelle und künftige Zahlungsströme einbezogen werden sollen: z. B. die Finanzierung des Studiums von zwei Kindern, 3 000 Euro Zusatzrente im Alter, eine fällige Lebensversicherung mit 60 und die Schlussrate der Hypothek mit 65. Ohne Unterstützung wird kaum ein Anleger diese Planungsaufgaben bewältigen können. Gute Berater verstehen die Anforderungen ihrer Kunden in unterschiedlichen Lebensphasen und sind in der Lage, mit ihrer Erfahrung, der Einschätzung des eigenen Hauses zu den Kapitalmärkten und mittels digitaler Unterstützung passende Anlagelösungen aus den zahllosen Investmentmöglichkeiten zu identifizieren.Damit kein Missverständnis entsteht: Der Einsatz der einfachen digitalen Anlagetools ist gut geeignet für Anleger mit wenig komplexen und wenig konkreten Anlegerzielen, die so weit in der Zukunft liegen, dass die Zeit für sie spielt. Robo-Advisor bieten diesen Kunden mit Transparenz und Einfachheit einen guten Zugang zur Vermögensanlage. Aber gute Finanzberatung muss den Zielen und Bedürfnissen aller Kundengruppen gerecht werden und darf sie nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduzieren. Die Erreichbarkeit auch komplexer Anlegerziele durch kontinuierliches Monitoring und Risikomanagement steht im Fokus des zielbasierten Beratungskonzeptes: Goal-Based Investing. Dessen Kernbestandteil ist die kontinuierliche Positionsbestimmung eines Kundenportfolios in seinem Investmentverlauf, stets im Hinblick auf die Erreichbarkeit der Anlegerziele und mittels Analyse dynamisch generierter Kapitalmarktszenarien. Durch die Einbindung etablierter Verfahren aus dem institutionellen Asset-Liability-Management bietet der Ansatz einen deutlichen Mehrwert für Privatanleger und Berater und erlaubt durch die regelmäßige Beurteilung der Geeignetheit einer Anlage im Mifid-Sinn ein höheres Maß an Beratungsqualität, Beratungssicherheit und Kundenbindung.Digitale Beratungsunterstützung für Goal-Based Investing hat sich im Retail bis zum Private Banking als qualitätserhöhend, kundenbindend, effizient und kostensenkend bewährt. Sie lässt sich nahtlos in bestehende Investment- und Beratungsprozesse sowie Systemlandschaften integrieren, so dass Finanzdienstleister diese Lösungen zunehmend als Katalysator für ihre digitale Transformation erkennen.